Carsten Hokema, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine aufblasbare Kirche zu schaffen und am Strand Gottesdienst für Touristen und Drachenflieger zu veranstalten?
Carsten Hokema: Ich bin Referent des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden im Dienstbereich Mission. Meine Aufgabe ist es, den Glauben zur Sprache zu bringen. Ich bin in Kirchengemeinden unterwegs, um Christen zu sagen: 'Geht dahin, wo die Menschen sind!' Eines Tages habe ich gemerkt, dass ich das selbst gar nicht mache. Dann habe ich überlegt, wie ich das machen könnte: Ich bin seit über dreißig Jahren Drachenflieger. Ich habe mit Eventfirmen Kontakt aufgenommen und die Idee entwickelt, eine aufblasbare Kirche aus Drachenstoff zu bauen. Der Stoff der Kirche ist also ein bedruckter, feiner Stoff. Die Kirche passt gut zur Drachenszene.
Als Drachenflieger ist Ihnen die Umwelt sehr wichtig: Was darf man als Drachenflieger? Was darf man nicht?
Hokema: Die Drachenfeste finden nur an ausgewiesenen Orten statt. Wir sind mit den Event-Veranstaltern unterwegs und sehen uns immer die Natur an und fragen uns, ob es am betreffenden Platz möglich ist, ein Drachenfest zu veranstalten oder nicht. Dazu gehört, dass wir Vogelschutzgebiete nicht nutzen. Und für Kitesurfer gibt es ausgewiesene Gebiete. Wir nutzen ausschließlich diese Gebiete für unsere Veranstaltungen. Ich freue mich sehr, dass ab Herbst 2018 ein lutherischer Kollege, Erik Neumann aus Dissen bei Osnabrück, offiziell als Kite-Pastor unterwegs ist.
Er ist nicht nur Pastor, sondern hat auch eine Kitesurflehrer-Ausbildung. Bei dieser Ausbildung wird Umweltschutz und der verantwortungsvolle Umgang mit der Schöpfung groß geschrieben. Es gehört zu meinem Ehrencodex, dass wenn ein Surfer in ein Schutzgebiet fährt, ich ihn anspreche: "Hier ist doch so viel Platz. Es muss doch nicht sein, dass man ins Naturschutzgebiet fährt, oder?" Ich suche immer das persönliche Gespräch mit Menschen.
Wie erhalten Sie die Gewähr, dass die Sponsoren die Umwelt-Grundsätze einhalten?
Hokema: Wir können nicht immer gewährleisten, dass die Sponsoren diese Grundsätze einhalten. Aber wir achten darauf, dass unsere Sponsoren, die uns mit Drachen ausstatten, diese Drachen nachhaltig herstellen. Besonders Einleiner-Drachen werden oft in China hergestellt. Wir achten beim Hersteller darauf, dass die Löhne gerecht sind. Zudem gibt es in der Drachen-Szene Recycling-Initiativen. Sie sorgen dafür, dass alte Kitesurf-Schirme wiederverwertet werden.
Sie bauen sich einen Sponsorenkreis auf: Was ist heute zu beachten, wenn man für ein kirchliches Projekt Sponsoren aus der freien Wirtschaft anschreibt?
Hokema: Es gibt internationale Standards. Dazu gehört, dass man die Menschenrechte achtet und den Schutz der Schöpfung gewährt. Und darauf müssen sich unsere Sponsoren einlassen. Es ist schon außergewöhnlich, dass ein kirchliches Projekt wie unseres von nicht-kirchlichen Sponsoren gefördert wird. Dafür bin ich sehr dankbar. Persönliche Beziehungen zu den Sponsoren sind das A und O. Es geht dabei aber nicht um plumpes Anbiedern. Man muss gucken, welche Firma passt, welche Leute einem sympathisch sind und auch, ob man von dem Produkt wirklich überzeugt ist. Halbherzigkeit hilft keiner Seite. Und man muss eben auch immer schauen, wo sich Türen öffnen, man muss wach sein und dann Initiative ergreifen. Als ich mit dem Projekt Ewigkite.de angefangen habe, da hat sich gerade ein guter Kontakt zu einer Firma ergeben, die noch in den Babyschuhen stecke. Heute ist sie auf dem Drachenmarkt sehr bekannt. Den Geschäftsführer und Entwickler habe ich durch ein Telefonat kennengelernt. Zwischen uns hat es einfach gepasst. Und das ist bis heute so.
