Lansink und Konsorten bilden nach wie vor eins der interessanten Krimi-Ensembles, die Geschichten sind außerdem immer wieder originell. Die Kontinuität hinter der Kamera sorgt zudem dafür, dass die Bildsprache zwar moderat dem Zeitgeist angepasst wird, "Wilsberg" sich aber stets treu geblieben ist: Martin R. Neumann war von Anfang an Redakteur der Reihe, Anto Moho ist seit dem zweiten Film als Producer dabei; er war es, der Neumann auf Lansink aufmerksam gemacht hat. Natürlich ließe sich diese Einschätzung genauso gut gegen die Reihe verwenden, schließlich ist der Titelheld eine Figur von gestern, aber selbst wenn man Georg Wilsberg und seine Ermittlungsmethoden altmodisch findet: Altbacken sind die Filme nicht.
"Tod im Supermarkt" ist eine Folge wie viele andere auch: grundsolides, professionell gemachtes Fernsehen, aber kein Jubiläums-"Event". Es gibt weder berühmte Gaststars noch spektakuläre Einlagen, doch dafür eine hochinteressante Geschichte, die scheinbar harmlos beginnt: Wilsbergs Freund Ekki (Oliver Korittke) hat einen Supermarkt verklagt, weil er auf einem zerbrochenen Joghurtbecher ausgerutscht ist und sich einen schmerzhaften Bänderriss zugezogen hat. Die Anwältin der Gegenpartei kann jedoch belegen, dass Ekki offenbar Alkoholiker ist, am Tag des Unfalls vermutlich betrunken war und somit selbst schuld ist. Ekki will daraufhin den Filialleiter (Sönke Möhring) zur Rede stellen, findet den Mann jedoch erschlagen in einem Müllcontainer; und weil zufällig ein Wachmann auftaucht, gilt er nun als Mörder. Wilsberg lässt sich im Supermarkt als Aushilfe engagieren, ermittelt "undercover" und gerät mitten hinein in ein komplexes Geflecht aus Liebe, Eifersucht, Ehrgeiz und Betrug in großem Stil.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Eckehard Ziedrich gehört zu dem Stammautoren der Reihe. "Tod im Supermarkt" ist sein elftes "Wilsberg"-Drehbuch, und seine Geschichte hat eine Botschaft: "Pass’ auf deine Daten auf!" lautet der letzte Satz des Films. Der Autor stellt sein Anliegen nie über den Film, aber es läuft stets nebenher. Das beginnt schon mit der Verhandlung zu Beginn: Dass Ekki angeblich Alki ist, entnimmt die Verteidigerin (Sandra Borgmann) des Supermarktleiters der Übersicht eines Bonusprogramms, demzufolge Ekki in einem Monat 78 Flaschen Wodka gekauft hat. Prompt fühlt sich der brave Finanzbeamte als Opfer eines Komplotts. Später wird ausgerechnet die Datensammelwut des Unternehmens entscheidend dazu beitragen, gleich mehrere Betrugsfälle zu lösen; aber der Todesfall hat ganz andere Ursachen.
Martin Enlen inszeniert seinen sechsten "Wilsberg" unauffällig, führt die Darsteller aber ausgezeichnet. Das gilt vor allem für die Besetzung der Supermarktmitarbeiter, allen voran Michael A. Grimm als autistisches Faktotum Dieter, dessen scharfem Blick nicht die kleinste Kleinigkeit entgeht. Außerdem sorgt Enlen dafür, dass der Film gerade auch dank der Vielschichtigkeit des Drehbuchs stets hintergründig spannend bleibt, denn Ziedrich konfrontiert einige Hauptfiguren mit ungewohnten Herausforderungen: Kommissarin Springer (Rita Russek) wird nahe gelegt, den Vorruhestand anzutreten, weshalb nun Overbeck (Roland Jankowsky) die Ermittlungen übernimmt. Er hat gerade mit Auszeichnung ein Seminar als Profiler absolviert, schwafelt ständig hochtrabend daher und fühlt sich nun erst recht wie der Superbulle von Münster. Für Ekki steht ohnehin die Existenz auf dem Spiel. Trotzdem sorgt Ziedrich immer wieder für Schmunzelmomente, zumal die Dialoge liebevoll ausgefeilt sind. Gerade Jankowsky hat ungewohnt eloquente Auftritte, ist aber trotzdem wie stets die Witzfigur des Films, und ausgerechnet Dieter sorgt dafür, dass zumindest im Revier am Ende alles wieder seine alte Ordnung hat. Sehr hübsch sind auch die eingeblendeten Twitterkommentare von Jugendlichen, als Overbeck wieder mal Geheimagent markiert und Tarnnamen wie "Kuranter Tokus" (hübscher Hintern) aus der Masematte verwendet, eines nur in Münster gebräuchlichen Soziolekts. Für die Handlung ist das völlig unerheblich, aber es belegt die Hingabe zum Detail, mit der Ziedrich sein Drehbuch verfasst hat.