Ein Priester in schwarzem Gewand segnet am 8. Dezember in Paris Polizisten und Demonstranten, nur zwei Schritte vom Triumpfbogen entfernt. In Minutenschnelle macht das Foto die Runde in den sozialen Netzwerken. Auf seine Aktion von CheckNews, einer Fact-Checking-Plattform befragt, erklärt Pater Grégoire Corneloup, der besagte Geistliche aus dem Pariser Vorort Trie-Château im Nachhinein: "Wir hofften, Frieden in die Herzen der Menschen zu bringen." An diesem Tag werden schwere Auseinandersetzungen befürchtet, nachdem die sog. "Gelben Westen" ab Ende Oktober ihre Aktionen zunächst übers Internet starteten, dann auf Frankreichs Strassen ausweiteten. Seit dem 17. November demonstrieren sie jeden Samstag auch in Paris. Es kommt zu Ausschreitungen und Plünderungen mit immer mehr Schaden und Verletzten unter Polizisten wie Protestierenden. Auch Gilles Boucomont, Pfarrer der vereinten protestantischen Kirche Frankreichs (EpudF) im Pariser Viertel Belleville betet am 8. Dezember vor Beginn der Demonstrationen am Platz der Bastille mit anderen Gläubigen für eine Beruhigung der Lage.
Von Krise spricht in der Kirche kaum jemand
Angesichts der Spannungen fordern die Kirchen ihre Gläubigen zum Beten auf, um ein Blutbad zu verhindern. Vereinzelt rufen Bischöfe zum "Dialog" auf. Obwohl auch Gläubige auf Strassen und an Kreisverkehren in Frankreich gelbe Westen tragen, wollen sich die Verantwortlichen der Kirchen das symbolische Kleidungsstück nicht anziehen. Sie befinden sich wie die Verantwortlichen von Parteien und Gewerkschaften in der misslichen Lage angesichts des Risikos, von der protestierenden Basis nicht als Zwischenhändler akzeptiert zu werden. Die gelben Westen sehen sich alleine stehend, vor Staat und Staatspräsident. Bis Anfang Dezember ist aus christlichen Kreisen nicht viel zur Krise zu hören.
"Was soll die Kirche Intelligentes und Konstruktives zu den Gelbwesten sagen?" fragt Xavier Malle, Bischof von Gap auf Twitter. Die katholische Arbeiteraktion (action catholique ouvrière ACO) veröffentlichte am 23. November ein Communiqué, das die "oft verächtliche und arrogante Macht gegenüber den Schwächsten" anprangert, die "die Reichsten" bevorteile. Dennoch ruft der Sprecher der Organisation dazu auf, am gewerkschaftlichen oder politischen Leben teilzunehmen und warnt vor den Risiken und den politischen Vereinnahmungen von Bewegungen "ohne Strukturen".
Gelbwesten: Schwer zu identifizierendes Phänomen
Keine Organisation und keine Sprecher, das Risiko von Übergriffen... die Gelbwesten sind ein schwer zu identifizierendes Phänomen, das die Zurückhaltung der Kirche rechtfertigt. Bei aller Sympathie für die Not der Menschen, die anfangs noch einzig gegen die Verteuerung des Benzins protestierten und ihre Forderungen dann immer mehr und in alle Richtungen ausweiteten, will auch die christliche Arbeitjugend sich zu keiner Position durchringen. Dasselbe gilt für die christliche Landjugend (MRJC, Mouvement rural de jeunesse chrétienne). "Die Forderungen der Gelbwesten unterscheiden sich von einer Gruppe zur nächsten," stellt Simon Coutand vom nationalen Büro der Organisation ratlos fest.
Der katholische Hilfsdienst "secours catholique" spricht sich für "soziale Gerechtigkeit und die Bewahrung unseres gemeinsamen Hauses" aus. Die Organisation unterstützt die Energiewende, der Grund für die Erhöhung der Benzinpreise, bedauert aber, dass unter dieser Ökosteuer die "beinahe Armen" leiden, die sie immer öfter in Empfang nehmen muss: "Für diese Menschen sind ein paar Dutzend Euro an der Tankstelle gleichbedeutend mit Opfern bei grundsätzlichen Ausgaben."
Armut ist die Wirklichkeit
Am 21. November verfasst Gilbert Aubry, der Bischof von Saint-Denis auf der Réunion-Insel im pazifischen Ozean, einen "engagierten Text". In diesem Überseedepartement haben die Proteste und die Ausschreitungen dazu geführt, dass der Präfekt Ausgangssperren verhängt. Unter dem Titel "Die gelben Westen und die Randalierer, Ursachen und Lösungsmöglichkeiten" erinnert der Bischof an die Lage des Überseedepartements: "40 Prozent unserer Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze und die Arbeitslosigkeit liegt bei 24 Prozent"."Manche sagen, sie haben am Monatsende nichts mehr zu essen" betont Aubry: "Das ist die Wirklichkeit."
