"Man darf nicht zusammen mit dem geliebten Menschen mitsterben", sagt Ulrike Struwe. Die 45-jährige Seelsorgerin, die seit 16 Jahren für den Palliativ- und Hospizdienst des Diakonischen Werkes in Hannover arbeitet, weiß nur zu gut, mit wie viel Leid das Sterben einhergeht. Doch sie weiß auch, wie leicht es gelingen kann, dieses Leid zu lindern.
Einfach da sein
"Die meisten Menschen wissen nur nicht mehr, was sie praktisch tun können", sagt die gelernte Palliativ-Krankenschwester Heike Metje, die den Hospizdienst leitet. Und deshalb zögen sie sich häufig zurück und ließen ihre sterbenden Angehörigen oder schwer kranken Freunde allein. Das aber mache die Beschwerden nur noch schlimmer. Angehörige und Freunde könnten "gar nichts falsch machen", wenn sie für diese Menschen da seien, betont die 55-Jährige. Sondern im Gegenteil: "Sehr vieles richtig."
Die beiden Frauen haben sich vorgenommen, über die richtigen Verhaltensweisen aufzuklären - und bieten nun Kurse für "Letzte Hilfe" an. Das Konzept dafür hat der Palliativmediziner Georg Bollig aus Schleswig entwickelt. "Zuwendung ist das, was wir alle am Ende des Lebens am meisten brauchen", betont Bollig. Seit 2015 vermitteln eigens zertifizierte Kursleiter in ganz Deutschland eine Art Einmaleins der Sterbebegleitung - insgesamt mehr als 300. Ein "Letzte-Hilfe-Kurs" dauert meist nicht länger als vier Stunden: Die Kurse sollen die Teilnehmenden nicht überfordern, sondern ihnen vor allem die Berührungsängste vor dem Umgang mit dem Tod nehmen.
Das Einmaleins der Sterbebegleitung
Für Ann-Kathrin Kreisel, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, war der Anlass ihrer Auseinandersetzung mit dem Tod ein Schlaganfall. Nachdem sie wieder gesund wurde, beschloss die 47-Jährige, sich in der Sterbebegleitung einzubringen. "Ich weiß nicht, ob ich das gut kann, aber ich will es versuchen", sagt Kreisel. "Auch weil ich am eigenen Leib erfahren durfte, wie schnell es gehen kann, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein."
Ein guter, doch nicht der einzige Grund für ihr Engagement. Denn Kreisels Mutter leidet unter Alzheimer. Lange habe sie gedacht, die Krankheit sei schon wie ein kleiner Tod, erzählt Kreisel. Bis sie eines Tages verstanden habe, dass die Menschen sich immerzu veränderten, und dass es schon allein aus diesem Grund sehr wichtig sei, die Angst vor einem Abschied zu verlieren.
Diese Abschiede werden in Deutschland von Jahr zu Jahr mehr. Im vergangenen Jahr sind bundesweit rund 932.000 Menschen gestorben, das waren 2,3 Prozent mehr als im Jahr davor. Dabei erreichen Menschen ein immer höheres Alter: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2015 fast die Hälfte der verstorbenen Frauen und ein Viertel der verstorbenen Männer über 85 Jahre alt.
Atemnot ist häufig Kopfsache
Bei den "Letzte-Hilfe-Kursen" erfahren die Teilnehmer ganz konkret, wie sie Leid am Ende des Lebens lindern oder eine Patientenverfügung mit vorbereiten können. Sie lernen, was sterbenden Menschen bei Atemnot, Durst oder Übelkeit hilft - und nicht selten stoßen sie auf überraschende Erkenntnisse: Atemnot etwa ist häufig Kopfsache, und Durst hat oft mit einem trockenen Mund zu tun. Oder sie decken einen weit verbreiteten Irrtum auf: "Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken, sondern man hört auf zu essen und zu trinken, weil man stirbt", lautet ein Leitsatz der Kurse.
"Ich mache die Erfahrung, dass bei allen Schrecknissen und der Traurigkeit, wenn ein Leben zu Ende geht, da noch einmal viel Nähe entsteht", sagt die Diakonin Ulrike Struwe. Gerade Ehepartner verbinde es wieder eng, wenn sie auf ihr gemeinsames Leben zurückblickten. Aber auch Kinder sagten: "Meine Mutter war ihr Leben lang distanziert, aber jetzt, wenn sie im Sterben liegt, erlebe ich sie als einen ganz anderen Menschen - weicher." Viele betrachteten diese Zeit als ein Geschenk.
Auch Heike Metje hat sofort ein Bild vor Augen. Als Krankenschwester hat sie einmal einen älteren Mann besucht, der sie wegen starker Schmerzen um die "Todesspritze" anflehte. Metje sprach mit dem Hausarzt des Mannes, der daraufhin die Schmerztherapie anpasste. Und es funktionierte: Der Mann habe seine Lebensfreude wieder entdeckt und kurz darauf sein neugeborenes Enkelkind in den Armen gehalten.