Herr Rohls, wie geht moderne protestantische Theologie mit dem Höllen-Begriff um?
Jan Rohls: Mit der Vorstellung von der Existenz eines Teufels ist seit der Aufklärung auch die Höllenvorstellung verblasst. Noch im 16. Jahrhundert finden wir bei Ignatius von Loyola die Empfehlung, sich die Hölle konkret vorzustellen, den Schwefel zu riechen, das Rasseln der Ketten zu hören, mit denen die Verdammten gefangen sind. 300 Jahre später haben sich diese Vorstellungen aufgelöst. In Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow" wird Hölle als das Gefühl definiert, nicht mehr lieben zu können. Das zeigt die radikale Umformulierung der ursprünglichen Höllenvorstellung: Sie wird entmythologisiert und existenzialistisch interpretiert.
Sie haben einmal davon gesprochen, dass die Hölle die Möglichkeit war, "postmortale Gerechtigkeit" herzustellen. Was heißt das?
Rohls: Um das zu erklären, muss man sehen, wie die Höllenvorstellung überhaupt entstanden ist. In der altisraelitischen Überlieferung gab es keine Hoffnung über den Tod hinaus. Das änderte sich später. Und weil böse Taten von Einzelnen innerirdisch oft nicht bestraft wurden, entstand die Vorstellung einer Hölle als Pendant zum ewigen Heil - als Ort, an dem böse Taten zumindest nach dem Tod gesühnt würden. Die Frage nach Gerechtigkeit ist natürlich immer noch relevant. Theologie heute bietet dafür allerdings kaum Lösungsansätze. Denn wie sollte so ein Ausgleich für ausgebliebene weltliche Gerechtigkeit aussehen? Kein noch so schönes Jenseits wird ein leidvolles irdisches Leben aufwiegen können.
Auch wenn die Hölle theologisch also überholt ist, wird der Begriff im Alltag häufig gebraucht...
Rohls: Das ist richtig. Denken wir an den gerade vergangenen Holocaust-Gedenktag: Natürlich kann man sagen, Auschwitz war die Hölle. Das hat dann aber mit dem traditionellen Höllengedanken nichts mehr zu tun. Die Hölle im ursprünglichen Sinn war gebunden an Recht und Unrecht, sie bestrafte sozusagen nachträglich eine Ungerechtigkeit. Das kann man von einem Konzentrationslager gerade nicht behaupten - es ist selbst die Ungerechtigkeit schlechthin.