Normalerweise muss man Sponsoring-Verträge unterschreiben, die einen ideellen und öffentlichkeitswirksamen, auf jeden Fall in irgendeiner Weise nachvollziehbaren Gegenwert für das Sponsoring beinhalten. Wenn ich auf Sponsoren zugehe, dann sage ich ihnen, dass ich das nicht garantieren kann. Deswegen mache ich es anders: Der Sponsor stellt uns zum Beispiel Drachen zur Verfügung und wir setzen sein Logo auf unsere Internetseite, unsere Flyer und Fahrzeuge. Wir sprechen nicht von Sponsoring, sondern von "Unterstützung". So können auch mehrere Firmen aus einem Bereich, die sich eigentlich als Mitbewerber auf dem Markt verstehen, uns gleichzeitig und nebeneinander unterstützen. Und wir müssen nicht, können aber für gute Presse sorgen. Und das machen wir auch gerne, wenn es passt. Aber eben ohne vertragliche Verpflichtung. Als kirchliches Projekt wollen wir uns nicht der Werbung oder der Wirtschaft verpflichten. Wir wollen Kirche für die Menschen sein. Den Glauben an Jesus Christus anbieten. Der Glaube an Jesus Christus ist ein Geschenk!
Wie lebt man die christlichen Grundüberzeugungen bei Drachensport und Kitesurfing?
Hokema: Das geht sehr gut! Denn auch am Strand bin ich ja ein Mensch, der mit anderen Menschen in Beziehung ist. Ich habe das gerade erst wieder auf einem Drachenfest in Dänemark erlebt, wie vorbildlich eine Gruppe Kitesurfer auf dem Wasser miteinander umgegangen ist. Einer von ihnen war abgetrieben worden. Er kam nicht mehr so recht an Land. Wir sind ihm als Gruppe entgegengefahren und haben ihm geholfen, an Land zu kommen.
Sie verbinden im Projekt Ewigkite den Drachensport mit dem christlichen Glauben. Wie machen Sie das?
Hokema: Wir laden die Leute ein, kommen mit ihnen ins Gespräch. Wir machen das aber auf keinen Fall mit dem Holzhammer. Sondern: wenn das Herz voll ist, dann erzählt man. Und natürlich erzählt man dann auch, was einen selbst bewegt. Vor einiger Zeit ist zum Beispiel eine junge Frau in einen Gottesdienst gekommen. Im Rahmen eines Drachenfestivals. In ihrer Familie war plötzlich eine schlimme Krankheit eingebrochen. Sie hat darüber gesprochen und ihre Sorge und Not in Worte gefasst. Nach unserem Gespräch habe ich ihr gesagt: "Ich bete jetzt für Dich." Danach nahm sie mich zu Seite und meinte "Danke! Das Gebet hat mir wirklich geholfen!"
Wie erhalten Sie die Gewissheit, dass Ihre Sponsoren die christlichen Werte nicht verletzen?
Hokema: Ich freue mich, wenn Firmen aus dem christlichen Bereich mit uns zusammenarbeiten. Wie zum Beispiel die Firma eines Christen aus Ostfriesland, der uns einen großen Anhänger zur Verfügung gestellt hat. Einer meiner theologischen Grundüberzeugungen besagt, dass alles Gute, was mir und anderen Menschen geschieht, aus Gottes Hand kommt.
Welche Rolle spielt dabei Vertrauen?
Hokema: Gottvertrauen spielt eine sehr große Rolle! Es ist das Vertrauen auf Gott, dass sich schon immer alles zurechtruckeln wird. Dass sich zum Beispiel die Finanzen ergeben. Wir brauchen für unser Projekt ja nicht nur Sponsoren. Wir brauchen auch Spenden, real existierende Euros auf dem Konto, weil wir schon erhebliche Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Fahrtkosten, Mieten usw. haben. Personalkosten haben wir übrigens nicht. Alles wird ehrenamtlich geleistet. Ohne Sponsoren und Spender würde unser Projekt nicht laufen. Darum sage ich allen, die anpacken und helfen: "Danke! Für das, was ist!" Und ich bin Gott sehr dankbar, für das, was im Laufe der letzten 10 Jahre entstanden ist. Also: wenn wir aus dem nicht-kirchlichen oder kirchlichen Bereich Spender oder Sponsoren bekommen, ist das klasse! Gott sei Dank für alle und alles!
