"Soldaten" nennt er sie: Weiße Kunststoffkannen, mit der Öffnung nach unten auf Holzpfosten gestülpt, stehen in Reih und Glied. Einige tragen eine Brille, sie sehen aus wie animierte Rüsseltiere aus einem Comicfilm. Beim katholischen Pfarrer Werner Gutheil haben die Brillen sozusagen ein zweites Leben bekommen: Rund um sein Elternhaus im hessischen Neuhof-Rommerz bei Fulda hat er einen "Garten der Erinnerung" angelegt. In ihm sammelt er Alltagsgegenstände von Verstorbenen, die ihm Angehörige übergeben haben. "Die Brille eines Angehörigen wirft nach dessen Tod niemand gerne weg", sagt Gutheil.
Unter dem Dach des Carports hängen Tassen an einer Stange. Der Aufdruck eines der Kaffeebecher verrät, dass der FC Bayern München auch in der Saison 2009/2010 Deutscher Fußballmeister war. "Der Verstorbene war Bayern-Fan, der Rest der Familie ist Eintracht-Fan. Die Kinder wollten die Tasse nicht haben, wollten aber auch nicht, dass ihre Mutter sie wegwirft", erzählt Gutheil.
Eine Form der Trauerarbeit
Gutheil ist Diözesanseelsorger für Trauernde des Bistums Fulda. In Hanau hat er ein Trauerzentrum aufgebaut. In seinen "Garten der Erinnerung" sollen Menschen Dinge mitbringen und die Geschichte dazu erzählen. "Das ist eine Form der Trauerarbeit", sagt er.
Die Gegenstände symbolisieren die Toten und drücken eine Verbindung aus. Deshalb wollten die Angehörigen sie an einem Platz wissen, an dem sie eine gewisse Wertschätzung erfahren. Immer wieder habe er in Trauergesprächen gehört, dass Angehörige sich schlecht fühlten, wenn sie Sachen einfach "entsorgten", sagt er.
Traugott Roser ist Praktischer Theologe an der Universität Münster. Er sagt: Aufgabe von Trauernden sei es, einen Platz in der veränderten Welt zu finden, einer Welt ohne den Toten. Dazu gehöre auch, eine neue Beziehung zu dem Toten zu gestalten.
"Was ich mit den Erinnerungsstücken tue, überträgt sich", sagt Roser. Entsorge jemand die Lieblingsmütze des Verstorbenen in der Altkleidersammlung, entspreche das unter Umständen nicht der emotionalen Bindung.
Erinnerungsstücke als Fortführung der Reliquienkultur
Erinnerungsstücke seien wichtig für die Trauerarbeit, sagt Theologe Roser und bezeichnet sie als "Fortführung der Reliquienkultur". Sie zeigten, dass die Erinnerung nicht nur den eigenen Gedanken und Emotionen entspringt, sondern dass der oder die Tote real waren. "Sie sind ein Beweis für die Existenz und eine Verbindung zwischen dem Erinnernden und dem Erinnerten".
Entferne jemand wichtige Erinnerungsstücke aus dem Umfeld, sei das ein großer Schritt in der Trauerarbeit. Der Alltag werde frei, die Erinnerung bekomme einen abgegrenzten Platz und habe keine Macht mehr über Ort und Zeit. Seien die Stücke an einem würdigen Platz verwahrt, hätten die Trauernden die Möglichkeit, sie zu besuchen und die Erinnerung gezielt zuzulassen, fügt Roser hinzu.
Selten kommt jemand vorbei
In Gutheils Garten kommt allerdings selten jemand vorbei. Die meisten Besucher verabschieden sich von den Gegenständen in dem Moment, in dem sie Gutheil zum neuen Besitzer machen.
Bei ihm steht auch eine Telefonzelle, ein Geschenk von Freunden. Statt eines Telefons hängt an ihrer Decke ein Kronleuchter, Stil Gelsenkirchener Barock, in zwei Regalen darunter drängen sich Weihnachtskrippen. "Das hat gerade gepasst", sagt Gutheil und schmunzelt.
Wer durch den weitläufigen Garten geht, entdeckt immer wieder Skurriles. Neben einem Blumenbeet steht ein alter Holzstuhl, die Beine stecken in Kaffeebechern. Die kleine Installation deutet an, dass der Verstorbene auf dem Stuhl sitzend Kaffee getrunken hat.
In einem Gebüsch hat ein halb verrosteter Einkaufwagen, in dem sich Spielsachen angesammelt haben, seinen letzten Abstellplatz gefunden. Kaffeebecher schützen die Latten des Gartenzauns.
Nichts ist von Dauer im "Garten der Erinnerung": Die meisten Objekte sind direkt der Witterung preisgegeben. "Die Dinge werden vergehen, wie alles Irdische", sagt der Seelsorger.