An den Decken surren die Ventilatoren und wegen der Hitze sind alle Fenster weit geöffnet, während die Gemeinde auf Tamilisch lautstark das Kirchenlied "Nun danket alle Gott" singt. Eine Orgel begleitet den Gesang. Auch ohne tamilische Sprachkenntnisse, lässt sich der Ablauf des Gottesdienstes leicht mitverfolgen, denn die Liturgie entspricht der eines klassisch lutherischen Gottesdienstes. Die habe Ziegenbalg vor 300 Jahren so eingeführt, erklärt S.Abraham Navaraj. Der indische Theologe ist stolz darauf, als 117. Nachfolger des deutschen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg, die Gemeinde leiten zu dürfen. Nur seine Predigten seien länger als im Land der Reformation, meint der Kirchenmann schmunzelnd. Trotz einiger Beschwerden seiner Gemeindemitglieder, würde er es noch nicht hinbekommen, kürzer zu predigen. "Wir haben Ziegenbalg viel zu verdanken, nicht nur dass er diese Kirche erbaut hat", erzählt Navaraj weiter.
Der sächsische Theologe Bartholomäus Ziegenbalg wurde im Auftrag des dänischen Königs Friedrich IV. als erster deutscher protestantischer Missionar nach Indien entsandt wurde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hieß das heutige Tharangambadi noch Tranquebar und war Stützpunkt der dänischen Handelskolonie. Ziegenbalg und sein Begleiter Hermann Plütschau hatten unter anderem in Halle an der Saale Theologie studiert bei August Hermann Francke, dem Begründer der Franckeschen Stiftungen. Francke war es auch, der die beiden dem dänischen König empfahl und die Dänisch-Hallesche Mission gründete, um sie zu unterstützen.
"Ziegenbalg wusste lange nicht, dass er nach Indien sollte. Das hat sich erst kurz vor seiner Abreise herausgestellt", meint Jasmin Eppert, Leiterin des Ziegenbalghauses, einem Museum für den interkulturellen Dialog, in Tharangambadi. "Es war nur klar, der dänische König möchte gern Missionare in eine seiner Handelsniederlassungen schicken." Damals habe es kaum Möglichkeiten gegeben, sich auf Auslandsreisen vorzubereiten. Nachschlagewerke kamen erst im 19. Jahrhundert auf, so Eppert.
Auch Mädchen sollten unterrichtet werden
Dennoch hätten sich Ziegenbalg und Plütschau von Anfang an bemüht, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Innerhalb eines halben Jahres lernte Ziegenbalg Tamil, die lokale Sprache, und begann die Bibel, das Gesangbuch und christliche Literatur zu übersetzen. Gemäß dem Vorbild seines ehemaligen Lehrers, August Hermann Francke, ließ Ziegenbalg in Tranquebar Schulen und Waisenheime bauen, in denen auch Mädchen unterrichtet wurden.
Dass Ziegenbalg so gut Tamil sprach, habe ihm bei den Einheimischen viele Türen geöffnet, so Eppert. Anders als etwa britische Missionare, die vor allem darauf setzen, dass die Inder englisch lernten. Tamil sei die erste außereuropäische Sprache gewesen, in die die Bibel übersetzt wurde, meint der Historiker A.R.Venkatachalapathy, Professor am Madras Institute of Development Studies. Mit der Übersetzung habe Ziegenbalg auch die Grundlage für das heute gesprochene Tamil geschaffen, so der Wissenschaftler. Die Sprache sei immerhin mehr als 400 Jahre alt. Dabei habe der deutsche Missionar auch die hinduistischen Schriften studiert und diese ins Deutsche übersetzt. An der Universität in Halle konnte man damals tamilisch lernen.
Mit ihren Briefen, Berichten und Tagebüchern, die bei den Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale publiziert und weltweit vertrieben wurden, prägten die Missionare der Dänisch-Hallesche Mission das Indienbild des 18. Jahrhunderts. Auch Goethe soll die Berichte Ziegenbalgs gelesen haben.
Ziegenbalg war ein Vorreiter der Entwicklungszusammenarbeit
Ziegenbalgs ließ sogar eine Druckerpresse aus Europa kommen, um die Bibel und andere Schriften zu drucken. "Das war sein größter Verdienst, denn so ist in Indien das Druckwesen eingeführt worden", erklärt Jasmin Eppert und zeigt stolz ein großes Papier mit selbstgedruckten tamilischen Buchstaben. Neben Handel und Landwirtschaft sei auf diese Weise ein ganz neuer Industriezweig entstanden. "Das Besondere an der Arbeit der Dänisch-Halleschen Missionare war, dass es ihnen nicht nur um die Verbreitung christlicher Werte ging. Sie haben für die Einheimischen auch neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen." Um etwa eine Druckerei und die damit verbundenen Tätigkeiten am Laufen zu halten, brauchte man viele Mitarbeiter. "Auf einen Europäer kamen im Schnitt 20 bis 25 indische Mitarbeiter", so Eppert.
Im vergangenen Jahr wurde in dem ehemaligen Wohnhaus von Ziegenbalg ein Museum für den interkulturellen Dialog zwischen Indien und Europa eingerichtet. Im Auftrag der Franckeschen Stiftungen und mit Unterstützung des Leipziger Missionswerks und des evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachsen können Besucher sich hier über Ziegenbalg und seine Arbeit in Tharangambadi informieren.
Heute sind rund zehn Prozent der Einwohner Tharangambadis Christen, etwa 30 Prozent Moslems, der Rest Hindus. Anders als in vielen anderen Orten in Indien, leben die Anhänger der unterschiedlichen Religionen hier friedlich zusammen. Pfarrer Navaraj bestätigt das: "Die Neu-Jerusalem-Gemeinde ist ein wichtiger Ort, um zusammenzukommen, Gemeinschaft zu erleben und das Wohl des anderen im Blick zu haben. Genau so wie der deutsche Missonar Ziegenbalg es vor 300 Jahren vorgelebt hat."