Übersinnlich wird es trotzdem, denn die Wurzeln der Tat liegen über 350 Jahre zurück, als ein Hexenjäger sein Unwesen trieb. Angeblich sind die Seelen von Richter und Luxinger schon damals aufeinander getroffen, wenn auch in vertauschten Rollen: das heutige Opfer als Täter, sein mutmaßlicher Mörder als Opfer.
Das klingt erst mal nach einer jener Produktionen, wie sie hierzulande gar nicht mehr ins Kino kommen, weil die Handlung meist haarsträubend und das Budget überschaubar ist. Trotzdem ist "Der Hüter der Schwelle" (Drehbuch: Michael Glasauer) aus zweierlei Gründen reizvoll: Lannert und Bootz, beide eher skeptisch, was Dinge zwischen Himmel und Erde angeht, müssen sich auf die Welt der Magie einlassen, um Antworten auf ihre Fragen zu finden; und die Bildgestaltung ist ungemein kunstvoll. Regie führte der gebürtige Pole Piotr J. Lewandowski; die ARD hat sein Drama "Jonathan" vor einigen Monaten im Rahmen ihrer Debütreihe ausgestrahlt. Der vorzüglich gespielte und gleichfalls vortrefflich fotografierte Film mit Jannis Niewöhner in der Titelrolle eines Bauernsohns erzählte eine berührende Geschichte über das Sterben; den Vater spielte André M. Hennicke.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Beim "Tatort" hat Lewandowski mit dem SWR-Kameramann Jürgen Carle zusammengearbeitet, der bereits viele Eigenproduktionen des Senders optisch veredelt und beim "Tatort" aus Ludwigshafen schon oft dafür gesorgt hat, dass die Filme optisch aufwändiger wirkten, als sie in Wirklichkeit waren. Gerade seine Lichtsetzung ist regelmäßig bemerkenswert. Das gilt auch für "Hüter der Schwelle", zumal im Umfeld des Schamanen mehrfach ganze Szenen in Blau oder Rot getaucht sind. Das trägt natürlich dazu bei, die Welt Luxingers buchstäblich in anderem Licht erscheinen zu lassen, ist aber mehr als bloß eine Spielerei: Das Blau steht für die Unterwelt, in die sich Lannert begeben muss, als er den Keller des Mannes erkundet, und in knalligem Rot erstrahlt die Szenerie, als die Kommissare offenbar Zeuge eines weiteren Ritualmordes werden.
Dabei ist schon der pleonastische Name der Frau, die scheinbar gemeuchelt werden soll, ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sie kein Opfer ist: Diana Jäger (Saskia Rosendahl) – Diana ist die römische Göttin der Jagd – war eine Kommilitonin von Marcel Richter, kannte ihn aber angeblich nicht näher. Trotzdem nimmt die Studentin in dieser Geschichte eine ganz besondere Rolle ein, vor allem für Bootz, der angesichts der attraktiven jungen Frau und ihrer speziellen Art nicht mehr Herr seiner selbst ist. In der entsprechenden Szene zeigt sich nicht nur Lewandowskis Talent bei der Arbeit mit den Schauspielern, sondern auch das gute Zusammenspiel zwischen den beiden Hauptdarstellern: Während Klare die Verwirrung des Polizisten fast schon rührend verkörpert, genügt Müller ein kurzer Blick, um zu verdeutlichen, dass Lannert, der den Raum kurz verlassen musste, auf Anhieb erfasst hat, wie es um seinen Kollegen steht.
Ob sich Bootz, der Diana später noch mal aufsucht, nicht nur hin-, sondern auch mitreißen lassen hat, bleibt zunächst offen. Eine andere Begegnung ist dafür umso stärker von körperlichem Kontakt geprägt: Eine SMS auf dem Telefon des Opfers führt zu einem Drogenhändler (Gerdy Zint), dem sich Bootz als Dealer andient. Nun hat auch er sein Kellererlebnis, denn der Mann fordert ihn zum Vollkontaktzweikampf, in dessen Verlauf der Kommissar eine Art außerkörperliche Erfahrung macht, als er plötzlich neben sich steht. In den mit einer Arie aus Camille Saint-Saëns’ Oper "Samson et Dalila" unterlegten brutalen Kampf schneidet Lewandowski Szenen vom Sex mit der Studentin.
Spätestens jetzt werden die Freunde klassischer Krimikunst vermutlich beginnen, mit dem "Tatort" zu hadern; das dürfte sich noch verstärken, wenn die Ermittlungen später in die Zeit der Inquisition zurückführen. Außerdem setzt Lewandowski an gut gewählten Stellen Toneffekte ein, die gemeinhin für Mystery- oder Horrorfilme stehen; auch die Musik (Lenny Mockridge) sorgt für entsprechendes Unbehagen. Mit Hilfe des Schnitts setzt der Regisseur ähnliche Akzente: Auf eine in Großaufnahme gezeigte flackernde Neonröhre in der Rechtsmedizin folgt das Bild eines Verbrennungsofens einer Mülldeponie. Selbstverständlich spielt die Anlage später noch mal eine Rolle: Diana kämpft hier im Finale um ihr Leben. Mitunter ist dem Film allzu sehr anzumerken, dass Lewandowski und Carle um besondere Bilder bemüht waren, aber viele Einstellungen sind kleine Kunstwerke. Einziges Manko des Films ist der Schluss, als der Fall längst geklärt ist und in gefühlten zehn Minuten mit Hilfe von Rückblenden noch mal erklärt wird.