Denkmal Martin Luther in Eisleben
© AVTG/iStockphoto/Getty Images
Martin Luther-Denkmal in Eisleben.
"Es muss mit der Reformation weitergehen"
Für den Verein "Forum Reformation" war das Reformationsjubiläum 2017 erst der Anfang
Die Idee klingt erst einmal abstrakt: Das Forum Reformation will "die reformatorischen Anliegen für unsere Gegenwart bis 2030 fruchtbar machen". Im Interview erklärt der Gründer des Forums, der Bonner Pfarrer Siegfried Eckert, was sich der Verein genau vorgenommen hat, wer mitmacht und warum es ihm um mehr geht als um Luther.

Herr Eckert, warum darf Reformation nicht vorbei sein?

Siegfried Eckert: Für mich beinhaltet der Begriff Reformation vieles, was wir heute brauchen. Das "Re" ist ein Signal, dass wir eine Rückbindung brauchen an unsere Glaubensgeschichte und unsere Glaubensquellen. Gleichzeitig braucht es die "Formation", die "Umformung des Bestehenden", den Ruf nach Umkehr, wie Luther ihn 1517 mit seinen Thesen an die Tür genagelt hat. Und das heißt für mich heute Veränderung im Umgang zwischen den Konfessionen, zwischen den Religionen, zwischen den Kulturen, im Miteinander in der Gesellschaft und im Umgang mit der Schöpfung. In all diesen Bereichen könnte der Ruf nach weiterer Reformation ein zeitgenössischer Ruf nach Umkehr und Veränderung sen.

Wie kam Ihnen die Idee für das Forum Reformation?

Eckert: Kurz vor dem Reformationsjubiläum 2017 saß ich morgens mit meinem Kaffee am Laptop und kam zur Überzeugung: Mensch, nach 2017 muss es doch weitergehen. Das kann nicht das Ende sein. 1517 war doch erst der Anfang. Ich war dann ein Jahr unterwegs, um Leute auch in Wittenberg für diese Idee zu gewinnen. Knapp ein Jahr nach dem Reformationsjubiläum konnten wir in Wittenberg den gemeinnützigen Verein "Forum Reformation" gründen.

"Was Davos für die Wirtschaft ist, könnte Wittenberg für die reformatorischen Geister der Welt werden"

Warum haben Sie sich auf 2030 festgelegt?

Eckert: Bis 2017 gab es für das Reformationsjubiläum viele Landes- und Bundesmittel, viel Aufmerksamkeit bei ARD und ZDF und viel kirchliches und gesellschaftliches Engagement. Aber es wurde zu kurz gedacht:  Nach 1517 wurden die theologischen, kirchengeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Weichenstellung gestellt. Protestantismus wurde ein ewiger Protest und die Reformation entfaltete eine Wirkung, die bis heute anhält. Wir planen bis 2030, genau 500 Jahre nach dem Augsburger Bekenntnis, weil damit reformationsgeschichtlich 1530 in gewisser Weise etwas zum Abschluss gekommen ist.

Was genau haben Sie vor?

Eckert: Das Forum Reformation fußt auf drei Säulen. Die erste Säule nennen wir "Reformation in den Gemeinden". Evangelisch fängt vor Ort an und geht von unten nach oben. Wir planen dafür 2021 das erste interreligiöse Gemeinde-Base-Camp und wollen alle zwei Jahre dazu nach Wittenberg einladen. Die zweite Säule nennen wir "Reformation in der Geschichte". Bis 2030 werden wir jedes Jahr anlässlich eines reformationsgeschichtlichen Ereignisses eine gesellschaftsrelevante Tagung an reformatorischen Jubiläumsorten abhalten. Dieses Jahr haben wir an die Leipziger Disputation in Leipzig erinnert. Nächstes Jahr werden wir uns zu Luthers Hauptschriften in Wittenberg versammeln. Die dritte Säule nennen wir "Reformation in der Gesellschaft". Das mag ein bisschen größenwahnsinnig klingen. Aber wir wollen 2030 zu einem Weltreformationsforum einladen. Was Davos für die Wirtschaft ist, könnte Wittenberg für die reformatorischen Geister der Welt werden. Dazu laden wir alle zwei Jahre zu einer Sommertagung nach Wittenberg ein.

