Montagmorgen im Herbst 2017, Sitzung mit unserem Führungsteam. Alle Jahre wieder stellt sich die Frage, was am 31. Oktober geschehen soll. Schnell sind wir uns einig, dass an diesem Feiertag das Museum geöffnet werden soll, aber feiern wir nun die Reformation oder Halloween? Hier scheiden sich schnell die Geister (im wahrsten Wortsinn), denn die Kulturvermittlung sprüht vor Ideen zu Halloween, während die bekennenden Protestanten – kurz: ich – die christlichen Traditionen hochhalten wollen.
Tatsächlich war 2017 alles anders. Die Reformationsdekade hat uns auf das Jubiläumsjahr vorbereitet, unzählige Veranstaltungen haben immer wieder die Geschichte und Folgen der Reformation thematisiert. Martin Luthers Leistungen für die deutsche Kultur wurden betont, ebenso aber seine negativen Äußerungen über die Juden in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Wir haben gelernt, differenziert und selbstkritisch zurückzublicken. So war auch die Annäherung an die katholischen Schwestern und Brüder auf neuen Wegen möglich, das Christusfest hat die Konfessionen vereint.
Persönlich habe ich erlebt, wie Jugendliche maßgeblich zum Erfolg des Jahres in Wittenberg beigetragen haben. Freiwillige aus vielen Ländern der Erde, darunter auch meine Tochter, haben Monate in der Lutherstadt verbracht und waren dafür mitverantwortlich, dass so ein riesiges Angebot überhaupt ermöglicht werden konnte. Gleichzeitig konnte man dort ebenso wie in der Ausstellung "Der Luthereffekt" im Berliner Gropius-Bau erfahren, wie international die Kirche geworden ist, die in einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt geboren wurde.
Der Thesenanschlag des Freiburger Islamwissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi an der Berliner Dar-es-Salam-Moschee anlässlich des Reformationsjubiläums zeigt überdies den notwendigen Diskussionsbedarf innerhalb des Islams. Mit einer "ehrlichen Debatte über den Koran" sprach sich Ourghi für eine historisch-kritische Interpretation aus und positionierte sich gegen die gewaltbegründende Deutung von Koransuren wie den sogenannten Schwertversen. Ein zukünftiger Feiertag, der der Reformation gewidmet ist, könnte auch innerhalb des Islams Reformbewegungen anregen und den Dialog fördern.
Halloween oder Reformationstag? "All Hallows’ Eve" als Vorabend von Allerheiligen, oder reformare, das lateinische Wort für umgestalten, umbilden, verwandeln? Gerade in der zeitlichen Nähe eines protestantischen und katholischen Feiertags, von kirchlichen und heidnischen Festbräuchen liegt doch eine Chance auf Gemeinsamkeit. Statt einem Entweder-oder ein Sowohl-als-auch: Am Sonntag vor dem Jubiläum haben wir mit viel Fantasie und über 2000 Besuchern ein Familienfest für Jung und Alt im Museum gefeiert, am 31. Oktober haben uns die vollen Kirchen gezeigt, dass die Reformation nicht nur ein historisches Datum ist. Wenn alle gesellschaftlichen Kräfte sich auch zukünftig an diesem Tag ihrer Selbstbesinnung und Bereitschaft zu Veränderung widmen, wäre das Erbe der Reformatoren im 21. Jahrhundert nicht Spaltung, sondern eine neue Einheit in Vielfalt.