Sie haben das Drehbuch für den Fernsehfilm "Unser Kind" geschrieben. Worum geht es?
Kristl Philippi: Der Film "Unser Kind" erzählt von Menschen, die aus Angst ein Kind zu verlieren, Grenzen überschreiten. Katharina bringt nach einer künstlichen Befruchtung Baby Franz zur Welt. Ihre Frau Ellen möchte Franz so schnell wie möglich adoptieren. Aber das Jugendamt fordert ein Adoptionspflegejahr. Dann stirbt Katharina bei einem Unfall. Da die Adoption noch nicht geregelt ist, ist Ellens rechtliche Beziehung zu ihrem Kind unsicher. Als sich der Samenspender und auch Katharinas Eltern zunehmend um das Kind bemühen und der nichtbiologischen Co-Mutter Ellen die Mutterschaft streitig machen, beginnt ein Kampf um die Elternschaft.
Was ist das Problem?
Philippi: Die klare Mehrheit in Deutschland ist dafür, dass homosexuelle Paare in Deutschland bei der Ehe und auch Familiengründung mit heterosexuellen Paaren gleichgestellt sein sollen. Konkret geht es dann um die Fragen: Was macht uns zu Eltern? Was macht unsere Identität als Vater oder Mutter aus? Wie schreiben wir selbst und diese Identität zu und wie schreiben andere sie uns zu? Auch die Figuren im Film verstehen sich als offene, tolerante Menschen. Plötzlich unterscheiden dann aber diese liberale Menschen zwischen blutsverwandt und gefühlsverwandt und setzen das wertend für sich ein. Das verleitet die Figuren zu drastischen Schritten. Das wollen wir mit dem Film aber nicht bewerten, uns nicht über die Figuren stellen. Wir wollen ihre Handeln nachvollziehbar machen. Diese Figuren, das sind wir alle. Es reicht eben nicht zu sagen, ich bin tolerant, gehöre also zu den Guten. Hinter der Liebe zum Kind entwickeln die Figuren entwertende, negative Gefühle. Und das steckt in jedem von uns. Letztlich ist das ein Kampf ums emotionale Überleben in einem Konflikt, der nicht zu lösen ist.
Wie werden lesbische Mütter derzeit bei uns ungleich behandelt, wenn sie Eltern werden?
Philippi: Wird ein Kind in eine heterosexuelle Ehe geboren, ist der Mann automatisch der rechtliche Vater. Wird ein Kind in eine lesbische Regenbogenfamilie hineingeboren, wird der Co-Mutter nicht automatisch die Mutterschaft zuerkannt – auch nicht nach der jetzigen Gleichstellung mit der Ehe für alle. Das heißt, solange das Abstammungsrecht nicht überarbeitet ist, kann ein Kind, dass in eine lesbische Ehe geboren wird, nur über die Stiefkind-Adoption zwei rechtliche Eltern bekommen. Das ist nicht gerecht. Vor allem für das Kind.
Was bedeutet das für die Co-Mutter?
Philippi: Bis die Adoption vollzogen ist, hat die Co-Mutter überhaupt keine Rechte. Nach meinen Recherchen kann der Adoptionsvorgang sehr demütigend, vor allem für die Co-Mutter, sein. Sie muss fremde Menschen nicht nur in die eigenen vier Wände, in das eigene Liebesleben und in die eigene Beziehung lassen, sondern auch in den eigenen Körper. So sind beispielsweise ein HIV-Test und eine Art psychologisches Gutachten nötig. In gewissen Zusammenhängen ist das sinnvoll und zum Schutz des Kindes gedacht. Wenn man sich aber vorstellt, solch einen umfassenden Test müsste jeder Mensch durchlaufen, bevor er zum rechtlichen Elternteil eines Kindes werden darf... Der Adoptionsvorgang ist für viele Paare auch kaum vorhersehbar, denn er wird von Jugendamt zu Jugendamt unterschiedlich gehandhabt. Auch das Adoptionspflegejahr wird mal gefordert, mal nicht. Dieses Pflegejahr ist im Adoptionsrecht festgeschrieben. Bei einer "klassischen" Stiefkindadoption, bringt ein Partner ein Kind mit in die Beziehung. Da ist ein Kennenlernen und Ausprobieren des Zusammenlebens sinnvoll. Aber bei einem lesbischen Paar führen der gemeinsame Kinderwunsch und eine gemeinsame Entscheidung des Paares ja erst zum Kind. Im aktuellen Adoptionsrecht werden Lebenssituationen miteinander verglichen, die nichts miteinander zu tun haben. Dieser ganze Prozess kann tiefe Ängste wecken und ein belastendes Ungleichgewicht in die Beziehung bringen.
Hat der Gesetzentwurf zur "Ehe für alle" diese Angleichungen schlichtweg vergessen?
