Anne Kampf: Bei der Lesbentagung in Bad Boll haben Sie am Sonntag im Gottesdienst um Vergebung gebeten. Wofür eigentlich genau?
Gabriele Arnold: Ich habe um Vergebung gebeten dafür, dass Menschen aus dem LSBTTIQ*-Bereich – jetzt waren es ja speziell Lesben – in unserer Kirche sehr viel Leid und Unrecht erfahren haben. Sie sind diskriminiert worden. Sie konnten sich nicht zeigen und man hat ihre Liebe im Grunde schlecht gemacht oder mit Füßen getreten, würde ich sogar sagen. Etwas Schlimmeres, finde ich, kann eine Kirche nicht tun.
War das, was Sie gesagt haben, spontan oder geplant?
Arnold: Geplant, aber nicht schon vorher, sondern es ist entstanden aufgrund der vielen Gespräche, die ich Freitagabend und Samstag geführt habe. Dabei ist mir nochmal deutlich geworden, wie sehr die Frauen verletzt wurden durch die Kirche, durch den Zwang, sich nicht zeigen zu können. Außerdem ist mir auch nochmal deutlich geworden, dass ja die Tagung in Bad Boll viele Jahre sehr geheim oder auch umstritten war. Samstagnacht ist bei mir der Entschluss gereift zu sagen: Wir müssen uns da als Kirche entschuldigen. Das ist ja jetzt auch nicht das erste Mal. Es gibt ja die "Gesichtspunkte im Blick auf die Situation homosexueller kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" aus dem Jahr 2001, ein offizielles Dokument unserer Landeskirche, und darin heißt es schon, dass die württembergische Landeskirche anerkennt, dass sie an der Diskriminierung und Verfolgungsgeschichte homosexueller Menschen einen Schuldanteil zu übernehmen hat. Außerdem gab es auf der Synode im November 2017 den Vorschlag, dass der Landesbischof (Frank Otfried July, Anm.d.Red.) sich öffentlich bei Lesben und Schwulen entschuldigen soll. Der Bischof hat vor kurzem in einem Zeit-Interview gesagt, dass er das tun wird, wenn die Debatte abgeschlossen ist.
Sie haben Ihre Vergebungsbitte in Bad Boll vor dem Abendmahl ausgesprochen. Was hat sie damit zu tun?
Arnold: Also normalerweise, das hab ich ja auch am Sonntag im Gottesdienst gesagt, bitten vor dem Abendmahl die Gäste, die daran teilnehmen, Gott um Vergebung. An dieser Stelle, dachte ich, es ist notwendig, die andere Vergebungsbitte zu äußern, und zwar nicht so, dass Gott vergibt, sondern dass uns die Lesben vergeben.
Wie haben die Frauen reagiert?
Arnold: Ich hatte den Eindruck, dass die Frauen sehr emotional darauf reagiert haben, sehr berührt, sehr dankbar. Im Nachgang zu dem Gottesdienst sind einige Frauen zu mir gekommen, haben sich bedankt und mich in den Arm genommen. Sie haben gesagt, dass es ihnen einfach unglaublich gut tut, wenn mal gesagt wird, dass die Kirche auch schuldig geworden ist.
Würden Sie es verstehen, wenn manche nicht (oder jetzt noch nicht) vergeben können?
Arnold: Ja. Um Vergebung kann man immer nur bitten, Vergebung kann man nicht einfordern.
Denken Sie im Nachhinein, dass Ort und Zeitpunkt für so ein großes Wort passend waren?
Arnold: Das denke ich schon, denn es waren ja über hundert Frauen da, und zwar viele, die selber in ihrer Lebensgeschichte diese Verwundungen und diese Schmerzen erlebt haben. Insofern denke ich, dass es sehr passend war an dieser Stelle. Es war nicht im Rahmen einer Synode in die Öffentlichkeit hinein gesprochen, so wie unser Landesbischof das wohl bald tun wird, sondern es war sehr konkret für die betroffenen Frauen. Das heißt nicht, dass es geheim war, sondern schon als Wort, das wirklich Geltung haben soll.
Sie waren ja Schirmfrau des Stuttgarter CSD 2017 und haben sich also schon einen Namen gemacht als Unterstützerin von LSBTTIQ* (haben sich sozusagen "geoutet"). Jetzt haben Sie an der Bad Boller Lesbentagung teilgenommen, sind also richtig tief hineingegangen in einen Teil der Community. Warum ist ihnen das wichtig?
Arnold: Es hat natürlich erstmal biografische Gründe, nämlich dass ich sehr gute, sehr tiefe und langjährige Freundschaften mit Lesben und Schwulen habe und dass ich auch selber immer in Kirchengemeinden LSBTTIQ* als Mitarbeitende hatte. Sie haben nicht verdeckt gelebt, sondern konnten in der Atmosphäre dieser Gemeinden, in denen ich gearbeitet habe, dazu stehen. Und es hat natürlich einen theologischen Grund: Ich finde, dass jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung bis hin zu Verächtlichmachung mit dem Evangelium nicht vereinbar ist, dass da einfach eine rote Linie überschritten wird. Wenn in einer Kirche Menschen wegen ihrer Liebe verachtet oder ausgeschlossen werden, dann wird eine Kirche schuldig.
Gerade in Ihrer Landeskirche ist das ja ein Politikum. Bei der Synode 2017 ist eine Segnung für gleichgeschlechtlich liebende Menschen knapp gescheitert …
Arnold: Unser Bischof hat seitdem wirklich unermüdlich versucht, nochmal mit den Gruppierungen in der Synode ins Gespräch zu gehen. Ich finde es ganz großartig, dass er sich da persönlich so einsetzt. Es ist ein modifizierter Kompromissvorschlag entstanden, der in die synodalen Ausschüsse verwiesen worden ist zur Beratung und der eventuell im Sommer der Synode noch einmal zur Entscheidung vorgelegt wird.
Rechnen Sie damit, dass das irgendwann "was wird" in Württemberg?
Arnold: Natürlich wird das irgendwann was in Württemberg, ich weiß nur noch nicht, wann. Aber wenn ich nicht damit rechnen würde, dann müsste ich mich ja nicht dafür einsetzen.
Sie haben ja auch als CSD-Schirmfrau 2017 einiges eingesteckt an Kommentaren, an Mails … Wie halten Sie es aus, da so zwischen den Fronten zu stehen?
Arnold: Ich bin einfach zutiefst davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass wir als Kirche hier weiterkommen. Und da ich leidenschaftlich in dieser Kirche lebe und arbeite, muss ich mich dafür einsetzen, dass das, was ich wichtig finde und was ich theologisch richtig finde, in unserer Kirche gelebt wird. Dann halte ich das halt aus.