Zufrieden schauen sich Petra Nora Karrasch, Michael Seifert und Klaus Rudolf um. Sie haben schon eine ganze Menge geschafft, aber auch noch ziemlich viel zu tun. Karrasch ist Vorsitzende des Freundeskreis Horburger Madonna, Seifert und Rudolf bezeichnen sich selbst als "Mitglieder". Die Vierte im Bunde ist Antje Böhme. Sie ist unter anderem Pfarrerin für die evangelische Kirchengemeinde Horburg-Zweimen im Kirchenkreis Merseburg. Horburg und Zweimen sind Ortsteile von Leuna in Sachsen-Anhalt. Die Kirchengemeinde umfasst gerade mal 500 Mitglieder.
Doch unter dem Dach der kleinen Kirchengemeinde hat sich seit 2011 etwas für die ganze Region ganz Großes entwickelt: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten engagieren sich für die Horburger Marienkirche aus dem 14. Jahrhundert. Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten ist die Horburger Madonna. Die etwa um 1250 aus Tuffstein gemeißelte Skulptur fristete über viele Jahrzehnte ein Schattendasein. Gleichwohl bezeichnet sie Holger Kunde, Stiftsdirektor der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz, als Kunstwerk von europäischem Rang. Die Horburger Madonna gehörte stilistisch zum "skulpturalen Kernbestand des Naumburger Meisters", so Kunde in einem Flyer des Freundeskreises.
Die Geschichte der Madonna spiegelt die Kirchengeschichte der Region wider. Sie wurde nicht nur um 1250 erschaffen, sondern kam zur gleichen Zeit nach Horburg. Nach dem Einzug der Reformation zwischen 1530 und 1561 ließ ein Magister Köppe die Madonna um 1700 zertrümmern. Sie wurde in den Altartisch eingemauert. Aus der Altarrückwand ragte nur noch ein Fragment des Kopfes heraus. Auch die anderen gotischen Kunstwerke verschwanden in irgendwelchen Abstellkammern.
Dieser Zustand wurde erst im Zuge einer Renovierung der Kirche Ende des 19. sowie im 20. Jahrhundert beendet: Im 19. Jahrhundert kehrten die Kunstwerke zurück und 1930 wurde die Altarrückwand geöffnet – zutage trat der Kopf der Madonna. Weitere Teile der Figur fanden sich im Altartisch und wurden vom Bildhauer Christian Schmidt aus Halle wieder zusammengefügt.
Doch die Freude hielt nur wenige Jahre an, denn durch den Zweiten Weltkrieg und in der DDR geriet die Madonna wieder in Vergessenheit. Heute hat sie wieder einen prominenten Platz in der Kirche – ebenso wie die anderen gotischen Kunstwerke: der Gekreuzigte und Figuren einer Krönungsgruppe aus der Zeit um 1500 sowie die Sakramentsnische mit Kreuzigungsgruppe, Taufbecken und Taufschale.
Die Madonna ist Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten. Und nicht nur das: Sie hat den Ausschlag dafür gegeben, dass sich Menschen wie Karrasch, Böhme, Seifert und Rudolf für die Skulptur und die Marienkirche ins Zeug legen. Erste Überlegungen, derartiges zu tun, gab es im Jahr 2011. Damals war die Horburger Madonna im Rahmen der Landesausstellung Sachsen-Anhalt im Naumburger Dom zu sehen.
Aber erst, als sich die Mädchen und Jungen der Kindertagesstätte und der Grundschule anfingen für ihre Kirche und das Innenleben zu interessieren, beschlossen die Erwachsenen, etwas zu tun. Hinzu kommt, dass Horburg an der Route des Ökumenischen Pilgerwegs liegt. Also folgten eine Kirchenführung, ein Orgelkonzert und zahlreiche andere Aktivitäten. Richtig losgehen mit den Aktivitäten des Freundeskreises konnte es, nachdem der Gemeindekirchenrat im Februar 2015 grünes Licht gegeben hatte.
