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TV-Tipp: "Tatort: Weiter, immer weiter" (ARD)
6.1., ARD, 20.15 Uhr
Eigentlich müssten die verschiedenen ARD-Sender schon aus Kostengründen perfekt miteinander vernetzt sein. Da die Kommunikation aber anscheinend nicht so gut funktioniert, wie sie könnte und sollte, kommt es im Filmbereich gelegentlich zu Doubletten, weil zwei Redaktionen ähnliche Stoffe entwickeln lassen.

Überschneidungen kann es natürlich auch bei erzählerischen Stilmitteln geben, was sich nur vermeiden ließe, wenn irgendjemand einen detaillierten Überblick über die verschiedenen Projekte hätte. Das ist anscheinend nicht der Fall, denn sonst hätte diese Person vermutlich verhindert, dass das "Erste" zwei Wochen nach dem Schwarzwalddrama "Damian" einen Krimi aus Köln ausstrahlt, der auf exakt die gleiche Offenbarung am Schluss setzt. Das allein ist programmplanerisch schon mal ausgesprochen ungeschickt. Hinzu kommt, dass die Erkenntnis, die ganze Zeit an der Nase ’rumgeführt worden zu sein, in diesem Fall längst nicht so verblüffend ist wie beim Breisgau-"Tatort": weil sich viele erfahrene Krimihasen gar nicht erst täuschen lassen.

Zweites Manko ist die Darstellerführung. Regisseur von "Weiter, immer weiter" ist Sebastian Ko, der im Rahmen des "Tatort" mit "Kartenhaus" (2016), "Wacht am Rhein" (2017) und "Mitgehangen" zuletzt drei sehenswerte Krimis für den WDR gedreht hat. Im dritten Film waren die beiden Kommissare komplett zerstritten, weil Ballauf (Klaus J. Behrendt) nach Ansicht des Kollegen Schenk (Dietmar Bär) rücksichtslos eine Familie zerstörte. Auch diesmal sorgt das Drehbuch dafür, dass sich die beiden Ermittler entzweien, aber nun sind die Auseinandersetzungen deutlich weniger glaubwürdig: Der Konflikt wirkt konstruiert, die entsprechenden Szenen wirken daher immer eine Spur zu laut oder zu aggressiv. Das gilt auch für die Hauptrolle, obwohl sie mit Roeland Wiesnekker gleichfalls vorzüglich besetzt ist.

Der Schweizer spielt einen Streifenpolizisten, mit dem Schenk vor vielen Jahren während der Ausbildung befreundet war. Die Handlung beginnt mit einer Verkehrskontrolle, die aus dem Ruder läuft: Ein gehetzt wirkender junger Mann springt aus dem Auto und rennt vor eine Straßenbahn. Der schockierte Lorenz kann aber noch einen Blick auf die Verfolger des Opfers erhaschen. Seine Beschreibung des Fahrzeugs führt zu einer russischen Familie, die offenbar zur organisierten Kriminalität gehört. Lorenz ist überzeugt, der Junge sei den Russen bei einem Drogendeal in die Quere gekommen. Die Ermittlungen verlaufen jedoch im Sande, weil sich außer der Aussage des Polizisten keine weiteren Hinweise oder Indizien finden lassen; auf den Bildern der verschiedenen Überwachungskameras ist nicht mal das Fahrzeug der Gangster zu sehen. Zunächst glaubt Lorenz, das Auto befinde sich im toten Winkel hinter einem Lieferwagen, aber als er von einem Informanten erfährt, dass es einen Maulwurf bei der Polizei gibt, ist er überzeugt, dass die Bilder manipuliert worden sind. Weil er niemandem mehr vertrauen kann, führt er die Ermittlungen auf eigene Faust.

Das ist eine gute Krimistory, keine Frage, und Wiesnekker ist eine ausgezeichnete Besetzung für den Beamten, der sich in eine fixe Idee verrennt und wie besessen nach der Wahrheit sucht. Arne Nolting und Jan Martin Scharf, für "Weinberg" und "Club der roten Bänder" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, haben ihre Autorenqualität schon oft bewiesen, zuletzt unter anderem mit "Alles was Sie sagen" (2018), einem NDR-"Tatort" mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz, dessen Rückblendenkonstruktion ein raffiniertes Spiel mit den Zuschauern getrieben hat. Etwas Ähnliches, wenngleich ohne Rückblenden, schwebte ihnen offenbar auch mit "Weiter, immer weiter" vor. Der Titel bezieht sich auf einen Monolog des von Schenk zu Recht als "eigenwilliger Charakter" beschriebenen Polizisten, aber auch diese Szene ist viel zu dick aufgetragen, zumal Wiesnekker seine Texte hier stets mit übertriebener Emphase vorträgt. Zur Ruhe kommt Lorenz nur in den Gesprächen mit seiner Schwester, die ihn als Stimme der Vernunft zur Besonnenheit mahnt.

Da Ko die meisten anderen Szenen überinszeniert, fallen diese Momente der stillen Einkehr auf verräterische Weise aus dem Rahmen. Das ist bedauerlich, weil die Geschichte eigentlich ziemlich clever ist und am Ende einige kleine Knüller präsentiert, die auch dann noch funktionieren, wenn man den Autoren längst auf die Schliche gekommen ist. Dass Ko sein Handwerk versteht, belegen der packend inszenierte Auftakt, das dramatische Finale sowie eine spannende Actionszene in einer Waschstraße. Die Bildgestaltung (Moritz Anton) ist ohnehin ausgezeichnet, die Musik von Olaf Didolff deckt ein breites Spektrum ab: von treibendem Elektrosound in den Thrillerpassagen bis zu zärtlich-sanften Chopin-Melodien.

Ballauf und Bär schließlich müssen einen Konflikt austragen, der anders als in "Mitgehangen" nicht auf moralischen Beweggründen basiert und daher nicht überzeugt: Während Schenk den Schilderungen dem Kollegen glaubt und prompt ausrastet, als Ballauf die Ermittlungen für beendet erklärt, wirkt dessen Arroganz gegenüber dem Streifenbeamten genauso unmotiviert wie Schenks Aggressionen gegen den allerdings in der Tat aufreizend träge agierenden Assistenten Jütte (Roland Riebeling), den er schließlich gar für den Maulwurf hält. Der teure Oldtimer, den sich Jütte mit dem vermeintlichen Bestechungslohn anschafft, entpuppt sich als Modellauto; ein treffendes Bild für diesen Film, der ein großer Krimi hätte werden können.