"Reformation heißt für mich, sich nicht länger in konfessioneller Haarspalterei zu verlieren"

Sie wollen also Reformation auf heutige Fragen übertragen?

Eckert: Genau. In Wittenberg wollen wir anlässlich des 500. Jubiläums der Leipziger Disputation fragen, was "Streitbar leben" heute heißt. Da kommt unter anderem der sächsische Landesrabbiner und berichtet über jüdische Streitkultur. Vielleicht streitet er sich mit dem Stadtpfarrer von Wittenberg über die sogenannte Judensau an seiner Kirche? Wir nehmen den Impuls der Disputation auf und übertragen diesen auf heutige Fragestellungen wie Missbrauch in der Kirche, Klimakrise, die Folgen des Kapitalismus. Wie könnte eine streitbare Demokratie aussehen, oder ein säkularer Islam?

Ist das Forum Reformation ein rein evangelisches Vorhaben?

Eckert: Nein! Es hat einen protestantischen Stallgeruch und eine ebensolche Entstehungsgeschichte. Aber wir wollen die reformatorischen Impulse interkonfessionell, interreligiös und interkulturell weiterführen. Zu den Gemeinde-Base-Camps sind alle christlichen, jüdischen und muslimischen Gemeinden eingeladen, die reformatorisch unterwegs und geübt im Dialog oder Trialog sind. Zum Weltreformation 2030 sind reformatorische Geister aus allen Konfessionen, Religionen und Kulturen eingeladen. Reformation heißt für mich, sich nicht länger in konfessioneller Haarspalterei zu verlieren, sondern unseren Glauben mit anderen Religionen und guten Geistern in dieser Welt zu gestalten. Wir müssen mehr Ökumene, mehr Interreligiöses, mehr Interkulturelles wagen. Die Rede von Reformation, samt Rückbezug auf Luther, wird leider aber auch missverstanden.

"Reformation ist mehr als Luther"

Inwiefern?

Eckert: Reformation ist mehr als Luther. Es geht uns nicht um ein Luther-Retro, um eine Luther-Verklärung oder darum, seine Schattenseiten nicht wahrzunehmen. Die Bezugnahme auf Luther wurde oft genug für falsche Zwecke instrumentalisiert. Es gibt eine düstere Wirkungsgeschichte von Luther, die sehr reaktionär und national ist. Die NPD behauptet zum Beispiel, heute würde Luther diese Rechtspopulisten wählen.

Wie viele Menschen machen bislang beim Forum Reformation mit?

Eckert: Der Verein hat nicht das Ziel, viele Mitglieder zu werben. Er ist ein Instrument, um etwas bewegen zu können. Wir suchen vor allem Menschen, die unsere Idee fördern, durch Teilnahme an den Veranstaltungen, finanzielle Unterstützung oder das Einbringen eigener Vorstellungen und Ressourcen. Im Vorstand sitzen neun Personen, die den Verein gegründet haben. Unser Sympathisantenkreis besteht aus gegenwärtig etwa 70 Personen. Wir sind guter Dinge, dass das mit 2030 was geben könnte und bis dahin ist der Weg das Ziel.

Können Sie sich vorstellen auch nach 2030 weiterzumachen?

Eckert: Ich finde es motivierend und erleichternd, zu sagen, wir machen das bis 2030. Ich bin immer skeptisch, wenn sich etwas zum Selbstzweck entwickelt, wenn man der Meinung ist, was einmal in der Welt ist muss für immer weiter gehen. Aber weiß ich, was 2030 ist? Vielleicht übernimmt dann die nächste Generation das Ruder.