Und andere haben uns geholfen, zu helfen: Ich freue mich sehr, dass sich seit vier Jahren unser Projekt Windspiele auf den Beinen hält. Wir verteilen kleine Windspiele in Form von Schafen. Die Leute nehmen diese Schafe mit und geben gerne eine Spende. Damit haben wir schon 7.000 Euro zusammen bekommen und an ein Jugendprojekt in Serbien weitergeleitet. Eine kleine Kirchengemeinde geht dort zu Straßenkindern, versorgt sie mit Lebensmitteln und macht mit ihnen Hausaufgaben. Jetzt haben sie dazu auch noch eine Elternbetreuung eingerichtet.
Sie halten Gottesdienst für Touristen und Drachenflieger: muss man anders predigen und wie?
Hokema: Ja. Wir müssen in den Kirchen grundsätzlich anfangen, anders zu predigen: weniger kopflastig, sehr wohl theologisch fundiert, aber zugleich von Herz zu Herz. Das Herz ist die Mitte des Menschen. Da kommt alles zusammen. Es ist das Innerste des Menschen. Wir sollten so reden und predigen, dass Menschen in ihrer Mitte angesprochen werden. Dafür müssen wir auch erst mal zuhören. Hinhören, auf das, was die Menschen beschäftigt. Wir haben einen Großdrachen von 96 Quadratmetern genäht. Der Drachen zeigt eine Weltkarte. Darunter haben wir einen Spruch gesetzt: "Mit dem Himmel verbunden."
Für Drachenflieger ist die Botschaft klar: Wir alle sind durch die Drachen mit dem Himmel verbunden. Für Christen schwingt natürlich noch eine andere Botschaft mit: wir sind mit Gott im Himmel verbunden. Das Besondere am christlichen Glauben ist ja, dass nicht der Mensch in den Himmel steigen muss, sondern dass Gott aus dem Himmel zu uns Menschen kommt, in Form des Menschen Jesus Christus. Er spricht mitten in unser Leben und zu den Herzen. Das versuchen wir auf den Drachenfesten auch. Jesus hat keine Fremdwörter verwendet. Jesus ging zu den Menschen und benutzte Bilder aus ihrem Alltag. Das vierfache Ackerfeld. Das verlorene Schaf. Und so versuche ich es auch. Ich habe zum Beispiel die Geschichte vom verlorenen Schaf umgeschrieben in die Geschichte vom verlorenen Drachen. Einem Drachenflieger ist die Leine gerissen. Er sucht seinen Drachen, findet ihn wieder und freut sich so sehr, dass er zu seinen Freunden zurückgeht und mit ihnen ein Fest feiert.
Drachenflieger und Kitesurfer: was mögen die besonders an Jesus und an der Bibel?
Hokema: Alle Wasser- und Windgeschichten kommen gut an. Über den sinkenden Petrus kann man auf einem Drachenfestival wunderbar predigen. Und über Windstille, die sich plötzlich zu einem Wind entwickelt. Glaube entwickelt sich ja auch. Gott wirkt in uns wie ein Wind. Geist und Wind sind im Hebräischen dasselbe Wort: ruach. Man kann auf Drachenfesten gut über 1. Mose 1,2 predigen: 'Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern’. Oder über Johannes 3,8: 'Jesus spricht: Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist." Der Geist Gottes ist eigentlich immer da. Wir Menschen müssen nur verstehen, dass er da ist.
Lernen Sie durch Gottesdienst mit Drachenfliegern Jesus ganz neu kennen?
Hokema: Ja. Ich lerne Jesus normaler kennen. Menschlicher. Eine Situation beim Drachenfest in Sankt Peter Ording: Nach dem Gottesdienst standen wir vor der aufblasbaren Kirche. Ich hatte keine Schuhe an und stand im Wind. Da kamen ein paar Leute zu mir. Einer sagte: "Danke für den Gottesdienst! Danke für diese Mut machenden Worte!" Ein anderer meinte: "Das ist mir nahegegangen und das wird mir nachgehen!" Und eine Frau freute sich richtig: "Ach Mensch! Dass ich hier rein gestolpert bin in diese Kirche, das ist klasse!"