Film "Elternschule" bietet keinen Anschauungsunterricht für Eltern.
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Sich stark machen für die, die es nicht selber können, und gemeinsam mit Kindern ihren Weg gehen - diese Haltung vertritt Judith Füldner im Gastbeitrag zu "Elternschule".
Ich habe "Elternschule" gesehen - und jetzt?
Judith Füldner hat den Film "Elternschule" gesehen. Ihre Meinung zu dem umstrittenen Dokumentarfilm: Anschauungsunterricht für Eltern ist das nicht - aber Anstoß dazu, die eigene Haltung zu reflektieren, schreibt sie in diesem Gastbeitrag.

"Empfehlenswert, sehenswert, lehrreich…", so stand es im TV-Tipp auf evangelisch.de über den Film "Elternschule", und ich folgte der Empfehlung, auch aus beruflichem Interesse als Fachberatung eines evangelischen Kitaverbandes. Und dann lief der Abspann und lies mich zunächst rat- und fassungslos zurück.

Wie gesagt, ich bin Fachberaterin für 240 pädagogische Fachkräfte in 18 Kindertagesstätten. Was antworte ich auf Fragen von Mitarbeiter*innen oder Eltern, warum dieser Film empfohlen wird? Ist er wirklich "besonders für junge und werdende Eltern empfehlenswert", wie es im TV-Tipp steht, oder überhaupt lehrreich? Es ist die Einschätzung des Medienkritikers, sein Kommentar und seine Bewertung, nicht meine und auch nicht die der evangelischen Kirche.  Meine Positionierung als Mensch, Christin und Angestellte im Dienst der evangelischen Kirche ist ganz klar eine andere.

Wie gehe ich mit diesen Fragen um, wenn sie mir gestellt werden? Ich möchte sie bearbeiten, aber nicht beantworten. Beantworten ist zu endgültig. Bearbeiten ist ein Prozess, eine Auseinandersetzung mit dem Thema, das passt besser.

Ich möchte mich mit unseren Mitarbeiter*innen über Menschen-Kinder und ihre Gefühle, Bedürfnisse, Grenzen, Besonderheiten und nicht zuletzt ihre Würde auseinandersetzen. Ich möchte darüber sprechen, dass Kinder keine manipulativen, taktierenden Egoisten sind, die ihre Eltern mit strategischen Mustern in den chronischen Stress treiben. Ich möchte darüber sprechen, dass schwierige Kinder Schwierigkeiten machen, weil sie Schwierigkeiten haben, dass es also vielmehr um das "warum" gehen muss als um das "wie geht es weg".

Stark machen für die, die es selber nicht können

Ich möchte Verständnis für die unfassbare Kooperationsfähigkeit von Kindern wecken, für ihre große Anpassungsfähigkeit, schlimmstenfalls bis zur Selbstaufgabe als Überlebensstrategie. Ich möchte darüber sprechen, wieviel Auffälligkeit, Besonderheit, Eigenart oder Störung von Kindern die Therapiemethoden überhaupt rechtfertigen könnten, die im Film gezeigt werden.

Ich möchte Vorbild sein für eine Haltung, die sich für andere stark macht, wenn sie es selber nicht können, als Fachberaterin und als Mensch. Kinder – oder besser: kleine Menschen – können aufgrund individueller Entwicklungsstände und Lebenssituationen nicht immer und überall gleichwertig behandelt werden, aber immer und überall gleichwürdig. Daran glaube ich, das lebe ich vor, das ist meine Haltung. Und damit ist meine Positionierung klar, nach innen und nach außen, vor mir und den Fragenden.

Empfehlenswert, sehenswert, lehrreich? Ein ganz klares Ja, aber nicht für junge oder werdende Eltern, und auch nicht für Eltern von "Problemkindern", sondern für alle, die bereit sind, sich ehrlich selbst zu reflektieren, die bereit sind, die eigene Haltung zu überprüfen, und eine Position zu beziehen.

Das muss nicht meine sein, sie kann abweichen, auch ganz weit. Aber im besten Fall ist dann auch klar, warum man zu den Beifall klatschenden Menschen gehört, und was der von den Kindern erlittene Schmerz vielleicht mit einem eigenen Schmerz zu tun hat. Der Film wird dem Titel "Elternschule" nicht gerecht, er bietet keinen Anschauungsunterricht für Eltern. Aber er weckt ein Bewusstsein und eine Verantwortung, die ich bereit bin anzunehmen und zu vertreten. Mit der zugehörigen Haltung.