Die Erklärung des Senders: Es handele sich nicht um einen Fernsehfilm, den man selbst in Auftrag gegeben habe, sondern um einen Ankauf. "Tod auf Raten", damals noch unter dem Titel "Short Term Memory Loss", sollte vor zwei Jahren im Kino laufen, aber dazu ist es nie gekommen. Tatsächlich unterscheidet sich die Machart des von Ferres’ koproduzierten Dramas jedoch in keinerlei Hinsicht vom üblichen Fernsehfilm. Deshalb ist die Entscheidung für den späten Sendetermin umso weniger nachzuvollziehen, zumal Andreas Arnstedt (Buch und Regie) für seine Geschichte über einen eklatanten Missstand einen interessanten Ansatz gefunden hat: Friseurin Annett (Ferres) hat keine ruhige Minute mehr, seit ihr Mann Ronald (Oliver Stokowski), ein Freizeitboxer, vor einigen Jahren durch einen Treffer sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat. Er weiß zwar, wer er ist und wo er wohnt, aber die Zeit ist für ihn damals stehen geblieben. Alles, was er nun tut oder erlebt, ist nach wenigen Sekunden aus seinem Gedächtnis gelöscht, weshalb er rund um die Uhr Betreuung braucht. Weil das Krankheitsbild jedoch nicht ins amtliche Raster passt, bekommt er nur Pflegestufe eins, schließlich kann er selbstständig aufs Klo und sich eigenhändig rasieren. Für Annett wird das Dasein mehr und mehr zur Tortur. Wenn sie das kümmerliche Einkommen aufbessern will, sperrt sie Ronald in den Gartenschuppen, den er zum Trainingsraum umgestaltet hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Grunde erzählt Arnstedt eine typische Alzheimergeschichte. Auf den ersten Blick wirkt Ronald wie ein ganz normaler Mann Anfang fünfzig. Seine mangelnde Alltagstauglichkeit verdeutlicht der Film mit einer Szene in der Kneipe von Annetts Vater, wo Ronald als Aushilfe einen zunehmend genervten Gast (Michael Kind) innerhalb von zwei Minuten fünf Mal fragt, was er ihm bringen darf. Bei Menschen, die er nicht schon vor seinem Unfall kannte, muss er sich ständig nach dem Namen erkundigen. Weil Oliver Stokowski den Ehemann durchaus mit Charme verkörpert, ist immer wieder zu spüren, dass Ronald und Annett einst ein glückliches Paar waren; das macht ihr gemeinsames Schicksal umso anrührender. Aller Tragik zum Trotz gibt es zudem Augenblicke von subtiler Heiterkeit, weil Ronalds Gefühle wie das Funkeln eines Feuerwerks sind: kaum erblüht, schon verglüht. Sein Zorn zum Beispiel verraucht im Nu, weil er unmittelbar drauf vergessen hat, warum er wütend war. Leider gilt das auch für Momente gemeinsamer Lust: Ronald verlässt das Schlafzimmer, um den Fernseher auszumachen, und kommt nicht mehr zurück. Damit er morgens nicht den Betrieb seines früheren Arbeitgebers aufsucht (der im Februar verstorbene Rolf Zacher in einer seiner letzten Rollen), versichert ihm seine Frau jeden Tag, es sei Sonntag. Szenen dieser Art sorgen für eine willkommene Auflockerung, aber ansonsten dominiert das Drama. Annett ist zunehmend auf sich allein gestellt: Der studierende Sohn Florian (Constantin von Jascheroff) will endlich sein eigenes Leben leben, und auch Nachbarin Monika (Janina Elkin) mag nicht mehr den Babysitter spielen, zumal sie Ronald immer und immer wieder erklären muss, dass ihr Mann Benno, sein bester Freund, nicht mehr lebt. Als die Bank das Haus des Ehepaars versteigern will, ist Annett am Ende, zumal sie weiß: Am Status quo wird sich nichts ändern, bis Ronald oder sie sterben. Sie wendet sich an einen Anwalt (Matthias Brenner), für den sie bald mehr als nur Sympathie empfindet.
Die große Stärke des Films liegt in seinem Realismus, weshalb der Titel im Grunde unangebracht ist; es sei denn, er gilt nicht Ronald, sondern der zusehends verwelkenden Annett. Ausgerechnet bei Ferres trägt das Drama jedoch mitunter buchstäblich zu dick auf; die tiefen Augenringe lassen die Frau wie einen Zombie aussehen. Dass Annett Bierflaschen grundsätzlich mit den Zähnen öffnet, wirkt genauso aufgesetzt wie ihre gelegentlichen vulgären Flüche. Davon abgesehen aber trifft Arnstedt stets den richtigen Ton. Das gilt vor allem für die sanfte Klaviermusik von Nicolette Richter, die weder allzu sentimental noch zu dramatisch ist. Unterm Strich hätte "Tod auf Raten" daher dringend eine Ausstrahlung um 20.15 Uhr verdient. Dagegen spricht aus Sicht des ZDF womöglich vor allem die Länge von gut hundert Minuten; den in Stein gemeißelten Beginn des "heute journals" um 21.45 Uhr würde das "Zweite" allenfalls für eine Eigenproduktion verschieben. Vielleicht hat der späte Sendetermin aber auch mit dem Schluss des Films zu tun: Weil ein Heimaufenthalt Ronalds damit endet, dass mehrere Pfleger blaue Augen haben und er deshalb ruhiggestellt werden soll, ringt sich Annett zu einem scheinbar herzlosen Schritt durch. Nun beantwortet Arnstedt auch die Frage, warum sich die Stimme der Frau so unbeteiligt anhört, als sie am Anfang aus dem Off erklingt: "Gut, dass ich dich erreiche, ich bin in zehn Minuten da." Dahinter steckt eine höchst raffinierte Idee, die aber letztlich ähnlich grausam ist wie die vermeintlichen Bushaltestellen an Heimen für demente Menschen. Umso schöner, dass der Film trotzdem mit einem versöhnlichen Lächeln endet.