Lautes Stimmengewirr erfüllt den Raum. Die Besucher sitzen auf Kissen vor der Leinwand, die gerade erst aufgebaut wurde und es riecht nach frischen Popcorn. Bis auf den letzten Sitzplatz ist das provisorische Kino mitten in Nairobi besetzt. Dann geht das Licht aus und die kenianische Filmfigur "Supa Modo" ("Superheld") zieht das Publikum rein in ihre Geschichte. Heute ist Filmabend im Café von Abba Arunga Kidenda und Kagure Wamunyu, das vieles sein will: Kino, Coworkingspace, Restaurant, Spieletreff.
Sechs Wochen ist es her, dass die beiden Frauen aus Nairobi das Lava Latte eröffnet haben und sich damit einen Wunsch erfüllt haben: Eine neue Heimat für die wachsende kreative Szene in der kenianischen Hauptstadt zu schaffen, den es so noch nicht gab, in dem das Gehalt der Besucher egal ist, in dem es um Kaffee und Geschäfte geht. "Wir sind so etwas wie die verlängerte Uni-Fachschaft", sagt Abba Kidenda. Sie will mit ihrem Konzept vor allem die "creative working class" bedienen, der es in der Stadt bislang an entspannten Orten zum Arbeiten und Netzwerken fehlt.
An der Straße deutet nichts darauf hin, dass sich hier ein einladender Ort verbirgt. Ein großes weißes Tor am unauffälligen Gebäude ohne Hinweis: "Wir warten noch auf die Genehmigung, ein Schild aufzustellen. Solange sind wir eben ein geheimer Ort", sagt Abba Kidenda. Immerhin ist die chinesische Kaffeemaschine ist nun auch endlich in Betrieb, nachdem sie am eigentlichen Eröffnungstag noch im Zoll feststeckte.
Findet der Besucher dann doch auch ohne Hinweisschild seinen Weg über den Parkplatz, zwischen zwei weiteren Gebäuden hindurch und dann noch ein paar Treppenstufen hinunter, dann befindet er sich in einer Szene, die man so in jeder anderen kosmopolitischen Metropole erwartet: modisch gekleidete junge Menschen sitzen auf Metallstühlen mit bunt bezogenen Kissen. An den dezent gelb gestrichenen Wänden hängen kleine Leinwände, ein Scherenschnitt von Frida Kahlo und ein Foto von einem Mädchen auf dem Feld. Dieser Ort ist anders als die meisten Restaurants und Cafés in Nairobi. Die sind meist entweder sehr spartanisch oder sehr schick.
Die beiden Gründerinnen haben in den USA studiert. Sie gehören zu den 2,6 Prozent der kenianischen Studierenden, die, nach Angaben der UNESCO, im Ausland studieren. Beide waren Stipendiatinnen eines Förderprogramms für weibliche Nachwuchsführungskräfte. Nach ihrem Abschluss zogen sie zurück nach Nairobi, suchten sich Jobs. Abba Kidenda im Finanzsektor, Kagure Wamunyu als Ingenieurin. Im Hinterkopf hatten die beiden allerdings immer die Idee Chefinnen eines gemütlichen Cafés zu sein.
Seit Jahren sprechen Beobachter in Kenia von einer wachsenden Mittelschicht mit Nairobi als ihrem Ballungszentrum. Und doch ist der Anteil an der Gesamtbevölkerung gering, nur rund 15 Prozent der Kenianer*innen haben laut Weltbank einen weiterführenden Schulabschluss. Der Entwicklungssoziologe Florian Stoll forscht zur Mittelschicht und wie sie sich in den letzten 20 Jahren quasi aus dem Nichts entwickelt hat. Er schreibt: Mittelschicht ist in Kenia vor allem durch das Einkommen definiert. Nach dem kenianischen Statistikamt gehören diejenigen dazu, die monatlich knapp über 200 Euro bis 1740 Euro verdienen. Doch darin verbergen sich, so Stoll, unterschiedlichste Lebensstile und Milieus. Wer zum Beispiel 200 Euro im Monat zur Verfügung hat, wird sich einen Abend im Lava Latte eher nicht leisten können. Nach Ansicht der Bloggerin Brenda Wambui ist die "middle middle class", also der Anteil, der weder kurz vor der Oberschicht, noch kurz vor dem Abrutschen in die Armut steht, verschwindend gering.
