Chinatown in Singapur erstrahlt im Lichterglanz. Es ist "Mid Autumn", das Mittherbstfest. Das wird jedes Jahr im September, genauer gesagt am 15. Tag im achten Mond des Mondkalenders gefeiert. Das Mittherbstfest, auch Mondfest genannt, ist eines der schönsten des an Feiertagen nicht gerade armen chinesischen Festkalenders. Zum Mondfest gehören die runden, handtellergroßen Mondkuchen, die man sich gegenseitig als Symbol für Wohlstand und Glück schenkt.
Wie jedes Jahr wurden in Chintatown auf dem breiten, mit Rasen und Bäumen bepflanzten Mittelstreifen der Eu Tong Sen-Straße bunte, hell erleuchtete Figurengruppen aufgebaut. Von der Fußgängerüberführung zwischen dem Peoples Park Complex und der Pagoda Street hängen bunte Lampions. "Das Mondfest ist ein Fest des Lichts. Es gibt Umzüge mit Lampions", weiss Daniel Happel, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Singapur.
Die Figurengruppen in diesem Jahr erinnern an die Anfänge Singapurs als britische Handelskolonie, die ohne chinesische Migrantenarbeiter nicht möglich gewesen wäre. Den Auftakt der Lichtinstallationen bildet ein großes Segelschiff. Dahinter sieht man mit Waren beladene, von Ochsen gezogene Karren, Kulis, die schwere Lasten auf ihren Schultern schleppen und chinesische Maurer, die Singapur erbauen.
Die Nachfahren der chinesischen Migrantenarbeiter bilden heute die Bevölkerungsmehrheit und leben friedlich zusammen mit den Abkömmlingen indischer Migrantenarbeiter und den einheimischen Malaien. Dabei sind die Singapurer multireligiös: Es gibt Buddhisten und Taoisten, Hindus und Sikhs, Muslime und Christen - und sie alle haben ihre eigenen Riten, Sitten und Gebräuche.
Für die Deutschen in Singapur ist es ganz selbstverständlich, die Feste der Einheimischen mitzufeiern. "Zu Mid Autumn werden wir oft von singapurischen Freunden nach Hause eingeladen. Wir trinken Tee zusammen und essen die traditionellen Mondkuchen", erzählt Anke Hopstein bei dem Beisammensein nach dem Sonntagsgottesdienst der evangelischen Gemeinde.
Ilka Lorenz findet Singapur großartig. "Ausländer werden hier integriert", erzählt die Hamburgerin, die es nach Singapur verschlagen hat, weil der Gatte in dem Stadtstaat einen Job bekommen hatte. "Bei Tempelfesten wird man von den Einheimischen oft zum mitfeiern, zum Essen und Trinken eingeladen. Die Menschen hier sind offener als in Deutschland."
Mehr Bewusstsein für die eigenen Traditionen
Zu feiern gibt es in Singapur viel. Das hinduistische Lichterfest Dipavali zum Beispiel, das Ende des muslimischen Ramadan, den Vesak-Tag der Buddhisten, das chinesische Neujahr und natürlich Weihnachten.
Über all der Multikulturalität treten aber die eigene Kultur, die eigenen Sitten und Gebräuche nicht in den Hintergrund. Im Gegenteil. "Man wird sich seiner Wurzeln und seiner eigenen Traditionen bewusster", findet Ilka Lorenz. Susanne Schreiber-Reggelin kann das nur bestätigen und gibt freimütig zu, dass man dafür auch schon mal Dinge tut, die man nie für möglich gehalten hätte: "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Plastikweihnachtsbaum aufstellen würde", erzählt die Ingenieurin lachend.
Die beiden Geister sind gute Freunde
Längst leben Chinesen, Inder und Malaien über die ganze Stadt verteilt und ihre Pagoden, Tempel, Moscheen und Kirchen finden sich überall. Die ethnischen Viertel wie Chinatown oder Little India sind Überbleibsel aus den Anfangstagen Singapurs. Die Straßenecke Clive Street und Weld Street in Little India ist ein wunderbares Spiegelbild der gesamten religiösen Vielfalt und Harmonie Singapurs. An der Ecke steht ein Banyan Baum, der im Animismus, Buddhismus und Hinduismus gleichermaßen eine hohe spirituelle Bedeutung genießt. Auf der einen Seite des Baumes findet sich ein kleiner Schrein der malaiischen Gottheit Na Tou Kong, auf der anderen ein Schrein, der einem chinesischen Erdgott gewidmeter ist. "Die beiden Geister sind gute Freunde", versichert der alte chinesische Mann, dem die Pflege der beiden Schreine obliegt. Ein paar Meter weiter stehen eine christliche Kirche, eine muslimische Mosche und ein hinduistischer Tempel.
Die Stadtregierung tut einiges, um das Miteinander der Ethnien, Kulturen und Religionen so harmonisch wie möglich zu gestalten. Die allermeisten Singapurer wohnen in den vom staatlichen "Housing and Development Board" (HDB) erbauten Wohnblocks, die nur aus preiswerten Eigentumswohnungen bestehen. Das HDB-Konzept weist einige Besonderheiten auf. "Es gibt ein Quotensystem, mit dem sichergestellt wird, dass in Häusern alle ethnischen Gruppen vertreten sind. Es muss deshalb in jedem HDB-Viertel auch eine Moschee, eine Kirche und je einen buddhistischen und einen hinduistischen Tempel geben", erzählt Chaqa Hill, in dessen Sightseeingtouren das alltägliche, multikulturelle Singapur im Mittelpunkt steht.
