Werbeagentur in einer Kirche
© LAIF/Hollandse Hoogte
Das Büro einer Werbeagentur in einer ehemaligen Amsterdamer Kirche.
Kirche als eine offene Bewegung
Reformationstag im säkularen Amsterdam
Die Kirchenbindung in den Niederlanden ist sehr gering. Die Kirchen kämpfen ums Überleben. In einer Stadt wie Amsterdam kann das nur im ökumenischen Miteinander gelingen.
31.07.2018
EKD-Flugschrift Reformationstag 2018

Die Niederlande gelten in Europa als das freiste und liberalste Land und sind Spitzenreiter bei der Säkularisierung. Seit den 80er Jahren sind in Amsterdam über die Hälfte der Kirchen durch Zusammenlegung oder Aufhebung "außer Betrieb". Die oftmals im Internet angebotenen "toten Kirchen" beherbergen heute ein Restaurant, eine Moschee, einen Aldi-Laden oder eine Diskothek. "Sparzwänge" heißt das Stichwort, und man spart dort, wo es am wenigsten wehtut.


Hintergrund der Entwicklung ist vor allem die kulturelle Revolution der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, die in Großstädten der Niederlande als umfassende Befreiung erlebt wurde. Bis dahin war die gesamte Gesellschaft in streng voneinander getrennte weltanschauliche Segmente, sogenannten Säulen (die protestantisch-calvinistische, katholische und sozialistische) eingeteilt, die verbunden waren mit starker Sozialkontrolle und teils rigorosen Moralvorstellungen. Kein Wunder, dass sich das neue Ideal des reflexiven Individuums, gewürzt mit einer Prise Abneigung gegen jegliche Tendenz moralischen Urteilens, mit Vehemenz durchsetzte.

Was bedeutet der Reformationstag in diesem kleinen und stark bevölkerten Eck Westeuropas, wo die Säkularisierung fast vollendet ist? Vielleicht zunächst die nüchterne Erkenntnis, dass auch die Reformation selbst zu alledem einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat. Indem die Verantwortung des Individuums vor Gott in den Mittelpunkt gerückt wurde, hatte sich eine neue Freiheit ergeben, die sichtbare Kirche zu kritisieren, und damit verbunden eine Zunahme an Komplexität und Pluralität. In dieser Hinsicht lässt sich die Reformation als 68er-Bewegung des 16. Jahrhunderts bezeichnen.

Bei der zweiten Reformation geht es ums Überleben

Jetzt geht es in Amsterdam um eine Art zweite Reformation. Und wie vor 500 Jahren ist auch sie eine offene Bewegung. Gott muss noch einmal in einer Grenzsituation seine Kirche erneuern. Doch diesmal geht es um ihr Überleben und ihren Brunnen selbst. Es gilt vor allem, Menschen neu für den Glauben zu begeistern und besonders die Gnade und Menschenfreundlichkeit Gottes zum Leuchten zu bringen.

Luther brachte das Evangelium näher zu den Menschen. Gelingt es den Kirchen in Amsterdam, sich nicht in eine religiöse Nische zurückzuziehen, bleiben sie auch als Minderheiten weiterhin sichtbar und wirksam. Für das Weiterleben von Kirche wird dabei sehr entscheidend sein, ob aus geteiltem Glauben auch eine erkennbare Verantwortung für die Welt erwächst.

In einer Stadt wie Amsterdam, mit ihrer überwältigend religiös-kulturellen Vielfalt und den unterschiedlichsten konfessionellen Prägungen, darunter auch eine Menge neu gegründeter "Do-it-yourself-Gemeinden" in kleinen "Garagenkirchen", wird das nur im konsequenten ökumenischen Miteinander gelingen. Ganz nach Augustins Prinzip: "In der Hauptsache Einheit, in Zweifelhaftem Freiheit, in allem Liebe." Was bleibt, ist ein Reformationstag auf der Straße. Ecclesia semper reformanda.