Generationenchor
Foto: epd-bild/Hubert Jelinek
Rund 80 Menschen im Alter von sieben bis 90 Jahren stimmen sich unter der Anleitung von Kreiskantor Benjamin Dippel aufs gemeinsame Singen ein.
Modellprojekt vereint Jung und Alt in einem Chor
Kinder, Eltern, Großeltern und demnächst noch die Uroma - im neuen Chor in Northeim herrscht Vielklang. Das Projekt, das Generationen musikalisch zusammenführt, soll auch für andere ein Beispiel geben.
07.02.2019
epd
von Cristina Marina

"Sisa, sisa, sosa, sosa", singt der siebenjährige Marcel und öffnet beim "A" den Mund weit - wie zu einem Gähnen. Seine Schwester, seine Eltern und gleich beide Omas und Opas tun es ihm gleich. In dicken Winterpullis ist die Familie ins Gemeindehaus der St.-Sixti-Kirche Northeim zu einer Chorprobe gekommen. Wie rund 70 weiteren Kindern und Erwachsenen wird ihnen schnell warm. Kräftig schütteln sie sich, strecken sich lang, schlürfen und pusten - dann stimmen sie erste Töne an. In einem Modellprojekt der hannoverschen Landeskirche singen in Northeim in den nächsten drei Monaten bis zu vier Generationen gemeinsam in einem Chor.

Kantor Benjamin Dippel stimmt Zeile für Zeile eines Liedes an. Der 38-Jährige leitet in der Gemeinde alles, was mit Musik zu tun hat. Das sind unter anderem eine Singschule für die Kleinen, die Kantorei "St. Sixti" für Erwachsene und den Chor "Sixti Plus" für Ältere ab 60 Jahren. Doch normalerweise singen alle Altersgruppen getrennt und nur bei wenigen Veranstaltungen im Jahr zusammen. Deshalb hat Dippel nun zusammen mit Silke Lindenschmidt von "Vision Kirchenmusik" - der Einrichtung für Musikvermittlung in der Landeskirche Hannovers - den "Generationenchor" ins Leben gerufen.

Derlei Chöre sind eher selten, weiß Lindenschmidt, die unter anderem mit besonderen Konzertformaten neue Wege in der Kirchenmusik auslotet: "Es gibt punktuelle Begegnungen bei Konzertprojekten." Manchmal gingen Chorsänger als Singpaten in den Kindergarten oder ein Kinderchor singe im Pflegeheim für die Senioren. "Im Rahmen einer Chorarbeit mit künstlerischem Anspruch ist das Generationsübergreifende eher seltener zu finden." Auch der Deutsche Chorverband sieht in "integrativen Singangeboten" einen neueren Trend.  Während Posaunen-Chöre seit Jahrhunderten Generationen zusammenführten, sei dies beim Singen schwieriger, erläutert Lindenschmidt. Kinder mit noch nicht fertig ausgebildeten Sing-Stimmen bräuchten eine andere Anleitung als Erwachsene. Für den Generationenchor in Northeim wird deshalb der Komponist Bernhard König ein eigenes Stück schreiben. Die Aufführung wird der NDR in einem Radiogottesdienst am 24. März aus der St.-Sixti-Kirche live übertragen.

Doch erst einmal arbeitet der Laienchor meist ohne Noten. Mit klaren Stimmen singen Marcel und Noemi Elsaesser mit sechs anderen Kindern vor. Der übrige Chor folgt, zunächst zaghaft, mit jedem Mal sicherer. Auf einmal hallt es nicht drei-, nicht vier-, sondern siebenstimmig: "Ein neuer Tag ist da". "Und jetzt ganz leise", flüstert Dippel. Augenblicklich werden alle Stimmen leiser, halten aber präzise den Ton. "Unglaublich", freut sich Dippel. Dass schon die erste Probe so gut werde, der "rote Faden" sich derart schnell bilde, habe er nicht erwartet. Nicht nur auf die eigene Stimme zu achten, sondern zugleich auch auf die des Nachbarn, erfordere Geschick.

Wie viele aus dem Ort singen in der Familie Elsaesser seit ihrer Schulzeit alle. "Im Chor und beim Wäsche-Aufhängen auch", wie Marcels 70-jährige Oma erzählt. Im Generationenchor spielt für Silke Lindenschmidt noch etwas anderes eine Rolle. Eltern seien beruflich mehr und mehr eingespannt und Kinder besuchten oft die Ganztagsschule, sagt sie. "Wenn alle etwas gemeinsam machen, ist das wertvolle Familienzeit." Auch Marcel betont: "Ich finde es toll, wenn alle da sind." Der Jüngste der Familie hatte darauf bestanden, dass auch der Opa mitkam. Beim nächsten Mal will Familie Elsaesser sogar mit vier Generationen dabei sein. Da nicht viel nach Noten gesungen wird, kann die 92-jährige Uroma mitproben, auch wenn ihre Augen nicht mehr so gut sind.