Ahmadiyya-Konferenz
Foto: dpa/Uli Deck
Ahmadiyya-Konferenz
Friede, Freude, Gebet besuchen
Mit 35.000 Anhängern gehört die Ahmadiyya zu den kleineren islamischen Gemeinden in Deutschland. Warum sie für Integration und das Islambild im Land dennoch unerlässlich sind, zeigten sie am Wochenende in Karlsruhe.

Da steht dieser freundliche ältere Herr mit einem Bart so weiß wie der Turban, den er trägt, auf einer riesigen Bühne und redet mit warmer Stimme über die Wichtigkeit, seinem Land zu dienen. Über Demokratie und die Treue zur Rechtsordnung. Einige tausend Betende entfernt verteilen zwei Jugendliche an der Eingangstür des riesigen Gebetsaales Broschüren mit dem Titel "Wir sind alle Deutschland" an die Gläubigen. Über deren Köpfen prangt in riesengroßen Buchstaben der Slogan "Liebe für alle, Hass für keinen". Und statt des üblichen "Allahu Akbar" drängt zum Ende der Veranstaltung der Ruf "Islam heißt Frieden" durch die Halle.

Was wie der Traum eines jeden Integrationspolitikersk lingt, wurde am Wochenende Realität: Rund 40.000 Anhänger und Gäste der "Ahmadiyya Muslim Jamaat" trafen sich zu ihrer jährlichen Versammlung, der "Jalsa Salana". Das klingt nach viel, blickt man auf die überfüllten Hallen der Karlsruhe Messe. Das ist gigantisch, wenn man weiß, dass die islamische Gruppierung in Deutschland gerade einmal 35.000 Mitglieder zählt.

Freitagsgebet bei der "Jalsa Salana".

Zwischen Klassentreffen und Pilgerfahrt

"Ich bin 22 Jahre alt und solange komme ich auch schon zur Jalsa. Es ist wie eine große Familienfeier. Für drei Tage bauen wir uns hier unsere eigene kleine Stadt auf, in der jeder seine Rolle hat und fühlen uns sehr wohl dabei", sagt Rameza Bhutti. Was sie damit meint, wird deutlich, sobald man den Gebetssaal verlässt.

Im Außenbereich warten hunderte Helfer mit scheinbar unendlichen Massen an Reis, Linsensuppe und Pappbechern auf das Ende des Freitagsgebets. "Haben wir extra aus Pakistan importiert", sagt ein Mann hinter einem Berg von Fleischspießen und zeigt auf einen Turm aus Kisten voller Mangos. Ein paar Meter weiter hat ein Team aus Ahmadi-Ärzten und -Sanitätern einen professionellen Sanitätsbereich errichtet. Vor den Toren der Halle bringt unterdessen der Ahmadi-Fahrservice neue Besucher von Flughäfen und Bahnhöfen zur Messe und später zu den reihenweise angemieteten Hotels der Stadt.

Der Klassenfahrt-Charakter ist aber nur ein Aspekt der Veranstaltung. Worum es eigentlich gehe, sagt Bhutti, die außerhalb der Jalsa Politik und Soziologie studiert, sei die spirituelle Atmosphäre. Dem pflichtet auch Aniq Ahmed bei. "Es ist die familiäre Stimmung, aber vor allem die Emotionalität, wenn man den Kalifen sieht und das unbeschreibliche Gefühl der Erleuchtung", erklärt der 26-jährige Imam.

Älter als die Bundesrepublik

Der Kalif, von dem er spricht, wohnt in London und heißt Mirza Masroor Ahmad. Seine Auftritte stellen den absoluten Höhepunkte der Veranstaltung dar. Ahmadis verehren ihn als spirituelles Oberhaupt ihrer Gemeinde und fünften Nachfolger von Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad, der Ende des 19. Jahrhunderts in Indien seine reformislamischen Lehren verbreitete. Dass Ahmadis ihn als Messias und Nachfolger des Propheten Mohammeds verehren, ist für viele orthodoxe Muslime Grund, sie zu verfolgen. Ihre indische Heimat mussten die meisten Ahmadis verlassen. Die Islamische Weltliga erklärte sie 1974 zu Ungläubigen. Auch in Deutschland sehen viele Muslime die Ahmadiyya als abtrünnige islamische Sekte.

