Etliche junge Christen aus dem benachbarten Pfarrbereich Alt-Töplitz gehen in der Kleinstadt Werder an der Havel in Brandenburg zur Schule und haben dort ihre Freunde. Nicht selten besuchen sie dann den Konfirmandenunterricht der Evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde Werder. Häufig werden deshalb gemeinsame Projekte mit Jugendlichen aus Alt-Töplitz organisiert. Das ist ein Beispiel für eine Situation, die die Gemeinden hier bisher aus kirchenstruktureller Sicht schwierig empfanden, denn sie gehörten jeweils zu anderen Kirchenkreisen. Seit dem 1. Januar 2019 ist das anders. Die Heilig-Geist-Kirchengemeinde wechselte vom Kirchenkreis Potsdam zum Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg (EKMB).
Und damit ist die Kirchengemeinde, die bisher strukturell quasi isoliert war, sozialräumlich an ihre Nachbargemeinden angebunden. Die Gemeindepädagogin und der Kantor sind bereits beim neuen Kirchenkreis angestellt. Das erleichtert, gemeindeübergreifende Kooperationen zu entwickeln, etwa bei Chorprojekten oder in der Jugendarbeit, schildert Pfarrer Georg Thimme. Für ihn sei das eine Bereicherung. Eine gute und schlanke Verwaltungsstruktur bilde das Grundgerüst einer funktionierenden Gemeindearbeit. "Damit kann ich die Kräfte, die ich habe, vernünftig einsetzen", erklärt er.
Zwar hängt draußen am Pfarramt auf der Altstadtinsel von Werder noch das alte Schild, doch im Herzen fühlt sich die Gemeinde schon ihrem neuen Kirchenkreis zugehörig. Bevor es richtig losgeht, gilt es noch pragmatische Dinge zu erledigen; etwa neue Schilder, neue Visitenkarten, neues Logo und neue E-Mail-Adressen. Im Kreiskirchenrat und im Pfarrkonvent wollen sich Georg Thimme und seine Kollegin Pfarrerin Andrea Paetel beizeiten vorstellen. Viele Kollegen, darunter der Superintendent Siegfried-Thomas Wisch, kennen sie bereits. An Himmelfahrt ist ein Open-Air-Festgottesdienst geplant.
Pure Harmonie also? Dass der Kirchenkreiswechsel heute allen Beteiligten - inklusive dem Kirchenkreis, der verlassen wurde - plausibel erscheint, war ein Prozess. Denn bereits seit 20 Jahren wird darüber diskutiert. Seit der politischen Neuordnung nach der Wende gehört Werder zum Landkreis Potsdam-Mittelmark; kirchenrechtlich blieb die Heilig-Geist-Kirchengemeinde aber beim Kirchenkreis Potsdam.
In den Folgejahren wurden etliche umliegende Dörfer zur Stadt Werder eingemeindet. Die Kirchenkreisgrenze verlief seither durch den Ort. Aufgrund dieser Randlage fühlte sich die Heilig-Geist-Kirchengemeinde dem ländlich geprägten Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg (früher Kirchenkreis Lehnin) zugehörig. "Es gab oft Themen in Potsdam, zum Beispiel die Stadtkirchenarbeit, mit der wir uns hier nicht identifizieren konnten", erläutert Georg Thimme. Auch zuvor habe es bereits Bemühungen gegeben, den Kirchenkreis zu wechseln. Sie scheiterten aus unterschiedlichen Gründen.
Im November 2017 beantragte schließlich die Heilig-Geist-Kirchengemeinde bei der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) den Kirchenkreiswechsel. Voraus gingen Gespräche und Diskussionen mit allen Beteiligten über etwa vier Jahre. Die Kirchenleitung hielt den Wechsel für sinnvoll und fasste einen Beschluss, die Kirchenkreisgrenzen entsprechend zu ändern. Darauf folgte ein vorgeschriebenes Prozedere aus Anhörungsverfahren in Sondertagungen der Kreissynoden.