Philippi: Nein, das wurde nicht vergessen. Die "Ehe für alle" berührt das Familienrecht. Alles was mit Reproduktion, die nicht zwischen Mann und Frau auf "natürlichem" Wege passiert, zu tun hat, berührt das Abstammungsrecht. In der vergangenen Legislaturperiode hat ein Arbeitskreis der Regierung Empfehlungen für eine Überarbeitung des Abstammungsrechts erarbeitet. Dabei geht es auch um Fragen: Wie viele biologische Eltern kann ein Kind heute haben? Oder: Wie viele rechtliche Eltern darf ein Kind haben? Oder: Nach welchen Prinzipien soll die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung erfolgen? Die empfehlen zum Beispiel, soziale Elternschaft gegenüber biologischer Elternschaft zu stärken. Aber es ist unklar, wann sich die Regierung endlich an die Überarbeitung des Abstammungsrechts wagt.
Was wäre Ihrer Ansicht nach eine Lösung?
Philippi: Der Gesetzgeber muss dafür sorgen, dass alle Kinder von Geburt an (mindestens) zwei rechtliche Elternteile haben können, damit jedes Kind in eine rechtlich klar geregelte Situation geboren wird, und kein Gezerre anfängt. Bei der Geburt eines Kindes in eine Hetero-Ehe wird ja der Ehemann automatisch als zweiter rechtlicher Elternteil angenommen. Ich sehe keinen Grund, warum das für Kinder lesbischer Paare nicht genauso gelten sollte.
Warum kommt der Film gerade jetzt ins Fernsehen?
Philippi: Bis so ein Film produziert ist, vergeht viel Zeit. Er kommt jetzt, weil er jetzt fertig ist. Zum Thema bin ich vor einigen Jahren durch die Freundschaft mit einem lesbischen Paar in Frankreich gekommen. Dort gab es bis 2013 noch nicht die Möglichkeit der Stiefkindadoption. Die Beziehung meiner Freundinnen ist fast an der ungleichen Rechteverteilung in der Mutterschaft zerbrochen. Die Co-Mutter in meinem Freundeskreis hatte starke Angst, ihre Frau und damit auch das Kind zu verlieren. Also durch Unfall oder wenn sie wegen einer anderen Frau verlassen wird. Das wurde immer dramatischer.
Ich dachte: Warum stellt sie sich nur so an, sie soll doch mal vertrauen. Kein Mensch will ihr dieses Kind wegnehmen. Ich habe erst in einem ausführlichen Gespräch mit ihr begriffen, dass sie komplett von dem Menschen abhängig ist, den sie am meisten auf der Welt liebt. Das ist schwer auszuhalten. Und wenn ich die Tochter der beiden mal auf dem Arm hatte und sie anfing zu schreien, habe ich sie automatisch der biologischen Mutter gegeben. Das war für die Co-Mutter verletzend. Ich fing an, mich zu fragen: Was ist, wenn wirklich etwas schiefläuft? Betrachte ich die beiden wirklich als gleichberechtigte Mütter? Ich ertappte mich dabei, nach konventionellen Mustern zu fühlen. Dabei war ich sicher, dass ich da nicht unterscheide. Ich habe selbst einen Stiefsohn und weiß, wie groß die Liebe zu einem Kind sein kann, das man nicht geboren hat.
Wann also ist man nun eine richtige Mutter? Und zu wem gehört ein Kind zu Recht?
Philippi: Wann fühlt man sich selbst als Mutter und wann gestehen einem die anderen das zu? Das deckt sich nicht unbedingt. Das eigene Gefühl spürt man, und es wird einem in der Beziehung zum Kind klar. Die Gesellschaft, die ja aus uns allen besteht, und unser Unterbewusstsein definieren hingegen immer noch sehr stark über die Biologie. Aber mit all den modernen Reproduktionsmöglichkeiten wird ja auch das immer vielfältiger. Da prallen persönliche Freiheit und Verantwortung und intimste Gefühle auf Rechtssystem und Staat… Ach, es kann schon unglaublich kompliziert werden.
Was würden Sie sich wünschen, dass der Film bewirkt?
Philippi: Ich stelle mir gerne vor, dass zum Beispiel die konservativen Politiker und Politikerinnen der WerteUnion den Film anschauen. Sie sind Gegner der "Ehe für alle" und sind auch dagegen, dass homosexuelle Paare Kinder aufziehen dürfen. Ich stelle mir also vor, sie schauen diesen Film und lassen sich von dieser Geschichte, in der ganz offensichtlich eine Familie – nichts anderes sind Ellen, Katharina und Franz – zerrissen wird und dass es sie so sehr berührt, dass sie über ihr Beharren, dass nur Vater, Mutter und Kinder vor dem Gesetz eine Familie sein können und dürfen, anfangen nachzudenken.