Dabei verdeutlicht wahrscheinlich keine andere islamische Gruppierung in Deutschland so gut, wie selbstverständlich Islam und Deutschland zusammengehören. Die Geschichte der Ahmadiyya reicht nicht nur weiter zurück als die jeder anderen islamischen Gruppierung in Deutschland, mit fast 100 Jahren ist sie älter als die Bundesrepublik selbst. Die älteste noch erhaltene Moschee in Deutschland, die 1924 gebaute Wilmersdorf-Moschee in Berlin, stammt ebenso von Ahmadis wie die erste deutsche Koranübersetzung aus muslimischer Hand und die erste islamische Zeitung in Deutschland.

"Was unsere Gemeinde auszeichnet: Wir stehen loyal zu unserem Land. Du wirst hier niemanden mit 'Merkel muss weg'-Slogan sehen", sagt der 36-jährige Hmayon Salim. Das Bekenntnis zur jeweiligen Regierung und politischen Ordnung ist fester Bestandteil der Theologie der Ahmadis.

So offensiv wie die Anhänger keiner anderen islamischen Strömung streiten Ahmadis deshalb überall dort für einen gewaltfreien Islam, wo andere ihn infrage stellen: am Berliner Breitscheidplatz, in Chemnitz, in Fußgängerzonen und auf Facebook. Als einzige islamische Religionsgemeinschaft genießen sie in Hessen und Hamburg den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, haben also die gleichen Rechte wie christliche Kirchen. Wenn Politiker Beispiele für gut integrierte Muslime oder Beweise dafür suchen, dass Islam und Grundgesetz bestens zu einander passen, landen sie oft bei den Anhängern Ahmads.

Nicht immer beruht die Liebe auf Gegenseitigkeit

Wie weit die Bereitschaft der Ahmadis zum Dialog geht, wird spätestens am dritten Tag der Veranstaltung deutlich, als nach Politikern von SPD und Linken auch Volker Münz auf der Bühne Platz nimmt. Der religionspolitische Sprecher der AfD im Bundestag bekräftigt immer wieder, dass für ihn der Islam keinen Platz in Deutschland habe. Seine Vorsitzende, Alice Weidel, forderte sogar schon einmal, die Ahmadiyya zu verbieten. 

Dass der Slogan "Liebe für alle, Hass für keinen", den Ahmadis auch Islamfeinden demonstrativ entgegenhalten, nicht auf Gegenseitigkeit beruht, wird an den massiven Sicherheitsvorkehrungen der Veranstaltung deutlich. Hunderte Ahmadis arbeiten drei Tage lang freiwillig als Sicherheitsleute. Kein Besucher kommt ohne Zugangskarte oder den richtigen Begleiter auf das Gelände. Röntgengeräte für Gepäck, Metalldetektoren und Iris-Scanner erinnern eher an einen Flughafen als eine Friedensmesse.

Immer wieder ist die Gemeinde, deren Anhänger fast über die gesamte Welt verteilt leben, Ziel islamistischer Angriffe geworden. Der Vorgänger des jetzigen Kalifen entging nur knapp einem Attentat. Erst vergangene Woche ging in Pakistan eine Moschee der Ahmadiyya in Flammen auf. Auch in Deutschland schlägt den Ahmadis teils gewaltsamer Protest entgegen.

"Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich geschlagen, bespuckt und beleidigt wurde", sagt Suleman Malik. Der Chef der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde bemüht sich seit einigen Jahren um den Bau einer Moschee in einem kleinen Gewerbegebiet am Rande der Stadt. Unbekannte platzierten Schweineköpfe auf der Baustelle. Angestachelt durch die Ereignisse in Chemnitz protestierten erst letzte Woche Vermummte gegen den Bau der Moschee. Von heimlichen Weltherrschaftsplänen der Ahmadiyya liest man auf den Seiten der Moscheegegner - ein Hirngespinst, das Religionswissenschaftler als Verschwörungstheorien erkennen.

Uwe Wagishauser, Deutschlandchef der Ahmadiyya Abdullah

Kritik am Frauenbild und Umgang mit Homosexualität

Nicht jede Kritik an der Ahmadiyya entstammt aber der wirren Gedankenwelt von Islamfeinden. Auch sie selbst sind in mancher Hinsicht aus der Zeit gefallen. Themen wie der Umgang mit Homosexualität und die Gleichstellung von Mann und Frau sind ihre Achillesferse beim Bemühen um ein zeitgemäßes Image. "Wer homosexuell ist, wird sicherlich bei uns nicht Vorsitzender werden", sagt der Deutschlandchef der Ahmadiyya Abdullah Uwe Wagishauser. "Aber ansonsten ist das ihr Privatleben, das geht mich nichts an. Das ist bei uns nicht anders als bei den Kirchen auch."

Dass Frauen und Männer auch in Karlsruhe in getrennten Hallen beten, findet die Vorsitzende der Frauenorganisation der Ahmadiyya, Khola Marjam Hübsch, nicht problematisch. "Auf der Frauen-Seite ist das ein Safe Space. Man betet gemeinsam, die Mäntel und Kopftücher werden ausgezogen, man ist unter sich, völlig entspannt.", erklärt Hübsch und erzählt von einem Musikfestival in Dänemark: "Das war total aus dem Ruder gelaufen und infolgedessen hatten in diesem Jahr Cis-Männer keinen Zutritt. Frauen haben danach erzählt, wie es wahr: entspannt, offen, es gab nicht ständig diese Flirt-Situationen. So ist es auf der Jalsa auch."

 

Innerislamische Kritiker wiederum werfen den Ahmadis vor, durch das ständige Betonen von Gewaltlosigkeit und Grundgsetztreue das Spiel der Rechtspopulisten mitspielen. "Lange Zeit waren wir froh, wenn überhaupt über den Islam geredet wurde. Ich hoffe schon, dass wir auch irgendwann selbst Themen in den Debatten besetzen können", sagt Hübsch. Keine Strafe auf Apostasie oder Themen wie Öko-Islam: "Wir haben vieles, was sehr modern ist", sagt die Frankfurter Autorin, die von Talkshow-Machern regelmäßig in der Rolle der selbstbestimmten Kopftuchträgerin besetzt wird und wohl das prominenteste Gesicht der Ahmadiyya in Deutschland ist.

Fernsehstudio

Zumindest in Karlsruhe muss sie an diesem Wochenende nicht vor die Kamera. Das übernimmt ein junger Mann, der eigentlich Bauingenieur ist. Im eigens gebauten Fernsehstudio bereitet sich das Freiwilligen-Team der "Muslim Television Ahmadiyya" auf die nächste Live-Schalte via Satellit und Online-Streaming vor. Ein paar Meter entfernt steht das gleiche Studio noch einmal: für die arabischsprachige Kommentierung der Kalifen-Predigt. Die wird gleichzeitig von einem Team aus ehrenamtlichen Ahmadi-Simultanübersetzern in über zehn Sprachen übertragen. Dafür, dass man diese auch außerhalb des Gebetsaales verfolgen kann, sorgt die eigene Ahmadiyya-Radiostation. Wenn dort einmal keine Reden übertragen werden, übernimmt der Ahmadiyya-Verkehrsfunk. Dort läuft alles problemlos für die Ahmadis. Zumindest an diesem Wochenende in Karlsruhe.