"Für uns ist das friedliche Miteinander aber selbstverständlich. Wir sind damit aufgewachsen", betont der 50 Jahre alte Spross einer malaiisch-muslimischen Familie. "Als ich in Köln lebte, war ich verwundert, dass in manchen Stadtteilen fast nur Türken leben, in anderen nur bestimmte soziale Schichten. Das ist doch kein Miteinander."
Allerdings ist auch in Singapur nicht alles harmonisches Gold, was glänzt und leuchtet. Über Religionen zu sprechen, und das vielleicht sogar kritisch - das wird höchst ungern gesehen. Die Dachverbände der Religionen sind am Gängelband des Staates. Ein Tabu ist es auch, bei einer religiösen Feier, zum Beispiel in einer Predigt, über Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen zu sprechen. Vielleicht ist das der Preis dafür, dass Singapur frei von religiösen Spannungen ist, wie sie in den mehrheitlich islamischen Nachbarländern Malaysia und Indonesien herrschen.
Vielfältige Mythen und Legenden
Ähnlich vielfältig wie die Religionen in Singapur sind die Mythen und Legenden über den Ursprung des Mittherbstfestes. Eine Geschichte ist die über die schöne Chang Er. Sie verliebte sich in den tapferen Bogenschützen Hou Yi. Der hatte heldenhaft die Erde vor einer globalen Erwärmung gerettet, indem er die neun Sonnen, die durch ihre Hitze auf der Erde für Dürren und Ernteausfälle sorgten, mit seinen Pfeilen abschoss. Dummerweise handelte es sich aber bei den neun Sonnen um die Söhne des allmächtigen Jadekaisers und der war ob der Morde so erbost, dass er Hou Yi und Chang Er von der Erde verbannte.
Die Göttin Xi Wang Wu hatte Mitleid mit dem Traumpaar und beschenkte Hou Yi mit einem Unsterblichkeitselexier. Das stahl die gierige Chang Er ihrem Liebsten, kippte es runter und wurde zur unsterblichen Mondgöttin. Hou Yi verzieh seiner Liebsten den Diebstahl. Das wiederum rührte Göttin Xi Wang Wu so sehr, dass sie auch dem Jüngling Unsterblichkeit verlieh. Aber Strafe für die habgierige Chang Er musste sein: Sie darf nur einmal im Jahr, eben am 15. Tag im achten Mond, mit ihrem Liebsten zusammenkommen.
Mondkuchen mit Botschaft
Der Mondkuchen wiederum geht auf eine politische Unbotmäßigkeit zurück. Im China des 14.Jahrhunderts plante Chu Yuan-chang als Anführer der rebellischen "Roten Turbane" einen Aufstand gegen die mongolische Yuan-Dynastie. Der listige Chu Yuan-chang ließ an das Volk Kuchen verteilen, in denen der geplante Termin des Aufstands eingebacken war: "Erhebt euch am 15. Tag des achten Mondes".
Der traditionelle Mondkuchen hat eine Füllung aus grünlich-brauner, süßer Lotuspaste, die ein wenig an Marzipan erinnert. Darin eingebettet ist ein gestocktes und gesalztes Enteneigelb, dessen runde Form und goldene Farbe den Vollmond symbolisiert. Der Gegensatz von salzigen Eigelb und süßer Lotuspaste symbolisiert das Prinzip der Harmonie des Yin und Yang. Das Ganze wird in eine Teigpastete gefüllt, mit einem Teigdeckel verschlossen, der mit Festtagswünschen wie "Harmonie" oder "Glück" in chinesischen Schriftzeichen verziert ist.
Mondkuchen sind zu einem großen Geschäft geworden, genauso wie auch Mid Autumn, Weihnachten oder Dipavali von den geschäftstüchtigen Singapurern als "Events" zur Ankurbelung des Tourismus vermarktet werden. Über Champagnertrüffel-Mondkuchen der Fünf-Sterne-Hotels oder solche mit Cappuccino-Geschmack sagt Dawson Khan diplomatisch, dass es halt auch für diese schicken Varianten einen Markt gibt. "Wir stellen aber nur traditionelle Mondkuchen her", betont der Manager der Chop Tai Chong Kok Mondkuchenbäckerei in Chinatown.
Abseits des Touristentrubels feiern die Chinesen jeglichen Alters ganz traditionell ihr Mondfest. In der Nachbarschaft des Pfarrhauses von Daniel Happel sitzen hunderte Chinesen aus dem Viertel auf einem überdachten Platz vor einem Tempel zusammen beim Essen. Auf einer Bühne wird ein ziemlich lautes chinesisches Theaterstück aufgeführt. Ein Kulissenbild zeigt eine Frau mit einem Mond als Kopfschmuck. "Das kann die ganze Nacht dauern", sagt Happel. "Man kommt dann nicht wirklich zum schlafen, aber es ist auch schön, solche Feste so direkt mitzuerleben."