"Wir möchten diese Kirche lebendiger und wieder zum Mittelpunkt des Dorfes machen", sagt Rudolf. Dies soll in erster Linie durch unterschiedliche Kulturveranstaltungen zwischen Mai und Oktober geschehen. "Dafür fehlt uns allerdings zurzeit die Infrastruktur", sagt Karrasch. Das liege daran, dass die Kirchengemeinde Horburg-Zweimen keine eigene Pfarrstelle mehr hat. Und da das ehemalige Pfarrhaus nicht mehr zur Verfügung steht, können die Kirchenfreunde zum Beispiel keine Toiletten mehr anbieten und es gibt keine Küche.
Immerhin ist schon in Sachen Restaurierung einiges geschehen. Als erster von drei Abschnitten ist laut Karrasch die Madonna umgesetzt worden. Und es gibt zum Teil neue Kirchenfenster, die der Glasmaler Jochem Poensgen aus Soest gestaltet hat. Im zweiten Bauabschnitt stehen die Herrichtung der Kapelle als "Raum der Stille" sowie als Winterkirche mit Heizung auf dem Programm. Poensgen soll zudem weitere Fenster gestalten. Bauabschnitt Nummer drei beinhaltet den Einbau von Toiletten und die Mauerwerksanierung inklusive Ausmalung der Kirchenwände im Inneren. Das alles, so schätzt die Freundeskreis-Vorsitzende, kostet mehrere hunderttausend Euro. Konkrete Kalkulationen gibt es bislang nicht. Noch nicht mit eingerechnet ist die mittel- bis langfristig notwendige Restaurierung der Orgel, die am Ende des 19. Jahrhunderts erbaut worden ist.
Trotz oder gerade wegen dieses Riesenprojekts sieht Pfarrerin Böhme, selbst erst seit 2013 in der Region, die Entwicklung positiv. Vor allem durch die Kulturveranstaltungen ließen sich auch die Menschen an die Kirche binden, die sonst gar nichts damit zu tun haben. "Deshalb", erinnert sie sich, "waren wir seitens der Gemeinde auch erfreut, mit dem Freundeskreis gemeinsame Sache zu machen." Die Aktivitäten seien eine "Lebenserhaltungsmaßnahme der Kirchengemeinde". Immerhin, so die Pfarrerin, seien allein in Sachsen-Anhalt nach 40 Jahren real-existierendem Sozialismus mit seiner atheistischen Grundeinstellung nur noch rund zehn Prozent der Bevölkerung Mitglied einer Kirchengemeinde.
Für die Zukunft setzt Böhme auf die jungen Familien mit kleinen Kindern, die sich in der Region niederlassen. "Die bleiben dabei", weiß sie. Und: "Hier bewegt sich etwas in ganz kleinen Schritten. Für mich ist spürbar, dass sich die Menschen durch die Arbeit des Freundeskreises für die Kirche interessieren."
Um ihr Ziel zu erreichen, haben sich die Horburger dem Verband der Kirchbauvereine Sachsen-Anhalt (VDKSA) angeschlossen. Karrasch hebt indes hervor, dass der Freundeskreis mehr im Sinn hat: Es gehe um Bürgerbeteiligung sowie Kultur- und Bildungsarbeit. Deshalb sei der Freundeskreis auch noch dem Landesheimatbund Sachsen-Anhalt angebunden. Alleine mit der Mitgliedschaft im VDKSA können die Horburger auf ein weit verzweigtes und gut funktionierendes Netzwerk zurückgreifen. Denn nach Auskunft von Friedemann Kahl, Sprecher der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM), gibt es derzeit über 350 Kirchbauvereine in Sachsen-Anhalt. Sie werden von der Landeskirche gefördert – zum Beispiel durch Workshops über Fundraising und den Förderpreis "Der goldene Kirchturm". Dies alles ist durchaus auch im Eigeninteresse der EKM – immerhin verfügt sie laut Kahl über 20 Prozent aller Kirchen in Deutschland. Heute würden sich wie in Horburg vielfach auch Menschen ohne konfessionelle Bindung in den Vereinen engagieren. Sie haben zwar nichts mit Gott, Pastor und Co. am Hut, doch die Kirche, weiß der Pressesprecher, "die muss im Dorf bleiben."