Behinderte Künstler im Haus Lydda in Bielefeld-Bethel.
© epd-bild/Katrin Nordwald
Abstraktes Werk von Nazim Sucur in der Grafik-Werkstatt im Haus Lydda in Bielefeld-Bethel.
Kraft der Bildsprache: "Sie brennen innerlich"
Künstler mit Handicap - Haus Lydda in Bielefeld-Bethel besteht seit 50 Jahren
Was 1969 als Grafik-Werkstatt für Menschen mit Behinderungen begann, ist heute eine feste Institution: Im Haus Lydda erschaffen rund 150 Künstler Gemälde, Zeichnungen und Plastiken, die sie international ausstellen.
03.08.2019
epd
Katrin Nordwald

Exakte geometrische Muster sind typisch für die Kunst von Konrad H. Giebeler. Vor allem bei Sammlern in Asien ist sie beliebt: "Japaner finden seine 'Ordnung der Dinge' schön", sagt Jürgen Heinrich, Leiter des Kunsthauses Lydda in Bielefeld-Bethel.

Der autistische Künstler Giebeler war 2018/2019 sein Meisterschüler. Und gibt sich als dienstältester Kunstschaffender des Hauses durchaus selbstbewusst. "Man kann die Skulpturen aus allen Materialien (hohl und massiv) außer Speckstein anfertigen. Es ist meine eigene Idee", schreibt er zu einem Entwurf von zusammengesetzten Quadern, sauber geklebt aus Papier. Seinen dreidimensionalen Puzzle-Objekten aus Holz legt er Anleitungen mit zig Legevarianten für die Käufer bei.

Im Haus Lydda sind Menschen mit und ohne Behinderung oder mit psychischer Erkrankung gemeinsam künstlerisch tätig. "Wir wollen, dass das Kunstwerk im Vordergrund steht und nicht die Krankheit", sagt Heinrich.

Kunsthaus Lydda in Bielefeld-Bethel.

Der 60-jährige Giebeler symbolisiere Lydda: Er sei nicht nur am längsten dabei, sondern habe auch als einziger im Kunsthaus mit allen bisherigen Leitern seit der Gründung zusammengearbeitet. Die Einrichtung der evangelischen v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel feiert 2019 ihr 50-jähriges Bestehen mit der Wanderausstellung "weitweit offen" und einem Fest am 6. Dezember, zu dem ein Buch erscheint.

Der autistische Künstler Konrad H. Giebeler mit einme seiner Werke.

Rund 150 Künstlerinnen und Künstler begleiten Heinrich und seine Mitarbeiterin im Jahr. Die Menschen in Lydda "brennen innerlich, sich nach außen zu bringen", sagt der bildende Künstler und Kunsttherapeut. Die Themen erarbeiteten sie selbst. "Wir geben nichts vor, sind nur die Hebammen an ihrer Seite, die ihnen helfen, ihre eigene Bildsprache zu finden."

In den zwei Ateliers stehen die Regale voll mit Gemälden und Plastiken: Schanna Saranzews Ölbilder etwa erinnern an Freskenmalerei, sind aber dunkel, geheimnisvoll, zum Teil verstörend. Nazim Sucu sucht dagegen in seinen Werken die "Versöhnung der drei Weltreligionen". Deren Symbole tauchen in seinen abstrakten, mit Gold durchwirkten Arbeiten immer wieder auf.

Juergen Heinrich, Leiter des Kunsthauses Lydda.

Jens Jacobfeuerborn experimentiert derzeit mit der Wirkung von Farbe und Fläche. Auf schwarzem Grund verspachtelt er grüne und weiße, rote und gelbe Linien. Es werde eine größere Bilderserie, sagt der Bielefelder, der seit 2009 in verschiedenen Ausstellungen - darunter auch in Belgrad - vertreten war. "Kunst verwandelt das Grau der Gegenwart in eine bunte Zukunft", erklärt Martin Balzer seine feinen Tuschezeichnungen.  

Lyddas Gründungsort ist ein mehr als 100 Jahre altes zweigeschossiges Haus am Maraweg 15 in Bielefeld-Bethel, das früher als Kinderheim und Paramentenwerkstatt für Frauen mit Epilepsie diente. Der aus Leipzig übergesiedelte Grafiker und Diakon Werner Pöschel rettete es 1969 vor dem Abriss, richtet sich dort ein und organisierte kleine Ausstellungen. Das Repertoire reichte damals von Figuren aus dem Erzgebirge bis zu Kunst von Bewohnern Bethels.

Das japanische Kaiserpaar bei "Grüße aus Bethel"

1973 gab es dann die erste große Sonderschau mit dem Titel "Patienten Gestalten". Sie fand bundesweit Beachtung. Schon ein Jahr davor waren Bilder von psychisch Kranken auf der "documenta" in Kassel gezeigt worden.

Mehr als 20 Jahre leitete Pöschel das Kunsthaus und legte den Grundstock für eine Lydda-Sammlung, die mittlerweile auf 5.000 Werke angewachsen ist. Dessen Nachfolger Willi Kemper setzte ab 1992 auf offene Gruppen. So begründete er die Tradition der Sommerakademie, bei der Künstler mit und ohne Behinderungen zusammenkommen.

Zudem stellte er erstmals außerhalb Bielefelds aus, etwa 2006 in Tokio. Zu den Besuchern von "Grüße aus Bethel" zählte das ehemalige Kaiserpaar Akihito und Michiko. "Die Ausstellung trug dazu bei, das Verhältnis der japanischen Gesellschaft zu Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zu verändern", erinnert sich Kemper.

Haus Lydda hat sich seitdem professionalisiert. "Heute planen wir im Jahr fünf bis sechs Ausstellungen in Deutschland, um die drei in Europa und ein bis zwei in Übersee", sagt Jürgen Heinrich, der 2007 die Leitung am Maraweg 15 übernommen hat. Lydda-Künstler gehen auch als Dozenten an Hochschulen.  

Deren Werke werden vergleichsweise günstig verkauft. Der teuerste "Giebeler" - die Puzzle-Box Komplexa von 2010/11 - kostet 560 Euro, ein Ölbild von Saranzew bis zu 800 Euro. Eine Hälfte davon bekommen die Künstler, mit der anderen Hälfte werden Materialien wie Farben und Leinwand gekauft. "Die Einnahmen kommen zu 100 Prozent den Künstlern zugute", betont Heinrich. Größere Projekte finanziert er über Spenden.

Seit die Biennale 2013 in Venedig sogenannte Outsider-Art zeigte, hat sie sich von der Nischenkunst zu einer Marke entwickelt. Eine Kommerzialisierung Lyddas will Heinrich nicht. Im Kunsthaus zähle primär der Akademie-Gedanke, sagt er. Und Bethel-Chef Pastor Ulrich Pohl beschreibt die Atmosphäre so: "Hier ist man 'weitweit offen' für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, für Begegnung, Individualität und Dialog."