Im Knick zwischen Halle 1 und 2 präsentieren sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und das Bistum Erfurt auf der "Thüringen Ausstellung" in der Erfurter Messe. An ihrem gemeinsamen Stand steht links eine Stellwand zu den zehn Geboten, rechts ein Regal mit Broschüren. Im Hintergrund ist eine Karte zu sehen. Sie zeigt, wo die beiden Konfessionen zu Hause sind. Der eigentliche Hingucker sind indes drei Röhren.
In diese drei Röhren können Bälle in knalligem Orange eingeworfen werden. Darüber erklärt ein Schild, worum es geht: "Tempolimit 130 auf Autobahnen". Die möglichen Antworten lauten "Ja", "Egal" und "Nein". Um die Mittagsstunde sind die Röhren unterschiedlich gefüllt. Bei "Ja" finden sich die meisten Bälle. Es ist eine Momentaufnahme. Manchmal ist auch die "Nein"-Röhre als erste gefüllt, sagt Solveig Grahl von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM).
Auch dann werden alle entleert, die Blitzumfrage beginnt neu. Meistens, aber nicht immer, sind es die Männer, die mit "Nein" stimmen. Oft, aber durchaus mit Ausnahmen, werfen die Frauen ihr Bällchen bei "Ja" ein. Einige unterschreiben dann auch auf den ausgelegten Listen für die Petition, ehe sie weiterschlendern.
Solveig Grahl betreut die Auftritte der EKM in den sozialen Netzwerken, etwa bei Facebook. Während hier auf der Messe mit Leidenschaft, aber in der Regel freundlich, über das Thema Höchstgeschwindigkeit gestritten wird, ist sie im weltweiten Netz auch weniger netten Wortmeldungen ausgesetzt. Vor allem, seit ihre Kirche am Aschermittwoch eine Online-Petition für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern gestartet hat.
"Ein Tempolimit ist Gottesdienst im Alltag"
Der Kirche geht es um den Klimawandel und seine Folgen, um Nächstenliebe mit denen, die bei steigendem Meeresspiegel im Pazifik ihre Heimat verlieren und um Rücksicht auf die, denen das Leben - besonders auf den Schnellstraßen der Republik - viel zu stressig ist. Auch die Bewahrung der Schöpfung wird ins Feld geführt und mit dem Reifenabrieb argumentiert, der die Gewässer verschmutzt. "Ein Tempolimit ist Gottesdienst im Alltag", sagte Landesbischöfin Ilse Junkermann.
Doch die Wogen schlagen hoch: "Ich werde wegen dieser lächerlichen Aktion aus der evangelischen Kirche austreten!", lautet ein Facebook-Kommentar. "Warum macht ihr euch bei der EKM nicht in gleicher Weise für den Schutz ungeborenen Lebens stark?", heißt es in einem anderen. Ein Kommentator prophezeit: "Für diese 50.000 Unterschriften treten dieses Jahr wieder 500.000 aus der Kirche aus."
Nach drei Tagen schon 10.0000 Petenten
Die Zahl 50.000 spielt auf die laufende Petition an. "Kommen sie bis zum 3. April zusammen, muss sich der Petitionsausschuss des Bundestages der Sache annehmen", erklärt EKM-Sprecher Ralf-Uwe Beck. Jeden Tag müssten dafür knapp 1.800 Unterstützer gewonnen werden, rechnet er vor. Am Anfang schien das leicht, als es nach drei Tagen schon 10.000 Petenten gab. Auch am nunmehr zehnten Tag liegt das Projekt noch einige Hundert Unterstützer vor der Marke. Doch geht die Geschwindigkeit weiter zurück, wird es für das Tempolimit eng.
Einen Grund sieht man bei der EKM auch in mangelnder Hilfe durch die Schwesterkirchen. Nur die Nordkirche, die Bayern sowie die Landeskirche Hessen und Nassau sind in Sachen Petition bisher selbst aktiv, heißt es enttäuscht.
Dazu kommt ein unerwarteter Zwischenruf aus Torgau. Die Stadt in Nordsachsen gehört als Exklave zum EKM-Gebiet. Dort erregte sich via "Leipziger Volkszeitung" der CDU-Bundestagsabgeordnete Marian Wendt: "Grüne Verbotspolitik hat in der Kirche nichts zu suchen. Kirche darf nicht bevormunden und die Menschen gängeln", sagte er über die Petition. Er drohte: "Über notwendige Konsequenzen meiner persönlichen Mitgliedschaft in der EKM denke ich angesichts dieser politischen Ausrichtung stark nach."
Wendt ist nicht irgendein Abgeordneter. Der 33-Jährige steht dem Petitionsausschuss des Bundestages vor. Eben diesen Ausschuss will die EKM-Petition erreichen. Solveig Grahl wird derweil am Messestand gefragt, ob die Kirche das Tempolimit nicht den Parteien überlassen sollte. "Aber die trauen sich doch nicht, mit Blick auf ihre Wähler", erklärt sie einer älteren Dame. Die erwidert: "Da haben Sie auch wieder recht!"