Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Es war ein kleines Ereignis, als Anwaltsgehilfin Jenny vor 14 Monaten erstmals über die Bildschirme wirbelte. Großes Herz und große Klappe, außerdem alleinerziehende Mutter und stets knallbunt gekleidet: Die Titelheldin der RTL-Serie „Jenny – echt gerecht“ hatte zwar offenkundig verschiedene Vorbilder, aber Birte Hanusrichter machte sie zu einer einzigartigen Figur. Die Schauspielerin hat die Amateurjuristin mit einem Temperament versehen, wie man das sonst im Grunde nur von Josefine Preuß kennt. Clever konzipierte Drehbücher sorgten zudem dafür, dass auch die Geschichten interessant waren, denn Jenny musste ihrem arroganten Chef (August Wittgenstein) regelmäßig klarmachen, dass Gerechtigkeit wichtiger als juristische Erfolge ist. Natürlich knisterte es auch kräftig zwischen den beiden, aber Maximilian Mertens war bei Kollegin und Freundin Agnes (Isabell Polak) in festen Händen.
RTL hatte in den letzten Jahren nicht immer Glück mit seinen Serien; einige wurden schon mittendrin abgesetzt, andere nicht fortgesetzt. Beide Schicksale sind „Jenny“ zum Glück erspart geblieben; nun gibt es zehn neue Folgen, für die erneut Sabine Leipert und Sabrina M. Roessel als Chefautorinnen fungiert haben. Die Regie hat zwar gewechselt, aber ein Qualitätsunterschied ist nicht erkennbar. Der von Buddy Giovinazzo inszenierte Auftakt knüpft nahtlos an das Tempo und die Quirligkeit der ersten Staffel an (zum Regietrio gehören außerdem Oliver Schmitz und Sabrina Maria Roessel). Die Dialoge zwischen Jenny und Max haben echte Screwball-Qualität, zumal Hanusrichter und Wittgenstein mittlerweile perfekt aufeinander eingespielt sind. Die Musik der Kooperative Dynamedion sorgt für zusätzliche Dynamik.
Weil die erste Staffel mit Jennys Kündigung endete, muss das Drehbuch die beiden Hauptfiguren irgendwie wieder aneinanderketten. Kaum sind sie sich im Gerichtsgebäude zufällig über den Weg gelaufen, werden sie mit Handschellen gefesselt: Starkoch Lenski (David Bredin) steht vor Gericht, weil er angeblich seine Freundin ermordet hat. Eigentlich sollen Jenny und Max ihm nur zur Flucht verhelfen, aber als sich rausstellt, wie brüchig die Indizienkette ist, will Jenny die Unschuld des Mannes beweisen. Max muss notgedrungen mitmachen, denn die Handschellen bleiben. Tatsächlich stellt sich raus, dass der Koch Opfer eines Komplotts geworden ist. Diese überraschenden Wendungen waren neben der gelungenen Mischung aus Krimi und Komödie auch in der ersten Staffel ein Qualitätsmerkmal: Die Fälle wirken zunächst eindeutig, entpuppen sich dann jedoch gern als Auftakt zu komplexen Geschichten. Dabei geht es durchaus auch um ernste Themen: Folge zwei beginnt mit der Klage einer Frau, die nach einer Brustvergrößerung an Krebs erkrankt ist, und mündet in einen Pharmaskandal. In den weiteren Episoden geht es unter anderem um dubiose Heilmethoden und Mitarbeiter-Mobbing, und zumeist ist es Jennys Fantasie zu verdanken, dass Max auch abwegig erscheinende Theorien ins Kalkül zieht.
Typisch für „Jenny – echt gerecht“ ist nicht zuletzt die Familienfreundlichkeit. Selbst wenn es stets um Verbrechen geht und sich in einer Episode tatsächlich ein Mord ereignet: Krimis im herkömmlichen Sinn erzählen die Geschichten im Grunde nicht. Dabei sind die Drehbücher in dieser Hinsicht durchaus ausgefeilt; eine kleine Verlagerung des erzählerischen Schwerpunkts würde genügen, um aus „Jenny“ eine Krimiserie zu machen. Die Handschellen aus der Auftaktfolge stehen daher auch für die jederzeit überzeugende Verknüpfung zweier Genres, denn natürlich lebt auch die zweite Staffel von der Frage: Kriegen sie sich oder nicht? Entsprechend wichtig ist die Dritte im Bunde. Anders als etwa in den Sonntagsfilmen im ZDF ist Max’ Verlobte dank der selbstbewussten Verkörperung durch Isabell Polak keineswegs von vornherein zur Verliererin des romantischen Wettstreits abgestempelt, im Gegenteil; gegen Ende der Staffel wird sogar die Hochzeit von Agnes und Max vorbereitet. Dass sie die Tochter seines Chefs (Peter Benedict) ist und der zukünftige Schwiegervater Max zum neuen Partner befördert hat, macht die Sache nicht leichter.
Gerade diese stimmige Kombination von Privat- und Berufsleben ist ein weiteres Qualitätsmerkmal der Reihe, zumal sich Jennys Kinder zwischendurch ebenfalls auf beiden Ebenen tummeln und in dem einen oder anderen Fall auch die Vergangenheit der Anwaltsgehilfin eine Rolle spielt. Selbst wenn es zwischendurch mal dramatisch wird: In erster Linie ist die Serie Gute-Laune-Fernsehen, und das hat sie vor allem den beiden Hauptdarstellern zu verdanken.