Karl Mayer schaut ein- bis zweimal die Woche hier vorbei. Seinen silberfarbenen Mercedes hat er direkt vor der Tür der Autobahnkirche Adelsried bei Augsburg geparkt. Etwa zehn Minuten bleibt er in der Kirche, dann kommt er wieder nach draußen. "Hier drin kann ich ganz in Ruhe zu mir finden", sagt Mayer. Jedes Mal, wenn er beruflich von seinem Wohnort unweit von Ulm nach Augsburg fahre, halte er hier kurz an. "Das hilft", sagt er: "Seit ich das mache, gelingt mir vieles besser."
Mayer ist nicht der Einzige, der an diesem sonnigen Tag an dem schlichten Gotteshaus an der A8 zwischen München und Stuttgart vorbeischaut. Alle paar Minuten betreten Reisende den Innenraum der Autobahnkirche. Hell ist es hier drinnen, durch die großen Glasfenster fällt viel Licht. Einige gehen danach noch zu dem Holzkreuz hinauf, das wenige Meter von der Kirche entfernt über der Autobahn thront und vor drei Jahren errichtet wurde. Die Kirche ist deutlich älter: Sie war die erste Autobahnkirche Deutschlands. Am 12. Oktober wird sie 60 Jahre alt.
Gestiftet hat die Kirche mit dem Namen "Maria, Schutz der Reisenden" ein Augsburger Papierfabrikant. Seit ihrer Weihe 1958 wird sie von Dominikanern aus Augsburg betreut. "Die Leute, die hier anhalten, wollen vor allem ihren Kopf auslüften, Ruhe finden, still beten", sagt Pater Wolfram Hoyer.
Etwa 50.000 Menschen machen jährlich in Adelsried Halt, schätzt Hoyer. Bundesweit besuchten eine Million Reisende die derzeit 44 deutschen Autobahnkirchen, heißt es bei der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen, die die Arbeit der Autobahnkirchen koordiniert und fördert. Die erste evangelische Autobahnkirche öffnete 1959 im nordrhein-westfälischen Vlotho-Exter.
Das Angebot einer "Rast für Leib und Seele", so der Slogan der Autobahnkirchen, werde gut angenommen, sagt Volker Thorn von der Akademie: "Das sieht man an den Anliegenbüchern, die in den Kirchen ausliegen. Die Menschen sind dankbar dafür und schreiben querbeet rein, was sie beschäftigt."
Auch in der Adelsrieder Kirche gibt es ein solches Buch. "Danke, dass ich Opa und die Erben an einen Tisch gebracht habe", hat eine Frau dort hineingeschrieben. Eine andere bittet Gott darum, "dass Papa gesund wird und ich ihn wieder ganz fest in die Arme nehmen kann".
Zwei dieser Bücher mit jeweils 1.000 Seiten schreiben die Besucher jedes Jahr voll, erzählt Wolfram Hoyer. Manche sprächen ihn auch persönlich an, wenn er - vor allem in der Reisezeit - in der weißen Kutte seines Ordens still in der Kirche sitze. Da gehe es dann um ganz verschiedene Themen: Schicksalsschläge, Scheidung, Geldsorgen. "Während der Finanzkrise fuhren hier viele Leute mit großen Autos vor, die Existenzangst hatten."
Gefragt sind Hoyers jeweils drei Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen. Bis zu 600 Menschen kommen dazu in die Kirche. "Kurz, knackig, aber gültig" seien die Feiern, sagt der Pater. Gesungen werde mangels Orgel a cappella, die Liturgie sei einfach - aber vollständig. "Ausgelassen wird nichts", versichert er, auch wenn der Gottesdienst nur 40 Minuten dauere: "Das ist vielleicht ja auch ein Grund, warum so viele kommen", meint er lachend.
Christoph Fürstberger ist aus einem anderen Grund hier. Der 21-Jährige stammt aus der Gegend. Seit zwei Jahren fährt er als Vertriebsmitarbeiter regelmäßig von Bochum nach Österreich. "Wenn ich Zeit habe, halte ich hier, um an meinen Opa zu denken und darum zu bitten, dass ich selbst gut durchkomme." Sein Großvater sei bei einem Unfall auf der Autobahn ums Leben gekommen. Früher habe er die Kirche gar nicht wahrgenommen, erzählt Fürstberger: "Heute finde ich es schön, dass es sie gibt. Man fühlt sich besser, wenn man hier Halt gemacht hat."