TV-Tipp: "Kaisersturz" (ZDF)
31.10., ZDF, 20.15 Uhr: "Kaisersturz"
Vor zwanzig Jahren hat Peter Schamoni einen Dokumentarfilm gedreht, der Wilhelm II. von einer ganz anderen Seiten zeigte: "Majestät brauchen Sonne" porträtierte den letzten deutschen Kaiser gewissermaßen als Popstar. Kernthese des Films: Wilhelm war der erste Medienstar des 20. Jahrhunderts, denn in seiner Regentschaft lernten die Bilder das Laufen.

Eitel wie vermutlich die meisten Herrscher beließ es der Kaiser nicht bei den gewohnten Porträtgemälden; alsbald warf er sich auch für die Fotografen in Positur. Schließlich, so legt zumindest Schamoni nahe, trat er öffentlich nur noch auf, wenn das Wetter Filmaufnahmen zuließ; daher der Titel. Schamonis Montage war nicht nur höchst unterhaltsam, sondern auch höchst aktuell; schließlich wird Politik heutzutage erst Recht über Bilder und damit über Emotionen verkauft. Und weil der erfahrene Dokumentarfilmer seine Geschichte kurzweilig verpackte, ermöglichte der Film auch eineinhalb Stunden lehrreichen Geschichtsunterrichts.

Von all’ dem ist "Kaisersturz" so weit entfernt wie eine dröge Vorlesung vom unterhaltsamen Seminar eines kreativen Dozenten. Regisseur Christoph Röhl hat seinen Film über die letzten Tage des Kaisers vor exakt hundert Jahren als Dokudrama gestaltet. Auf diese Weise lassen sich nicht nur interessante und moderat kolorierte zeitgenössische Aufnahmen integrieren; ein Kommentar ordnet die Ereignisse zudem in den historischen Hintergrund ein. So beginnt das Werk auch: mit einem ausführlichen Monolog, der nur deshalb nicht umgehend in die Flucht treibt, weil er sehr angenehm vom Schauspieler Philipp Moog vorgetragen wird. Der Rest ist weitgehend braves Kammerspiel, vorzüglich besetzt zwar, aber alles auch sehr hölzern. Das ist natürlich authentisch, so ging’s nun mal zu, aber schon im Kinderfernsehen weiß man, dass Informationsvermittlung immer auch unterhaltsam sein muss, weil das Publikum sonst erst innerlich ab- und dann äußerlich umschaltet.

 

Sehenswert ist "Kaisersturz" daher vor allem wegen der Drehorte: Soweit möglich, sind die Szenen an den Originalschauplätzen in den Gemächern des Neuen Palais in Potsdam und im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel entstanden; das ist in diesem speziellen Fall in der Tat etwas Besonderes und dürfte das Filmteam vor einige Herausforderungen gestellt haben. Trotzdem ist nur wenig vom Mantel der Geschichte zu spüren, weil es Röhl nicht gelingt, für die Figuren mehr als nur ein akademisches Interesse zu wecken. Das mag auch am Drehbuch gelegen haben, obwohl mit Dirk Kämper (zuletzt "St. Josef am Berg" und "Mord in bester Gesellschaft") ein Fernsehfilmautor am Werk war. Dritter im Bunde war der Historiker Lothar Machtan. Er gilt als Experte für die Epoche und wird als Fachberater sowie als Koautor geführt; eine mögliche Erklärung dafür, warum der Film bis hin zu Anzahl, Form und Farbe der Orden auf Wilhelms Brust historisch höchstwahrscheinlich korrekt, aber auch etwas langweilig ist.

Das ist schade, weil die letzten Tage der Monarchie in Deutschland nicht nur höchst ereignisreich waren; damals wurden Weichen gestellt, die auch für die heutigen politischen Rahmenbedingungen von großer Bedeutung sind. Davon ist aber viel zu wenig zu spüren; ein Hauch von Aktualität kommt erst ganz am Schluss auf, als der Kaiser "abgedankt wird" und die Sozialdemokraten jene Epoche einläuten, die wir heute als Weimarer Republik kennen und die zumindest in Bezug auf die Anstrengungen der antidemokratischen Kräfte wie ein Spiegelbild der Gegenwart wirkt.

Regisseur Röhl hat zuletzt das Drama "Die Auserwählten" (2014) über das furchtbare Schicksal der Odenwaldschüler gedreht. Clou dieses Films war neben der Besetzung des charismatischen Schulleiters mit Ulrich Tukur ein ebenso schlichter wie brillanter Einfall: Das Autorenpaar Sylvia Leuker und Benedikt Röskau erzählte die fiktional verdichteten Ereignisse aus Sicht einer engagierten jungen Lehrerin. Dieser Ansatz war bei "Kaisersturz" nicht möglich, schließlich spielen die weitaus meisten Szenen im innersten Zirkel; auch deshalb ist das Werk genauso steif geworden wie seine Hauptfiguren. Deren Darsteller machen ihre Sache immerhin so gut wie möglich. Sylvester Groth tut sein Bestes, um dem Kaiser ganz normale menschliche Züge zu verleihen (müde, Rücken, der Schädel brummt). Christian Redl ist ein engagierter Friedrich Ebert, und Sunnyi Melles verkörpert Kaiserin Auguste Viktoria mit der gleichen Attitüde als Drama-Queen wie alle ihre Rollen.

Tragische Gestalt der Geschichte ist der in seinem Bemühen rührende kaiserliche Cousin Max von Baden, den Hubertus Hartmann wie eine heimliche Hauptfigur verkörpert. Weil Wilhelm aus Sicht von US-Präsident Wilson ein Friedenshindernis darstellte, hatte Ebert eine republikanische Monarchie mit Max an der Spitze geplant. Machtan sieht in dessen heimlicher Homosexualität, die ihn erpressbar machte, den Grund dafür, dass Eberts Pläne gescheitert sind. Mehr noch als der Kaiser stünde demnach der Prinz für die Götterdämmerung des Herbstes 1918, und das ist nicht nur bildlich gemeint: Im seiner Reichskanzlei geht dauernd die Sonne unter, mal im Osten, mal im Westen. "Alles nur Theater", stellt irgendwann Wilhelms Einflüsterer Friedrich von Berg (Holger Handtke) fest. Für den bühnenhaften Film mit seinen vielen Dialogen gilt das leider auch.