Seelsorger Josef Krebs
© epd-bild/Christian Flemming
Seelsorger Josef Krebs (li.) mit einem Truckerfahrer auf dem Parkplatz der Autobahnraststätte Wunnestein der A81 bei Helbronn. Der 60-Jährige ist Trucker-Seelsorger im Dienst der katholischen Dioezese Rottenburg-Stuttgart und ?ist im Nebenberuf Busfahrer. Für Josef Krebs ist Kirche überall dort, wo sie gebraucht wird. Auch zwischen 40 Tonnen.
Auf Achse im Auftrag des Herrn
Für Trucker-Seelsorger Josef Krebs ist Kirche überall dort, wo sie gebraucht wird. Auch zwischen 40-Tonnern.

Josef Krebs erinnert sich noch gut daran, wie der Fahrer aus Bulgarien ihm in gebrochenem Deutsch von der Geburt seines Kindes erzählt hat, bei der er nicht dabei sein konnte: "Klar kannst Du nach Hause fahren zu deiner Frau. Sicher kannst du dir freinehmen. Aber dann brauchst du nicht mehr zurückkommen", habe dessen Chef gesagt. Der Lkw-Fahrer sei dann nicht in die Heimat gefahren zu seiner hochschwangeren Frau. Josef Krebs, dem Trucker-Seelsorger, jagt die Erinnerung an solche Geschichten eine Gänsehaut über den Körper, wie er sagt. Dabei ist sein großzügiges Büro im Heinrich-Fries-Haus in Heilbronn gut geheizt.

Der 60-Jährige lehnt sich im Stuhl zurück und wirft einen Blick durch die Gläser seiner Brille an die Decke, als wolle er zum Himmel hinaufschauen. Nachher wird er sich auf den Weg zum Rasthof Wunnenstein bei Ilsfeld in Baden-Württemberg machen, wo unablässig der Verkehr der A 81 dröhnt. Zwischen 40-Tonnern wird er an Fahrertüren klopfen und ein offenes Ohr für die Geschichten der Truckerfahrer haben. Krebs ist Trucker-Seelsorger im Dienst der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Kirche muss zu den Menschen gehen

In seinem Büro hängen Bilder von amerikanischen Ureinwohnern, vom Revolutionär Che Guevara. "Das hat mit Fragen der Freiheit zu tun", sagt Krebs. "Befreiung" ist ein wichtiges Wort für ihn, er versteht darunter auch Auferstehung im christlichen Sinne. Wenn dem gestandenen Mann mit seinen langen grauen Haaren, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz, ein Lkw-Fahrer von seinen Sorgen erzähle, er etwas loswerde von seiner mitunter schweren Last, auch dann finde Befreiung statt.

Über Umwege sei er zu dieser Aufgabe gekommen, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Er erzählt, wie er als frisch ausgelernter Elektriker bald das Gefühl hatte, am falschen Platz zu sein. Dann Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und Studium der Theologie. Grübeln darüber, ob Priester werden das Richtige für ihn sein könnte. Er entscheidet sich dagegen, wird Pastoralreferent.

Als in Tübingen ein großer Arbeitgeber pleitegeht, gründet er ein Arbeitslosenzentrum mit. Das ist der Einstieg in die Betriebsseelsorge, zu der auch seine heutige Aufgabe in Heilbronn gehört: "Die Leute da abholen, wo sie sind." In der Kirche zu sitzen und zu warten, bis vielleicht mal jemand kommt - das sei nicht sein Verständnis von Kirchenarbeit. "Wir müssen dahin gehen, wo die Leute sind."

An diesem meteorologisch unentschlossenen Tag - zur Mittagszeit - zeigt sich noch nicht das Bild von Lastwagen, die keinen Platz mehr finden. Zwischen den Reihen des Rasthofs Wunnenstein sind noch viele Lücken. Ein frischer Wind bläst Josef Krebs ins Gesicht, als er sich die grüne Weste anlegt. Auf dem Rücken steht "Seelsorger für Fernfahrer". Er nimmt einen Stapel Bücher aus dem Kofferraum seines Autos. "On Tour" heißen sie. Er und seine Kollegen haben darin Geschichten und Gebete für Menschen auf Achse gesammelt oder selbst geschrieben. So eine Art Gotteslob für Brummifahrer.

Jetzt bewegt sich Krebs auf einen blauen Laster zu, hebt die Hand und tritt in Blickkontakt mit dem Fahrer. Der winkt sofort ab, macht eine Wischbewegung mit der rechten Hand. Der abgeblitzte Josef Krebs lächelt, zieht weiter.

