Viele der knapp 40 Besucher, die zum Torastudium nach Freudental gekommen sind, stammen aus Kirchengemeinden der Umgebung und wollen mehr über das Judentum und damit auch die Wurzeln des Christentums lernen. "Ich weiß viel über das Neue Testament, das Alte Testament liegt bei mir allerdings wie im Dämmerschlaf", so einer der Teilnehmer.
Seit 1978 finden jedes Jahr Tora-Lernwochen statt - entweder dezentral in Kirchengemeinden, in der Evangelischen Akademie Bad Boll (Landkreis Göppingen) oder direkt in Israel. Die vier Abende in den Gemeinden gestalten Lehrer aus Israel, die sich zu der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland begründeten modernen Orthodoxie im Judentum zählen.
In Freudental sind Rabbiner Jeschaja Balog und seine Frau Sara Prais zu Gast. "Ich werde keinen Vortrag halten, sondern wir wollen ins Gespräch kommen, wie in einem Beit Midrasch, einem jüdischen Lehrhaus", sagt Balog. Sein Ziel: Die Teilnehmer in die Denkweise der Rabbiner einzuführen. Der gebürtige Ungar ließ sich nach Jüdischen Studien unter anderem in Heidelberg und Tübingen anschließend in London und in Israel zum Rabbiner ausbilden. Er war dann Gemeinderabbiner in Düsseldorf und daraufhin mehrere Jahre lang als Religionslehrer für die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs tätig. Seit elf Jahren lebt er mit seiner Familie in Israel.
Der Rabbiner erklärt, dass das biblisch-christliche "Alte Testament" im Judentum "Tanach" heißt, und aus der Tora sowie den Prophetenbüchern und den sogenannten "Schriften" wie den Psalmen, dem Buch Esther und den Chronikbüchern besteht. Die Tora, die fünf Bücher Mose, könnten auch "die Verfassung des Judentums", genannt werden, erklärt Balog, und geht auf das Thema der Woche "Juda und sein Stamm" ein: Vom biblischen Stamm Juda, auf hebräisch "Jehuda", haben die Juden ihren Namen erhalten.
Wege zum Verständnis
Die Teilnehmer lesen einen Text von Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808-1888), der die erste Tora-Auslegung auf Deutsch verfasst hat. Dort erfahren sie, dass das hebräische Wort "Jehuda" mit dem Wort "Todah" verwandt ist, was Dank, Lobpreisung oder Bekenntnis bedeutet.
Die Tora-Lernwochen werden von Michael Volkmann vom Pfarramt für das Gespräch zwischen Christen und Juden in Bad Boll organisiert und von der Arbeitsgruppe "Wege zum Verständnis des Judentums" im Auftrag der Evangelischen Landeskirche in Württemberg veranstaltet. Dieses Jahr finden auch in Ulm, Albstadt, Geislingen, Heidenheim, Hemmingen, Ravensburg, Stuttgart, Tübingen und Horb-Rexingen Lernwochen statt.
Am Ende des Treffens singen alle Teilnehmer das hebräische Lied "Hine ma tov", was übersetzt heißt: "Siehe wie gut und fein ist es, wenn Brüder beisammensitzen." Für Rabbi Balog gehört zur Tradition des Judentums, dass man gemeinsam lernt, und so Freundschaften entstehen. "Dass Christen sich in diese Tradition begeben und Interesse haben, mehr über das Judentum zu lernen, finde ich toll."
Seine Frau Sara Prais, die in London geboren ist, deren Vater aber vor dem Holocaust in Frankfurt lebte, erzählt bewegt von einem alten beschriebenen Pergamentstück, das sie auf der Empore der ehemaligen Freudentaler Synagoge als Fund ausgestellt sah. Auf diesem Stück hatte jemand sich handschriftliche Notizen, eigene Interpretationen zur Auslegung der Tora gemacht. "Durch die Tora-Lernwochen bringen wir diesen Geist der Gemeinde wieder in das Gebäude zurück. Das ist lebendiger und besser als ein Museum oder ein bloßes gemeinsames Reden über die Vergangenheit."