Lars Müller-Marienburg ist synodales Mitglied der Evangelischen Kirche Österreichs.
© epd-bild/Marco Uschmann
Superintendent Lars Müller-Marienburg kämpft um den kirchlichen Beschluss einer Trauung für gleichgeschlechtliche Paare.
"Homosexualität ist kein Unfall"
Lars Müller-Marienburg hat eine klare Mission. Als erster schwuler Superintendent Österreichs kämpft er um den kirchlichen Beschluss einer Trauung für gleichgeschlechtliche Paare.

Strahlend blaue Augen blicken einem entgegen. Die leicht gebräunte Haut, ein wohliges Lächeln auf den Lippen und das locker sitzende schwarze T-Shirt lassen ihn entspannt aussehen. Der gut geschnittene Anzug durfte zuhause in St. Pölten, Niederösterreich bleiben, denn Lars Müller-Marienburg  macht gerade Urlaub im Süden. Vollkommen abzuschalten fällt ihm trotzdem schwer. Die angespannte Lage in der Heimat will ihn nicht so recht loslassen.

Denn aktuell bewegt sich die Evangelische Kirche Österreich in großen Schritten auf eine der wichtigsten kirchenpolitischen Entscheidungen zu. Am 9. März tagt die Synode zum zweiten Mal in Wien, um endgültig über die "Ehe für alle" abzustimmen. Ein vorangegangener Versuch Anfang Dezember blieb ergebnislos. Die Verschiebung des Beschlusses führt zur Bildung zweier Lager: vehemente Gegner treffen auf liberale Befürworter. Die Mitte scheint verloren. Als synodales Mitglied ist Lars Müller-Marienburg einer der Entscheidungsträger: "Meine Aufgabe als Superintendent ist, dass ich daran mitarbeite, dass eine richtige Entscheidung kommt. Aber die richtige Entscheidung muss eben auch beinhalten, dass die Gegner der ‚Ehe für alle‘ geschützt sind. Ich werde auf alle Fälle dafür kämpfen, dass es eine Lösung gibt, mit der so viele Leute wie möglich einverstanden sind, aber unter der Voraussetzung, dass die Trauung für alle kommen soll. Das wünsch‘ ich mir sehr!".

Seit seinem Coming-out mit 18 Jahren sind der Glaube und die Beziehung zu Gott fester Bestandteil und Fundament seiner selbst. Begeistert erzählt er, dass sein Leben damals regelrecht aufgeblüht sei, als er verstand, dass er von Gott angenommen und geliebt werde, wie er eben sei. Seine Berufung versteht der bunte Kollarhemden tragende Pfarrer bis heute als wichtigen Auftrag. "Das Missionarische und dass andere Leute auch erfahren wie super das mit Gott so ist, das will ich den Leuten einfach erzählen", berichtet der junge Kirchenfunktionär mit leuchtenden Augen.

Sich an der Diskussion und der Entscheidungsfindung über die Trauung für alle zu beteiligen scheint nicht leicht, angesichts der Involvierung auf persönlicher Ebene. Dennoch ist die berufliche Position, die der siebenbürgisch-Deutschstämmige als Superintendent einzunehmen hat, für ihn glasklar. Argumentiert wird selbstverständlich nicht aus dem eigenen Schwulsein heraus, denn es dürfe und solle nicht der Eindruck entstehen, er würde eine positive Entscheidung für sich selbst herbeiführen wollen. Der ernste Ausdruck, den seine Gesichtszüge dabei annehmen, macht ihn glaubhaft.

Für beide Parteien eine gemeinsame Diskussionsebene auf theologischer Basis zu finden, gestaltet sich nicht immer einfach. Dem gebürtigen fränkischen Ansbacher leuchten so manche Argumentationsstränge der Gegner schlichtweg nicht ein: "Als Theologe verstehe ich einfach nicht, wie man aus dem ersten Schöpfungsbericht, dem 6. Schöpfungstage, wo Gott Mann und Frau schafft und sagt, sie sollen fruchtbar sein und sich mehren, eine völlige Klarheit ableitet, wie eine Ehe auszusehen hat; obwohl von Ehe dort ja auch nichts steht. Und gleichzeitig lässt man den zweiten und vierten Schöpfungstag völlig außen vor und fängt nicht wieder an zu argumentieren, dass über der Erde ein Firmament aufgespannt ist, an dem Gott die Himmelskörper aufhängt und dass sowohl unter Erde als auch über dem Firmament Wasser ist. Hier nimmt man die Schrift dann nicht mehr wortwörtlich. Ich verstehe diesen selektiven Gebrauch des Wortes der Schöpfungsordnung einfach nicht". Ein kleiner Schatten legt sich über das sonst so fröhliche, neugierige Gesicht. Man spürt seine Frustration.

