Die Erschaffung von Adam und Eva
"Dann formte Gott, der Herr, eine Frau aus der Rippe, die er Adam entnommen hatte" (1. Mose 2,22). So berichtet der Erzähler über die Entstehungsgeschichte der Menschheit. Für Generationen von Bibelauslegern galt Eva als das Anhängsel des Mannes, ein Mensch zweiter Klasse. Bei Adam hatte sich Gott noch richtig viel Mühe gegeben, seine ganze Kreativität eingesetzt und etwas völlig Neues erschaffen und bei Eva variierte er nur die Vorlage. Da war es natürlich klar, wer das Sagen hatte.
In der Aufklärung belächelten die Gelehrten den christlichen Glauben als Aberglauben. Für sie zählte nur die Wissenschaft. Doch diese behauptete genau das gleiche: Männer sind Frauen überlegen. Nur die Begründung war anders. Der Mann sei stärker – das zeige ja schon der Körperbau – und er sei klüger. Der wissenschaftliche Beweis? Das Gehirn der Frau sei kleiner als das des Mannes. Diese irrige Theorie konnte nicht mal von Frauenrechtlerinnen erschüttert werden, die argumentierten, dass demzufolge der Ochs klüger sein müsste als der Mensch.
Steht Eva wirklich hierarchisch unter dem Mann, weil Gott zuerst den Mann erschaffen hat? Wenn man so denkt, dann müssten die Tiere ranghöher sein als der Mann. Da sich Gott jedoch in seiner Schöpfungskunst steigerte, müsste demnach die Frau die Krone der Schöpfung sein.
Eva wurde als gleichrangige Ergänzung für Adam geschaffen. Luthers Übersetzung "Gehilfin" wies Eva und ihren Nachkommen jedoch eine Assistentenstelle zu. Im hebräischen Originaltext steht "eser kenegdo", das übersetzt werden kann mit "eine Helferin, die ihm entspricht". Die Wurzel dieses Wortes wird im Alten Testament aber vor allem dann benutzt, wenn Gott als Helfer gemeint ist. Und Gott als Helfer hat in unserer Vorstellung keinesfalls eine untergeordnete Position. Im Gegenteil, Gott ist derjenige, der uns hilft, weil wir es allein nicht schaffen. Damit bekommt Eva eine ganz andere Position. Frauen und Männer brauchen einander, keiner herrscht über den anderen.
Die andere, ältere Schöpfungsgeschichte erzählt die Erschaffung des Menschen folgendermaßen: "So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er sie, als Mann und Frau."(1. Mose 1, 27). Beide zusammen ergeben also ein Abbild Gottes. Mann und Frau sind unterschiedlich. Aber worin die Unterschiede bestehen, steht nirgendwo. Sie wurden erst später Frauen und Männern zugeschrieben und daraus Geschlechterrollen abgeleitet. Im Schöpfungsplan war kein Herrschaftsanspruch vorgesehen.
Gleiche Verantwortung für Mann und Frau
Dass Gott die Menschen als gleichberechtigt schuf, zeigt sich an vielen Stellen. In der ersten Schöpfungsgeschichte sagt Gott: "Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan." Hier steht nichts davon, dass Adam sich Eva untertan machen soll. Den Auftrag, über die Erde zu herrschen, und nicht übereinander, bekamen beide! Und auch den Auftrag, die Erde zu füllen. Zur Vermehrung der bis dahin spärlichen Bevölkerung war der Einsatz von beiden – von Mann und Frau gleichermaßen – notwendig. Und damit das Paradies wirklich ein Paradies war und sich Mensch und Tier nicht zerfleischten, verordnete Gott allen vegetarische Kost. Für die Menschen Beeren und Früchte und für die Tiere Gras und Blätter.
Aber auch den Auftrag, über die Erde zu herrschen, bekamen beide. Gott legte seine kostbare Schöpfung in die Hand der Menschen. Was für ein Vertrauensbeweis! Und welch eine große Verantwortung! Adam und Eva – Mann und Frau – sollten gemeinsam für Gottes Schöpfung sorgen. Hier steht nicht: "Adam, dir gehört hier alles: die Wiesen, die Felder, die Tiere. Du übernimmst das ganze Management. Und Eva kann ja Gemüse anpflanzen, die Kühe melken und später, wenn es keine Kühe mehr gibt, die Pferde striegeln und mit dem Hund Gassi gehen." Nein, die Erde wird beiden anvertraut, ohne dass irgendeiner von beiden ein besonderes Vorrecht hätte.
Ist Gott ein Mann?
Als Gott den Menschen zu seinem Ebenbild schuf, gestaltete er ihn als Mann und Frau. Gott ist nicht nur männlich, sondern auch weiblich. Jahrhundertelange Bibelauslegung, Fresken und Gemälde in Kirchen und Museen, haben das Bild geschaffen, dass Gott ein Mann ist. Gott als Frau ist für uns kaum vorstellbar. Wenn aber Gott den Menschen als sein Ebenbild, als Mann und Frau geschaffen hat, dann ist das Bild vom weiblichen Gott genauso berechtigt wie das Bild vom männlichen Gott. Aber diese Vorstellung ist ungewohnt, weil es keine Tradition dafür gibt. Der Allmächtige als Göttin? Das klingt in unseren Ohren heidnisch und ketzerisch.
Man kann den Schöpfer des Universums nicht auf einen Mann oder eine Frau reduzieren. Und doch vermittelt die Bibel Gott als einen Gott, der das Weibliche und das Männliche in sich vereint. Damit wird der Unbegreifliche greifbarer, Mann und Frau als Ebenbild Gottes. Es ist ein kleines Mosaiksteinchen von einem Bild, das wir noch nicht sehen können. Auch wenn wir nicht wissen, wie Gott wirklich ist, so ist es dennoch wichtig, diese weibliche Seite wahrzunehmen, denn sie bietet vielen einen unbelasteten Zugang zu Gott, vor allem "kirchengeschädigten" Menschen und ganz besonders Menschen, die Gewalt und Missbrauch durch Männer erfahren haben.