Die evangelischen Kirchenmitgliedszahlen sinken! Und das Personal wird knapp! Es gibt immer weniger junge Menschen, die Lust auf ein langes Theologiestudium haben, um anschließend auf dem Land zehn, 15 oder gar 20 Gemeindeteile zu betreuen. Anders lässt sich mit weniger Aufwand mehr Geld verdienen. Doch die Landeskirchen lassen sich mittlerweile einiges einfallen, um theologisches Personal zu werben.
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Zum Beispiel in Golzow im Kirchenkreis Potsdam-Mittelmark. Nach 26 Monaten Vakanz wird hier nicht ein neuer Pfarrer, sondern ein "Famulus der Theologie" gesegnet. Und der trägt nicht einmal einen richtigen Talar und auch kein weißes Beffchen. "Das ist ein Prädikanten-Talar. Der Famulus wird nach und nach einzelne Dienste übernehmen. Er läuft etwa bei einem Pfarrkollegen bei Kasualien mit, damit er das kennenlernt", erklärt Superintendent Thomas Wisch.
Famulus heißt Schüler. Er studiert berufsbegleitend Theologie. Gleichzeitig arbeitet er schon in der Dorf-Gemeinde mit und bezieht dafür ein Gehalt. Ein neuartiges Modell in der Evangelischen Kirche: Eine 100%-Stelle während des fünfjährigen Studiums. Dafür muss sich der Famulus Oliver Notzke zwei Tage in der Woche an die theologische Fakultät der Universität Heidelberg begeben.
"Theologie zu studieren war schon nach meinem Abitur ein Wunsch, dann bin ich aber in der Wirtschaft gelandet. Die Hemmschwellen waren bislang viel zu hoch, Theologie zu studieren und eine Absicherung für mich und meine Familie zu haben. Als dieses Modell kam, war ich sehr dankbar dafür", sagt der nun auch Theologiestudent. Oliver Notzke ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Zuvor war er 16 Jahre in der freien Wirtschaft als internationaler Vertriebsleiter bei einer großen Firma tätig. Vom Management mit gutem Gehalt wechselt er nun freiwillig ins Landpfarrhaus mit kleinerem Kirchensalär. Dass Kirche zudem keine Firma und mit ihren Entscheidungsstrukturen vom Gemeindekirchenrat über Kreissynode bis zur Landeskirche ein eher schwerfälliger Verein ist, ist Oliver Notzke durchaus bewusst: "Bis dato war ich ja als ehrenamtlich Vizepräses des Kirchenkreises. Jetzt bin ich im Anstellungsverhältnis. Nichtsdestotrotz bleibe ich ein kritischer Zeitgeist und werde das, was ich als Erfahrung gesammelt habe, nicht einfach über Bord werfen."
Genau solche Menschen brauche die Kirche, meint Superintendent Thomas Wisch. In Zeiten des Nachwuchsmangels sollen aber nicht die Anforderungen an das Theologiestudium verwässert werden. EKD-weit bleibt es bei den drei alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein. Danach wird es an den fünf Fächern Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematik und Praktische Theologie keine Abstriche geben.
"Die Famulatur ist kein Theologiestudium light, sondern setzt auf einem sehr hohen Niveau an und setzt Kandidatinnen und Kandidaten voraus, die studienerfahren sind und schnell ins Studium reinkommen können. Der Pfarrberuf ist akademisch und soll akademisch bleiben. Es gibt kein Senken von Schwellen", sagt der Ausbildungsdezernent der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, kurz EKBO, Christoph Vogel.
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Daneben gebe es zur Entlastung der Gemeinden noch ehrenamtliche Prädikanten und Gemeindepädagogen. Letztere können auch mit der freien Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung betraut werden.
