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TV-Tipp: "Tatort: Taxi nach Leipzig" (ARD)
22.7., ARD, 20.15 Uhr
Vor zwei Jahren feierte die ARD mit diesem Krimi ein besonderes Jubiläum: Der Titel von "Tatort" Nummer tausend ist eine Hommage an die nunmehr 46 Jahre alte Tradition der Reihe, aber die Geschichte ist für einen Sonntagskrimi im "Ersten" höchst ungewöhnlich. 1970 reiste Kommissar Paul Trimmel im ersten "Tatort" heimlich nach Leipzig. Anlässlich des Jubiläums schickt der NDR die Ermittler Klaus Borowski (Axel Milberg) und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ebenfalls nach Sachsen, doch von Ermitteln kann keine Rede sein.

Alexander Adolph, als Schöpfer der ZDF-Reihe "Unter Verdacht" (2002) sowie für die "Tatort"-Folge "Im freien Fall" (2001) jeweils mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, erzählt eine Geschichte, die es so im "Tatort" noch nicht gegeben hat: Im Unterschied zum üblichen Krimi sind die beiden Kriminalisten nicht Handelnde, sondern zur Untätigkeit verdammt. Der Film beginnt bei einer offenbar wenig erbaulichen Tagung in Braunschweig. Lindholm vertreibt sich die Zeit mit SMS-Botschaften und bahnt ein Rendezvous für den Abend an, Borowski hat Hunger und muss sich in den Pausen eines lästigen Kollegen namens Affeld (Hans Uwe Bauer) erwehren. Später schnappt ihm Lindholm am Büffet das letzte Brötchen weg; Borowski steckt sich als Ersatz ein paar Kekse in die Tasche, was sich noch als sehr nützlich erweisen wird. Den Kollegen aber wird er erst los, als der Mann kurz drauf stirbt: Die drei landen zufällig im selben Taxi, und Affeld redet so lange auf den nicht angeschnallten Fahrer ein, bis der ihm kurzerhand mit einem raschen Griff das Genick bricht. Anschließend fesselt er die beiden anderen Fahrgäste, und spätestens jetzt wird Borowski und Lindholm klar, dass dieser regnerische Abend einen anderen Verlauf nehmen wird als geplant; das hatte zuvor bereits ein blutroter Sonnenuntergang angedeutet.

Über weite Strecken ist "Taxi nach Leipzig" ein Kammerspiel auf vier Rädern, weil sich die Handlung größtenteils im Taxi zuträgt. Der Fahrer, Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi), ist ein ehemaliger Elitekämpfer, der sich an seinem früheren Vorgesetzten rächen will: Erik Tillmann (Trystan Pütter) ist schuld daran, dass der Soldat in Afghanistan eine Familie getötet hat; später hat er ihm noch die Frau ausgespannt. Sie heißt Nickie (Luise Heyer), hat heute Geburtstag und wird morgen heiraten; sie ist die vierte Hauptfigur. Ihnen allen gewährt Adolph jeweils ein eigenes Kapitel, in dem er den Fortgang der Handlung aus ihrer Sicht erzählt. Den Auftakt macht der Taxifahrer, ein hochintelligenter Mann, dem wenige Momente genügen, um seine Fahrgäste zu analysieren. Es folgt Borowski. Der Seelenforscher ist erbost über die Konfrontationsstrategie der ihm bis dahin unbekannten Kollegin ("Diese Frau hat die Sensibilität eines Schneepflugs"). Während der Hauptkommissar vor sich hin monologisiert und versucht, sein Herzklopfen zu beruhigen, gelingt es ihm, die Fesseln durchzuscheuern und einen Unfall zu provozieren. Die beiden lassen den Fahrer scheinbar leblos zurück und suchen Hilfe. Nun rückt Lindholm ins Zentrum, aber für sie hat sich Adolph etwas anderes ausgedacht: Sie fürchtet sich davor, im Dunkeln allein zurückgelassen zu werden, was der Film mit einer Rückblende in ihre Kindheit illustriert.

Natürlich liegt der Reiz der nur vordergründig überschaubaren Handlung nicht zuletzt in der Demontage der Ermittler, die beide sonst stets überlegt und kontrolliert handeln; gerade Furtwängler darf ihrer kühlen Lindholm, die sich in einer Scheune verängstigt in eine Ecke kauert, während draußen Wölfe um das Gebäude schleichen, ganz neue Seiten abgewinnen. Obwohl sich die Aktionsanteile in Grenzen halten, ist Adolph und seiner Kamerafrau Jutta Pohlmann eine bemerkenswerte Thriller-Spannung gelungen. Deshalb ist ein kurzer Moment unverhoffter Heiterkeit umso wirkungsvoller: In der Scheune steht ein Auto, das nach Borowskis Überzeugung viel zu alt ist, um eine Alarmanlage zu haben. Beim Versuch, die Scheibe einzutreten, stellt er sich allerdings derart ungeschickt an, dass er sich prompt verletzt; und natürlich geht auch die Alarmanlage los. Aber diese Einlage ist die große Ausnahme. Wenn Borowski und Lindholm durch den nächtlichen Wald irren, ist "Taxi nach Leipzig" viel näher am Horrorfilm als am Krimi. Die Figur des Elitesoldaten als potenzieller Amokläufer, der sich nach seiner Heimkehr aus dem Krieg nicht verstanden fühlt, erinnert an Hollywoodfilme über Vietnam-Veteranen, die in der Gesellschaft keinen Platz mehr finden; es mag Zufall sein, aber der berühmteste Vertreter dieses Genres war ebenfalls ein "Taxi Driver".

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Und so ist Adolphs Jubiläumswerk ein Film, der nicht zuletzt für die Experimentierfreude der ARD auf diesem populärsten deutschen Sendeplatz steht. Als kleine Hommage gibt es einen Gastauftritt von Günter Lamprecht als Tagungsleiter, dessen Schlusswort sowohl den Teilnehmern wie auch der Riege aller "Tatort"-Kommissare, den echten Polizisten sowie den Zuschauern gilt, die der Reihe solange die Treue gehalten haben. Lamprecht hat in den frühen Neunzigern den Berliner "Tatort"-Kommissar Franz Markowitz gespielt und wirkte in einer kurzen Rolle schon 1970 im ersten "Taxi nach Leipzig" mit.