Langsam wird auch auf Radio Notre-Dame über die Gelbwesten diskutiert. Der Bischof von Beauvais bedauert ein "schädliches Klima". Für Jacques Benoit-Gonin sind die Protestierenden "leidenschaftlich, schwer, ungreifbar." Es handele sich um Menschen, die bisher nicht auf dem allgemeinen Radar vorkamen und ihren "Überdruss" ausdrücken, der einem Gefühl des Verlassenseins, des Nicht-Existierens und der Bedeutungslosigkeit entspringe. Der Bischof erklärt auch, nicht gleichgültig bleiben zu können angesichts von Menschen, die sich wie "auf der Müllhalde" fühlen.
Ein tiefer Bruch zwischen den Eliten und dem Rest
Alle Kirchen wollen die Sorgen der Menschen um ihre Kaufkraft teilen, alle fordern Solidarität. Keine Religion engagiert sich eindeutig für die Gelbwesten. Der Generalsekretär der Bischofskonferenz Frankreichs, Olivier Ribadeau Dumas, unterstreicht die "Rolle und die Verantwortung" der Katholiken beim Wiederaufbau von sozialen Bindungen. Anfang Dezember verurteilt er auf Twitter Gewalt und weist auf einen "tiefen Bruch zwischen den "Eliten" und denen, die sich beiseite gelegt fühlen" hin. Dann erklärt er gegenüber der Tageszeitung "La Croix": "Wir müssen zuhören, einen Dialog führen und besänftigen."
Auch der nationale Rat der evangelischen Kirchen Frankreichs ruft angesichts der Demonstrationen am 8. Dezember in Paris und in der Provinz zum Gebet auf und zum Apeasement. Von Anfang an waren viele Protestanten spontan auf der Seite der Protestbewegung. Krankenpfleger Yanick nimmt seit dem 17. November an "Schnecken"-Operationen und Straßensperren teil, demonstriert auch in Paris. Der Vater zweier Kinder erzählt, dass er nicht auf Gold rolle, dennoch aber nicht für sich selbst handele: "Ich will vor allem zeigen, dass ich das Leid der Gelbwesten teile und verstehe." Auf Facebook postet er ein Foto von Martin Luther King mit einem Satz des Baptistenpfarrers, der für die Menschenrechte kämpfte: "Jeder hat die Verantwortung, ungerechten Gesetzen nicht zu gehorchen."
Der Nationalrat der Evangelen Frankreichs CNEF (Conseil national des évangéliques de France) ruft zum Gebet auf. Die Zeitung des CNEF schmücken Bibelzitate fürs Gebet für die Regierenden und für die Ordnungskräfte, damit "Polizei und Gendarmen "maßvoll und professionell" bleiben. Auch die Protestanten im Elsass wollen nicht Zuschauer der Spannungen im Land bleiben: In einem Communiqué verurteilen sie körperliche und verbale Gewalt, wollen aber über die Not der Demonstranten hören. Sie beten "für die Regierung und das Parlament, die Krise zu lösen".
Die Bewegung ist nicht mehr nur in Frankreich
Die französischen Muslime beäugen die Bewegung zunächst mit Sorge, zumal vereinzelt rassistische und islamfeindliche Worte zu hören waren. So wurde Anfang November eine Muslima gezwungen, ihren Schleier abzulegen. Andere Gelbwesten beschimpften eine schwarze Französin und übergaben Illegale, die sie an einer Sperrung in einem LKW entdeckten, der Polizei. Doch schnell breitet sich die Bewegung der Gelbwesten aus bis in islamische Länder, zum Beispiel in Palästina und Algerien. In dem nordafrikanischen Land findet am 9. Dezember in Bejaia ein "Marsch der Freiheiten" statt, bei dem die Demonstrierenden gelbe Westen tragen. Von Belgien bis Israel, über Burkina Faso und Irak wird das Kleidungsstück zum Symbol einer gegen Armut und Verachtung protestierenden Bevölkerung.
Am 11. Dezember veröffentlicht der ständige Rat der Bischofkonferenz von Frankreich einen Aufruf "an die Katholiken Frankreichs und an unsere Mitbürger", in dem er "Diskussionsgruppen" mit Gläubigen und Ungläubigen empfiehlt. Die Kirche will einen Raum bieten, in dem Brüderlichkeit gepflegt werden kann. Der Aufruf wird in zahlreichen Kirchen verlesen. Die Verkäuferin Nathalie hört ihn auf der Messe in der Kathedrale Notre Dame de la Croix im 20. Pariser Arrondissement. "Ich hoffe zunächst, dass das Weihnachtsgeschäft doch noch in Gang kommt", meint die 55jährige praktizierende Katholikin: "Ich hatte noch keine Zeit, über den Appell nachzudenken." Seit vergangenem Samstag scheint die Bewegung an Kraft zu verlieren.