Der Königsweg ist aber weiterhin das Theologiestudium an einer staatlichen oder kirchlichen Universität nach dem Abitur. Pfarrer Johannes Meier ist in der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck für die theologische Nachwuchsgewinnung zuständig. Da steht er in Konkurrenz mit anderen Unternehmen, die in Zeiten des demographischen Wandels händeringend junge Berufseinsteiger suchen, wie etwa die Bundeswehr. "Also wir machen jetzt keine Roadshow auf Schulhöfen. Wir haben ja auch keine Hubschrauber oder Kampfschiffe zu bieten. Da ist Kirche nicht ganz so abenteuerlich", sagt Meier
Obwohl, Kirchenschiffe haben die Gemeinden schon zu bieten. Dort zu predigen und zu seelsorgen, dafür wirbt Meier etwa auf Berufs-Info-Tagen, zum Beispiel mit dem Angebot von Schnupperwochen, also Schülerpraktika in Gemeinden oder im Kirchenkreisamt. Längst vorbei sind die Zeiten, als es noch Pfarrerdynastien gab, als der Talar von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Kirche will heute auch weniger Theologen, denen das Amt schon in die Wiege gelegt wird.
"Mir sind die Quereinsteiger, die bunten Vögel das liebste. Ich finde unser Hauptwerbeeffekt sollte nicht irgend so ein geprägtes Pfarrerbild sein, sondern zunächst einmal die Freiheit dieses wunderbaren geisteswissenschaftlichen Studiums. Leute, wenn ihr über Euch, die Welt und das Leben nachdenken wollt, dann seid ihr da richtig, das ist für mich der Werbeeffekt", schwärmt Pfarrer Meier.
Was sich die Landeskirchen haben einfallen lassen
Der Erwerb der drei alten Sprachen (Hebräisch, Alt-Griechisch und Latein) ist eine gewisse Einstiegshürde. Aber die evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck gewährt danach 500 € Stipendium im Monat. Bis zum 14. Semester. Als Wertschätzung, nicht als Bestechung, wie Meier versichert. Und auch die anderen 19 Landeskirchen lassen sich einiges einfallen. Fast alle gewähren einen Büchergeld-Zuschuss oder finanzielle Unterstützung für theologische Tagungen und Exkursionen. Die Nordkirche gibt für ein Studienjahr in Israel 9.000 Euro. Die Bayern versprechen ein Darlehen im sozialen Härtefall.
Zudem stehen oft günstige Zimmer in kircheneigenen Häusern zur Verfügung. Die Württemberger bieten sogar ein sogenanntes Naturalstipendium im Evangelischen Stift Tübingen an, also neun Semester freies Wohnen und Essen. Außerdem gibt es die Evangelische Studienhilfe, eine Unterstützung für Studierende, die von ihren Eltern nicht ausreichend finanziert werden oder die kein BAföG bekommen, weil sie etwa vorher schon ein anderes Studium gemacht haben. Für die ganz Klugen gibt es Promotionsstipendien.
Beihilfen gibt es nach dem Studium für den maßgeschneiderten und daher nicht ganz billigen Talar. Die Westfalen sponsern auf Antrag sogar ein eigenes Dienst-e-Bike. Anreize für das Theologiestudium also in Hülle und Fülle. Aber kein Sprungbrett für einen Karriereberuf mit Spitzenverdienst. Und das für garantiert mehr als 40 Stunden Arbeit in der Woche, sagt Johannes Meier: "Pfarrer sind auch öffentliche Personen, sitzen mal mit dem Bürgermeister in der ersten Reihe bei einer Veranstaltung, stehen auch mal in der Zeitung. Also die Arbeit lässt sich schlecht eingrenzen. Das muss man wollen."
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Zumindest in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck hätten sich die Bemühungen um Nachwuchs gelohnt. Ziel sei es auf der sogenannten Landesliste, auf der sich Theologiestudierende mit Berufswunsch Pfarrer eintragen lassen, die Zahl 100+X zu erreichen. Vor vier bis fünf Jahren war man da noch bei 50, mittlerweile bei 93, Tendenz steigend. Und das sei nicht nur für die Kirche gut, sagt Pfarrer Johannes Meier. Das Bodenpersonal Gottes sei letztlich für alle da: "Weil Religion in der Öffentlichkeit eine immer größere Rolle spielt, was die Auseinandersetzung mit dem Islam anbelangt oder mit neuen frommen Strömungen, die es auch im Christentum gibt. Wir können doch nur kommunizieren, wenn wir wissen, woher wir selber kommen."