Der Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat das deutsche Staat-Kirchen-Verhältnis als "gefährdet" bezeichnet. Schuld daran sei die "immer stärkere Durchdringung nationalen Rechts durch europäisches Recht", sagte Müller in seiner Festrede beim Jahresempfang der evangelischen Kirchengemeinde Starnberg. Er persönlich sei jedoch der Auffassung, dass das deutsche Konzept der "wohlwollenden Neutralität von Staat und Kirche" der Gesellschaft in den letzten 70 Jahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes gut getan habe.
Die Gründungsväter und -mütter des Grundgesetzes hätten sich 1949 vor dem Hintergrund der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus bewusst für einen Kompromiss entschlossen: "Es gibt keine strikte Trennung von Staat und Kirche, aber es gibt auch keine Staatskirche", erklärte Müller. Der Staat sei zur Neutralität verpflichtet, gleichzeitig solle er Freiräume für Religion schaffen und fördern. Diese "Janusköpfigkeit" komme durch die Artikel 4 und 140 zum Ausdruck, die die individuelle Religionsfreiheit und das Staat-Kirche-Verhältnis regelten.
In der EU-Präambel sei aber kein Gottesbezug verankert, und in laizistischen Staaten wie Frankreich gebe es keinen Raum für die Vorstellung eines eigenen rechtlichen Gestaltungsraums von Kirche. So erkläre sich die restriktive Linie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei arbeitsrechtlichen Fragen. Nach Urteilen von EuGH und Bundesarbeitsgericht müsse sich jetzt das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen, ob beim Religionsverfassungsrecht europäisches oder deutsches Recht Vorrang habe.
Peter Müller ist seit 2011 Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Zuvor war der CDU-Poltiker zwölf Jahre lang Ministerpräsident des Saarlands. Das deutsche Grundgesetz ist am 24. Mai 1949 in Kraft getreten.