Gleiches gilt für die Geschichte: Die junge Polizistin Susanne Landauer (Rosalie Thomass) von der Münchener Vermisstenstelle wird in die oberbayerische Provinz gerufen, weil eine ältere Frau aus einer psychiatrischen Klinik entwischt ist. Susanne kennt die Gegend gut, sie ist hier aufgewachsen, hier lebt auch ihr Vater Josef (August Schmölzer). Sie findet die Tote in einer Schlucht und ist bei ihrem Anblick derart berührt, dass sie das Gleichgewicht verliert. Weil sie den Leichnam berührt hat, wird routinemäßig ein DNS-Abgleich gemacht, dessen Ergebnis sie gleich noch mal umhat: Die Frau war ihre angeblich vor 25 Jahren verstorbene Mutter. Susanne wird zwar umgehend von dem Fall abgezogen, ermittelt aber auf eigene Faust und stößt auf ein Familiengeheimnis, das mit dem Begriff düster nur unzureichend umschrieben ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon die Handlung (Drehbuch: Andreas Dirr, Christoph Busche) ist dank der vielen überraschenden Wendungen faszinierend, aber seinen ganz speziellen Reiz verdankt der Film der Art und Weise, wie Christian Theede die Geschichte erzählt. Die Bilder sind von teilweise berückender Schönheit; die Kamera (Philipp Timme), die sich immer wieder in luftige Höhen schraubt, schwelgt geradezu in der goldgelben Pracht der herbstlichen Waldlandschaft. Aber die Idylle wird immer wieder durch kurze, in bedrohlichem rot gehaltene Erinnerungsschübe unterbrochen, und zur großen Besorgnis von Klinikleiter Mangold (Friedrich von Thun) häufen sich Susannes Aussetzer. Der Arzt fürchtet, sie könne unter derselben Krankheit leiden wie ihre geistig umnachtete Mutter. Susanne hat derweil ganz andere Sorgen, denn sie fragt sich verständlicherweise, welche Rolle nicht nur ihr Vater bei der ganzen Sache gespielt hat; offenbar wusste das halbe Dorf Bescheid, weshalb sie mehrfach gewarnt wird, die alten Geschichten ruhen zu lassen. Aber wenn es nicht ihre Mutter war, die vor 25 Jahren gestorben ist, wer ist dann damals beerdigt worden?
Rosalie Thomass versieht die Heldin mit einer interessanten Mischung aus Selbstvertrauen und zunehmender seelischer Fragilität. Üblicherweise gibt es in Geschichten dieser Art noch eine Romanze mit einer früheren Jugendliebe, aber das kommt hier nicht in Betracht: Susanne ist lesbisch (Lavinia Wilson spielt ihre Freundin). Dieses Detail macht vor allem die Rolle des Vaters noch interessanter; August Schmölzer verkörpert den verbitterten Witwer ohnehin sehr differenziert, denn der alte Josef hat durchaus auch liebenswerte Seiten.
Ein interessantes Detail ist auch die in südlichen Berggegenden verbreitete Tradition der Totenmalerei: Wegen des Platzmangels auf den Friedhöfen wurden die bestatteten Gebeine irgendwann wieder ausgegraben; die bemalten Schädel erhielten in weitläufigen Stollen unter den Friedhöfen eine letzte Ruhestätte. Susanne findet entsprechende Zeichnungen im Nachlass ihrer Mutter und ahnt, dass sie der Schlüssel zur Lösung sind.