Gefühle und Emotionen lassen sich, trotz Müller-Marienburgs hohem Grad an Professionalität und seiner klaren beruflichen Positionierung, natürlich nicht abstellen: "Das Impulsive, das ich da gerne mal entgegnen würde, kann ich nur in meinen Kopfpolster schreien (lacht). Wieso glauben manche Leute, dass sie Gott gegen schwule und lesbische Beziehungen verteidigen müssen? Das hat Gott nicht verdient. Das ist schließlich kein Unfall, sondern eine Tatsache des Lebens, von der wir nicht genau wissen, warum es sie gibt". Die blauen Augen blitzen hinter der schwarz umrandeten Brille förmlich auf. 

Lars Müller-Marienburg bei der Amtseinführung im Talar.

Die persönliche Verletzung greift tief. Trotz seiner langen und glücklichen Glaubensgeschichte, seinem Status als Superintendent und der Wertschätzung seiner vielfältigen Arbeit, ist Lars Müller-Marienburg nicht gefeit vor den Angriffen seiner Gegner. Es bestürze ihn, wie zielsicher bewusst gewählte Worte einschlagen und vermögen würden einen Zweifel aufkommen zu lassen, dass man Christ und zugleich schwul sein kann. "Wo genau dann mein Leben in der Schöpfungsordnung vorkommt, würde ich sie dann manchmal gerne fragen. Ist es ein Unfall? Selbstverschuldet? Wie auch immer. Aber dann möchte ich auch, dass sie mir in die Augen schauen und das zu mir sagen und den ganzen jungen Leuten auch, ihren Kindern und Enkeln und Konfirmanden. Und mir dann aber auch erklären, wie das mit dem Konzept eines liebenden Gottes zusammenpasst. Wo bleibt da die gute Botschaft?".

Bereits bei der Wahl zum Superintendenten im Jahr 2016, hat der Jüngste vierer Geschwister die Zukunft fest im Blick. Auf die Frage, weshalb gerade er gewählt worden wäre, reagiert der fortschrittliche Kirchenamtsträger bescheiden: "Das ist schwer zu sagen. Ich habe einfach versucht den Leuten klar zu machen, was mir wichtig ist; dass man sich überlegt, wo es mit der Kirche hin geht und dass wir nicht nur Verwalter von bisher Vorfindlichem sind". Die religiöse Lebensrealität im Land hat er kritisch im Blick: "Wir müssen eben schauen, wie die Religionen in Österreich eine Rolle spielen können. Momentan gibt es nur Leute, die wollen, dass Religion gar keine Rolle mehr spielt. Oder es gibt diejenigen, die an dem Katholischen Festhalten und die Evangelischen bis zu einem gewissen Grad dulden. Da hat ja keiner mehr Lust darauf".

Jährlicher ökumenische Empfang von Kardinal Schönborn in Wien.

Die hohe Bedeutsamkeit und Aktualität des anstehenden Synodenbeschlusses ist unumstritten. Der leidenschaftliche Freizeitsportler wird jedoch nicht müde zu betonen, dass dies nicht den Kern seiner Arbeit darstelle. Die Synode ist nur ein Aspekt, welcher durch die hohe mediale Begleitung gerade omnipräsent wirkt. Andere Bereiche, wie beispielsweise die ökumenische Arbeit, sind ebenfalls Teil seiner Tätigkeit und liegen ihm sehr am Herzen. Die Begegnung mit dem Fremden mache das Eigene umso klarer. Es sei unglaublich schön zu sehen, "dass niemand von uns eben alles hat oder alles kann. Außerdem ist Ökumene immer auch ein bisschen Urlaub von den eigenen Leuten (lacht)". Den Humor versucht sich der lebensfrohe Dreitagebart-Fan stets zu behalten.

Seine vielfältigen privaten Interessen sind eine willkommene Abwechslung für den passionierten Hobbysportler. Oft schnappt er sich nach getaner Arbeit  sein Rennrad um den Kopf frei zu bekommen. Auch die Musik spielt eine große Rolle im Leben des 42-Jährigen. Er bezeichnet sich selbst als ehrgeizigen Chorsänger, spielt Ukulele und alle möglichen Tasteninstrumente und wenn es die Zeit erlaubt, verreist er ins Warme.

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Für die Zukunft der Kirche wünscht sich der traditionsbewusste Kirchenvertreter vor allem eines: "dass es ihr um Gott geht und nicht um den Erhalt der eigenen Institution. Und es wäre wünschenswert wenn die Leute hinter dem ganzen medial aufgeplusterten Bild des hippen, schwulen Pfarrers vor allem eines entdecken: nämlich etwas wahnsinnig Konservatives und Langweiliges. Ich will Gutes über Gott und seine Kirche sagen, um nichts anderes geht’s mir".

Seit seiner Konfirmandenzeit weiß Lars Müller-Marienburg, dass er später einmal ins Pfarramt möchte. Heute begegnet man einem hingebungsvollen, offenen und gleichzeitig zutiefst frommen Pfarrer; ein talentierter Mensch mit einer klaren Vision, seiner Berufung aus Leidenschaft nachzukommen und den Leuten Lust zu machen, nach Gott zu fragen.