"Natürlich war ich am Anfang noch aufgeregt", erinnert sich der Seelsorger. Es gelte schließlich, eine Hemmschwelle zu überwinden, Menschen anzusprechen, von denen er nie sicher sagen könne, wie sie reagierten. "Und ob man etwas zu hören bekommt, das einen dann lange beschäftigt", sagt Krebs. Etwa die Geschichte eines Fahrers, der in einen Unfall verwickelt war, bei dem ein Mensch gestorben ist. Dieser Mensch starb unter dem Lkw des Mannes. Krebs lernte den Fahrer bei einem Trucker-Stammtisch kennen, wie er erzählt. Er habe sich öffnen können, etwas von seiner Last abladen auf den Seelsorger, sich ein Stück weit befreien. "Auferstehung", sagt Josef Krebs jetzt wieder.

Er klopft an die nächste Fahrertür: "Ich bin von der Fernfahrer Seelsorge. Und ich wollte mich bedanken für das, was Du leistest." Sein Gegenüber - zwei Meter höher in der Fahrerkabine - schaut zunächst verdutzt, bevor er sich bedankt und runterhüpft von seinem Bock. "Da muss ich euch enttäuschen", sagt der Mann im blau-weiß karierten Hemd. "Ich jammer nicht. Mir geht es gut."

Der Lkw-Fahrer heißt Jürgen. Er kommt aus Magdeburg und ist ein Beispiel dafür, dass es noch "anständige Chefs" gibt, wie er sagt. Von den Kollegen bekomme er manchmal natürlich anderes zu hören. "Aber ich kann mit Horrorgeschichten nicht dienen." Krebs wird eines der "On Tour"-Bücher los. Jürgen steigt wieder ins Führerhaus und legt das Buch zur Seite.

Ohne Pause dröhnt der Verkehr, Dieselgeruch liegt in der Luft. Und die Parkbuchten der Lkw sind so angelegt, dass die Führerhäuser alle in Richtung Autobahn weisen. Dorthin, wo es am lautesten ist. "Schwachsinn", brüllt Krebs, um den Krach zu übertönen.

Gespräche auf Augenhöhe

Josef Krebs weiß ein bisschen, wovon er spricht. Als er seinen Posten in Heilbronn angetreten hat, machte er auch selbst den LKW-Führerschein. "Ich wollte nicht wie der Blinde von der Farbe sprechen", sagt Krebs, der dann nebenberuflich fuhr. Das macht er bis zum heutigen Tag, allerdings nicht als Fernfahrer, sondern früh morgens im Busverkehr.

Der Lkw-Führerschein hilft ihm dabei, schnell ein Gespräch auf Augenhöhe mit den Fahrern herzustellen. Osteuropäische Fahrer aber spricht Krebs diesmal nicht an, er hat heute keinen Dolmetscher dabei. Doch das Schicksal dieser Menschen mache ihn besonders betroffen, sagt er. Mindestlohn werde systematisch unterlaufen, Arbeitszeitregelungen ebenso. "Es gibt Fahrer, die sehen ihre Familie nur an Weihnachten und in den Sommerferien."

Das EU-Parlament hat sich Anfang April auf strengere Regeln für die Transportbranche geeinigt. Dazu gehören neue Mindestlohnvorgaben, auch sollen Lkw-Fahrer mindestens alle vier Wochen in ihr Heimatland zurückkehren dürfen. Allerdings muss der EU-Ministerrat noch zustimmen.

Die Regelung, wonach Fahrer ihre große Wochenpause nicht mehr auf der Pritsche im Führerhaus verbringen dürfen, findet Krebs grotesk: "Es gibt gar keine Infrastruktur für so ein Gesetz." Die Abertausende Betten, die dafür notwendig seien, existierten schlicht nicht. "Und wenn, dann könnten diese Fahrer sie nicht bezahlen."

Nirgendwo sonst als auf einem Rastplatz wird die Wohlstandsschere so sichtbar, sagt Krebs und erzählt: "Ich erinnere mich an einen Fahrer, der hatte vier neue Mercedes Luxuskarossen auf seinem Auflieger. Keine unter 100.000 Euro." Das Monatsgehalt des Truckers aus Rumänien: 800 Euro brutto.

"Dabei sind das die Menschen, ohne die in unserer Konsumgesellschaft gar nichts gehen würde." Mehr Respekt hätten sie verdient, sagt er. Organisieren sollten sie sich, wie in Frankreich oder Belgien, wo die Gesellschaft Lkw-Fahrer nicht am unteren Rand der sozialen Skala einsortiere. "Da heißen sie nicht Trucker, da heißen sie Chauffeure."

Josef Krebs klopft noch einmal an einen Lkw. Bedankt sich für die Arbeit, fragt nach dem Befinden. Der Fahrer sieht krank aus, weiß scheinbar nicht, was er sagen soll. Er streckt seine Hand durch das Fenster und nimmt ein Buch entgegen. Josef Krebs sagt noch etwas, aber ein vorbei donnernder 40-Tonner reißt die Wortfetzen mit sich, fort auf die lärmende A 81.