Gerhard Tersteegen setzte vor mehr als 250 Jahren weitreichende neue Akzente im Protestantismus.
© epd-bild/Stefan Arend
Der Mystiker und Dichter Gerhard Tersteegen setzte vor mehr als 250 Jahren weitreichende neue Akzente im Protestantismus. Seine Korrespondenz ist im Stadtarchiv in Mühlheim an der Ruhr zu sehen.
Der Prediger und die Macht der Liebe
Vor 250 Jahren starb der Liederdichter Gerhard Tersteegen
Mystiker, Kräuterapotheker, Seelsorger, Liederdichter: Gerhard Tersteegen setzte vor mehr als 250 Jahren weitreichende neue Akzente im Protestantismus.
03.04.2019
epd
Von Christian Feldmann

Als "Ökumene" noch ein Fremdwort war, lebte im 18. Jahrhundert in Mühlheim an der Ruhr ein kleiner Bandweber namens Gerhard Tersteegen ein Christentum, das Barrieren überwand. Seine leidenschaftliche, tief innere, fast mystische Beziehung zu Gott kannte keine Feindbilder. Am 3. April 1769, vor 250 Jahren, starb Tersteegen im Alter von 72 Jahren in Mülheim an der Ruhr.

Unsterblich sind etliche seiner zahlreichen Kirchenlieder, die in evangelischen wie katholischen Gemeinden gesungen werden. Dazu zählen "Gott ist gegenwärtig" oder das Weihnachtslied "Jauchzet, ihr Himmel", in dem es heißt: "Sehet doch da: Gott will so freundlich und nah zu den Verlornen sich kehren." Seine klassischen Abendlieder verbreiten eine Stimmung von Frieden und Geborgenheit, die sich mit einer wehmütigen Sehnsucht nach der anderen Welt paart.

Und "Ich bete an die Macht der Liebe" nach einer Melodie von Dmitri Bortnjanski nahmen preußische Militärs im 19. Jahrhundert in die Zeremonie des Zapfenstreichs auf. Im Jahr 1757 erstmals veröffentlicht, ist es noch heute Teil des Großen Zapfenstreichs des Bundeswehr.

Grenzgänger war Tersteegen eigentlich schon von Geburt an: In Moers an der deutsch-niederländischen Grenze kam er 1697 zur Welt. Sein Vater war ein wohlhabender Kaufmann, doch er starb früh, hinterließ acht Kinder, und es war kein Geld da, um Gerhard das ersehnte Studium zu ermöglichen. Erst als Kaufmann, dann als Weber verdiente dieser sich seinen bescheidenen Lebensunterhalt.

Eine bekannte Schrift mit dem Titel "Geistliches Blumen Gärtlein" erschien 1769, dem Todesjahr Tersteegens.

Mühlheim an der Ruhr war damals ein Zentrum der Pietisten, einer ganz auf die Bibel und eine verinnerlichte Frömmigkeit konzentrierten Erneuerungsbewegung im Protestantismus. Es gab häusliche Bibelkreise und "Erweckungspredigten". Gerhard Tersteegen ließ sich begeistert darauf ein, erlebte Wechselbäder der Gefühle zwischen depressiver Verzweiflung und stürmischer Freude an Gott - und beschloss am Gründonnerstag 1724, mit 26 Jahren, sich Christus vorbehaltlos zu widmen. Mit seinem eigenen Blut soll er das Versprechen niedergeschrieben haben: "Meinem Jesu! Ich verschreibe mich dir, meinem einigen Heiland und Bräutigam, Christo Jesu, zu deinem völligen und ewigen Eigentum."

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Er war radikal und lebte zugleich eine unaufdringliche, schlichte Frömmigkeit. "Wahre Gottseligkeit", so erläuterte er, bestehe weder in einem äußerlich anständigen "bürgerlichen Leben" noch in fleißigem Gottesdienstbesuch oder Almosengeben und schon gar nicht in außerordentlichen Phänomenen wie Visionen oder Ekstasen. Vielmehr müsse das menschliche Herz in beständiger Übung zur Wohnung Gottes gemacht werden. Die Bibel sah er als einen "Liebesbrief Gottes".

Von Anfang an hat sich Tersteegen als Seelsorger betätigt und den Menschen in einer überraschend modernen Art von Pastoralarbeit zugewandt. Mindestens ebenso viel wie von Predigt und Schriftstellerei hielt er vom intensiven Einzelgespräch - und vom Bemühen, den Glauben in Freundeskreisen und kleinen Gruppen zu leben. Er begründete eine Bruderschaft, die sich den Mut zur Stille, das Gebet auch während der Arbeit und einen einfachen Lebensstil zum Ziel setzte.

Das Tersteegen-Haus in der Altstadt von Mülheim an der Ruhr. Es wird derzeit saniert.

Zu seinem Wohnsitz, dem heutigen Tersteegenhaus nahe der Petrikirche in der Mülheimer Altstadt, kamen zahlreiche Menschen. Als geduldiger, Mut machender Gesprächspartner war er gefragt - Ratsuchende sollen gar mit Leitern zu seinem Fenster hochgestiegen sein. Seinen Besuchern gab er nicht nur Meditationsworte aus der Bibel und praktische Ratschläge für den Alltag mit, sondern auch selbst gebraute Kräutertees und Naturheilmittel.

Seine Gedicht- und Liederbücher trugen so schöne Namen wie "Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen" oder "Der Frommen Lotterie". Und in seinen "Auserlesenen Lebensbeschreibungen Heiliger Seelen" porträtierte der Protestant Tersteegen ausschließlich Katholiken, streng an den Quellen orientiert und mit Blick auf ihr Alltagsleben.