Die Generalsuperintendentin des Sprengels Potsdam Heilgard Asmus unterstützte den Wechsel-Antrag der Heilig-Geist-Kirchengemeinde. In einer Stellungnahme formulierte sie: "Die Begründungen sind nachvollziehbar und sorgfältig von der Gemeinde geprüft und beschrieben worden."
Ebenso befürwortete der EKMB den Wechselwunsch. "Es war ein strukturelles Problem, das die Werderaner trieb, unabhängig von Personen wie Pfarrern, Superintendenten oder Gemeindekirchenräten", begründet es Superintendent Siegfried-Thomas Wisch. Für seinen Kirchenkreis bedeute der Wechsel nicht nur einen Zuwachs von etwa 3.000 Gemeindegliedern, sondern auch einen weiteren Baustein in der laufenden Regionenbildung. Werder sei jetzt die größte Kirchengemeinde im Kirchenkreis und werde Vertreter in die verschiedenen Gremien entsenden. "Das bringt neue Ideen und frischen Wind und das finde ich gut", erklärt Wisch.
Die Kreissynode des Kirchenkreises Potsdam indes lehnte den Wechselwunsch zunächst ab. Sie könne aber der Veränderung zustimmen, wenn zum Beispiel die finanzielle Kompensation des entstehenden Minus im Haushalt geklärt sei. Denn ohne eine Änderung der Finanzverordnung würde laut Beschlussvorlage der Wechsel des Kirchenkreises für den Kirchenkreis Potsdam einen Verlust von rund 363.500 Euro pro Jahr an Kirchensteueranteilen bedeuten.
"Das war uns gar nicht so klar und damit betraf es die komplette Landeskirche", erinnert sich Georg Thimme. Der Grund seien verschiedene Gemeindegliederschlüssel. Die ländlichen Kirchenkreise bekämen pro Gemeindeglied etwas mehr Geld als städtische Kirchenkreise. Daraufhin passte die Kirchenleitung die jeweiligen Gemeindegliederschlüssel in der Finanzverordnung entsprechend an. Laut Prognose für 2019 blieben dennoch Mindereinnahmen von etwa 70.000 Euro beim Kirchenkreis Potsdam. Nachher wurde vereinbart, dass der aufnehmende Kirchenkreis für fünf Jahre je 50.000 Euro zahlt, heißt es in der Beschlussvorlage.
Zusammenarbeit und Kooperation gehen weiter
Am 26. Oktober 2018 beschloss die Landessynode ohne Gegenstimmen bei sechs Stimmenthaltungen die Vorlage. Damit war der Weg für den Kirchenkreiswechsel frei. "Für den Kirchenkreis Potsdam bedeutet dies in erster Linie einen Verlust von Menschen im Gesamtklang unserer Gemeinden und Gremien und das bedauern wir sehr", findet Superintendentin Angelika Zädow. Zugleich wünsche man der Gemeinde einen guten Start im neuen Kirchenkreis. Die erreichte Einigung hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen sei von den zuständigen Gremien im Kirchenkreis Potsdam akzeptiert worden. Die Erfahrung zeige, dass es ab und zu Gründe gebe, Gemeindezugehörigkeiten zu ändern, doch "grundsätzlich denke ich, dass Grenzen - ganz gleich auf welcher Ebene - nicht das Ende von Kooperationen und Zusammenarbeit bedeuten", erklärt die Superintendentin.
Offen über alles reden und einander wertschätzen – das habe letztendlich zum Erfolg geführt, fasst Georg Thimme zusammen. Die Kunst bei diesem Prozess sei es gewesen, die Bedürfnisse und Befürchtungen der unterschiedlichen Parteien ernst zu nehmen und ihnen gerecht zu werden. "Zwar profitieren nicht alle von dem Kirchenkreiswechsel, aber alle können wenigstens sagen: wir tragen das."