Vögel zwitschern im ersten Sonnenlicht, die Wiese ist noch taunass, im Hintergrund hört man einen Traktor Gas geben. Nordheim am Main ist ein idyllisches Fleckchen Erde - und auch eine der größten Weinanbaugemeinden Frankens. "Also, was lag näher", fragt Bürgermeister Guido Braun. Es geht um die Bestattungen in Nordheim: Viele Einheimische wollten nicht mehr auf dem normalen Friedhof beigesetzt werden. Hauptargument: Die Grabpflege soll keinem zur Last fallen. Viele kauften sich irgendwo in einem Friedwald ein. "Aber die Leute wollen am liebsten dort beerdigt werden, wo sie gelebt haben", sagt Braun. Also baute die Gemeinde einen Friedweinberg.
Die Idee kam Braun vor nicht ganz zwei Jahren, Anfang Dezember des vergangenen Jahres wurde der Nordheimer Friedweinberg mit seinen 186 roten und weißen Rebstöcken dann eröffnet. "Dass das so schnell ging, war Glück", sagt Braun. Denn die Fläche oberhalb des Friedhofs war bereits vor 20 Jahren als Erweiterungsfläche für den normalen Gottesacker eingeplant - es gab also ein Bodengutachten und auch schon eine Genehmigung des Landratsamtes, dort Menschen zu beerdigen. Bis zu 1.488 eingeäscherte Leichname dürfen dort bestattet werden - acht Urnen im Abstand von je 60 Zentimeter rings um jeden Rebstock. In Nordheim sterben jährlich im Schnitt zehn Einwohner.
Brauns Intention, dass der Weinberg vor allem für Verstorbene der kleinen 1.000-Einwohner-Gemeinde vorgesehen ist, ging bislang nicht so ganz auf. "Ehrlicherweise stammt von den sieben derzeit beerdigten Personen keine aus Nordheim", sagt er. Einige kommen aus Nachbarorten wie der Stadt Volkach, doch die meisten Bestatteten sind von weiter her, etwa aus Bayreuth: "Die Menschen finden die Idee offenbar gut, sie suchen nach Alternativen zum normalen Friedhof." Inzwischen gebe es Reservierungen für einzelne Bestattungsplätze aus ganz Deutschland und natürlich seien da etliche Nordheimer dabei: "Bei uns gibt es viele Weinbau-Familien, da liegt die letzte Ruhestätte im Weinberg nahe."
Dabei ist die Bestattung im Friedweinberg Nordheim nicht gerade ein Schnäppchen - jedenfalls, wenn man sie mit den regulären Preisen auf dem Friedhof der Gemeinde vergleicht. Ein Rebstock-Grab kostet pro Jahr 49,60 Euro, die Mindestruhezeit für Urnen liegt in Deutschland bei zehn Jahren. Ein Erdgrab auf dem Friedhof hingegen kostet für die 20 Jahre Mindestruhefrist insgesamt 480 Euro - das sind 24 Euro pro Jahr. Auch bei Familiengräbern ist die Differenz ähnlich. Im Friedweinberg kann man sich als Familien- oder Freundesgrab vier der acht Grabstätten rund um einen bestimmten Weinstock für um die 200 Euro pro Jahr sichern. "Das wird gut angenommen", berichtet Braun.
Nicht nur rechtlich gesehen, sondern auch theologisch wird der Friedweinberg wie ein Friedwald behandelt. "Die Kirchen haben kein Problem damit", erzählt Bürgermeister Braun. Der für die Gemeinde zuständige katholische Benediktinerpater und auch die evangelische Pfarrerin aus dem Nachbarort waren zur Einsegnung im Dezember dabei. Wichtig ist den Kirchen nur, dass die Grabstätte eines Toten klar verortet werden kann - also: Es muss zwar kein Name am jeweiligen Rebstock stehen, aber es ist klar geregelt, wo genau die Asche des Verstorbenen beigesetzt wurde. Kleine Metallkreuze auf den Pfählen der Rebstöcke zeigen an, wo Gräber sind.
Gegner habe es beim Projekt Friedweinberg nicht gegeben. Nur einen Anruf vom Weinbauverband. Der wollte sichergehen, dass die Trauben - allesamt pilzresistente Speisetraubensorten - nicht verarbeitet werden. "Das hatten wir ohnehin nicht vor", versichert der Bürgermeister. Auch gegessen werden sollen die Trauben nicht. "Wir machen im Sommer einen Grünschnitt und entfernen die Fruchtansätze", erläutert Braun. Die Rebstöcke sollen ja nur die Optik eines Weinberges ergeben, nicht dessen Ertrag: "Reife oder gar faulige Trauben mit Tausenden Wespen will man an so einem Ort der Ruhe, der Besinnung und Trauer schließlich nicht haben."
Ein bisschen Ärger gab es rund um die Eröffnung im Dezember dann doch. Nämlich um die Frage, wer denn nun den ersten Friedweinberg Deutschlands hat. Im Norden von Rheinland-Pfalz gibt es in Ahrweiler nämlich seit Mitte 2017 auf einem normalen Friedhof mehrere Rebstöcke, unter denen man sich bestatten lassen kann. Allerdings eben nicht wie im unterfränkischen Nordheim direkt umringt von echten Weinbergen. Jedenfalls war man in Ahrweiler wenig amüsiert über die Nordheimer, die sich damals als Planer des ersten Friedweinberges in Deutschland wähnten. Bürgermeister Braun nimmt's gelassen: "Ich hab die Idee niemanden geklaut, ich hab vorher nicht mal gegoogelt."