Doch es gibt sie und Abba Kidenda und Kagure Wamunyu gehören dazu. Auf einer gemeinsamen Reise in den Senegal 2016 entdeckten die beiden jungen Frauen in Dakar ein Café, das ihnen nicht mehr aus dem Kopf ging und zum Vorbild für ihr eigenes Unternehmen wurde. Ein Café, in dem sie sich sofort zuhause fühlten. Sie kamen jeden Tag wieder. Und beschlossen dann: Das brauchen wir auch.
Als junge Unternehmensgründerinnen sind sie in Nairobi in guter Gesellschaft. Bezhalen mit dem Smartphone, Solarsysteme für Haushalte ohne Stromanschluss, Büros in alten Frachtcontainern oder Apps für nachhaltige Landwirtschaft - seit gut 10 Jahren werden in Nairobi regelmäßig innovative Unternehmensideen umgesetzt. Vor allem technikbasierte Start-ups sind im sogenannten "Silicon Savannah" erfolgreich. Unterstützung und die nötige millionenstarke Finanzierung kommen vor allem aus dem Ausland in Form von Unternehmerstipendien, von Entwicklungsfunds oder von Konzernen. In Nairobi selbst einen Kredit für ein Unternehmen zu bekommen - auch wenn es nur um kleine Summen geht - ist schwer.
Anfang 2018 machten Abba Arunga Kidenda und Kagure Wamunyu Ernst: Sie rechneten genau aus, wie viel Geld sie brauchten, legten zusammen und liehen sich den Rest von ihren Familien. Sie überlegten, was für Räume sie wollten und mussten ihre Erwartungen schnell zurückschrauben, denn der Mietmarkt in Nairobi ist angespannt. Am Ende fanden sie dann einen Ort oberhalb der Innenstadt, nahe der Uni: Mit Parkmöglichkeit aber ohne Toiletten.
Da die beiden Frauen noch ihren eigentlichen Jobs nachgingen, hieß es erst nach Feirabend, Wände einreißen, Küche bauen und streichen, damit aus dem Objekt ohne Charme, ihr Traumcafé werden konnte. Mühsam sind bis heute sind die Behördengänge. Es kostet Zeit, bis Beamte Dokumente mit ihrer Unterschrift beglaubigen. Einfacher hingegen gestaltet sich die Personalsuche, da sie hierfür die schnellen Sozialen Medien, wie Twitter oder Facebook nutzen. Kanäle, die sie auch für die Werbung nutzen.
Jetzt sitzen die Gäste draußen, was in Nairobi wegen der viel befahrenen Straßen sonst oft nur in Einkaufszentren möglich ist. Aus den Lautsprechern klingt Musik der kenianischen Afro-Pop Band Sauti Soul und der nigerianische Sängerin Simi. Es gibt - ganz kosmopolitisch - Paninis und Salat, aber eben auch Mandazis und Samosas, in Kenia beliebte Snacks. Essen und Getränke werden zu Preisen verkauft, die man so auch auf Karten in Berlin oder Paris findet.
Abends und am Wochenende sind meist alle Plätze besetzt. Aber damit sich das Lava Latte halten kann, muss das Mittagsangebot noch besser angenommen werden. Dann würde auch der Plan der beiden Gründerinnen aufgehen "in 12 Monaten eine zweite Filiale" zu öffnen. Wichtig dabei: jeder Standort soll seinen eigenen Charakter haben. "Wir wollen kein Kettengefühl". Deswegen gibt es eben nicht nur Kaffee sondern auch Kultur. Sie laden Musiker zur Konzerten ein, Designer zu Märkten und zeigen Filme. "Wir hätten nie gedacht, dass wir auch nur ein einziges Ticket verkaufen könnten", sagt Abba und grinst. Die Filmvorführung von "Supa Modo" war schon im Vorhinein ausgebucht. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass Leute bereit sind, für Kultur zu bezahlen.
Nach dem Film ist Zeit für Networking. Kagume Wamunyu tauscht Nummern mit einer kenianischen Besucherin, Abba Kidenda unterhält sich mit einem Gast aus Bermudas. Die Runde löst sich langsam auf. Die beiden Gründerinnen hoffen, dass die Gäste wiederkommen. Und im besten Fall ihre Freunde mitbringen.