Natürlich spielt der 2014 verstorbene Sänger auch in dem Zweiteiler eine wichtige Rolle, doch gerade Teil eins ist vor allem seinem Großvater gewidmet, der Ende des 19. Jahrhunderts nach Russland auswanderte und es dort bis zum Bankdirektor brachte, aber mit Beginn des Ersten Weltkriegs interniert und des Verrats bezichtigt wurde. Die Laune der Zeitläufte will es, dass einem seiner Söhne dreißig Jahre später das gleiche Schicksal widerfährt; nur sind es diesmal die Nationalsozialisten, die Bockelmanns Sohn Rudi (Udos Vater) einsperren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Spätestens seit "Schicksalsjahre" darf Alexandre als ein Meister des zeitgeschichtlichen Films gelten. Gemeinsam mit Autor Harald Göckeritz (beide für "Grüße aus Kaschmir" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet) ist ihm mit dem 2011 erstmals ausgestrahlten Zweiteiler (Teil zwei folgt am 7. Oktober) ein ganz großer Wurf gelungen. Unerwartet reizvoll ist der dynamische Umgang mit der Zeit. Mitunter fast mutwillig hüpft die Handlung zwischen Historie, jüngerer Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Die Übergänge sind dabei einige Male derart elegant und kunstvoll geraten, dass schon allein diese Momente großes Fernsehen sind, wenn beispielsweise Großvater Heinrich aus dem Fenster seines Gefängnisses in den blauen Himmel blickt und dort quasi das Flugzeug erblickt, mit dem sein Enkel 95 Jahre später in Moskau landet.
Der Grund des Flugs ist jene Bronzestatue, auf die sich der Titel bezieht: ein Mann, der auf einem Fagott spielt. Die Bremer Begegnung mit dem Musiker hatte Heinrich einst bewogen, nach Russland auszuwandern. Viele Jahre später schenkt ihm seine Frau eine Figur, die diesen Mann zeigt. Ebenso wie eine goldene Taschenuhr, die durch die Generationen vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, ist die kleine Statue regelmäßig Anlass, die Zeitebenen zu wechseln. Auch die Karriere von Enkel Udo, einem Jazz-Liebhaber, der in New York lernt, sich musikalisch nie beirren zu lassen, ist auf diese Weise immer wieder Teil der Handlung.
Es gibt kaum einen handwerklichen oder technischen Aspekt dieses Zweiteilers, der nicht zu loben wäre. Famos ist auch die von Jürgens selbst komponierte und mit dem Filmorchester Babelsberg eingespielte Musik, die jedem großen Kinofilm eine Zierde wäre. Die Musik gibt es auf einer Doppel-CD (Ariola); sie enthält neben dem Soundtrack auch wenig bekannte Chansons von Jürgens, die er selbst zusammengestellt hat. Doch bei allem Respekt auch vor der Bildgestaltung durch Gernot Roll, vor Szenen- und Kostümbild (Benedikt Herforth, Uli Fessler), vor Alexandres Inszenierung der Massenszenen: "Der Mann mit dem Fagott" lebt von den Schauspielern. Besonders bemerkenswert ist die Leistung von Christian Berkel, der den alten Bockelmann auch dank perfekter Maskenarbeit höchst glaubhaft über eine Zeitspanne von über fünfzig Jahren verkörpert. Ähnlich großartig sind Herbert Knaup und Ulrich Noethen als erwachsene Söhne sowie David Rott, der den jungen Udo Jürgens auf höchst respektable Weise verkörpert. Das Singen allerdings hat der Meister dann doch selbst übernommen, womit er prompt für diverse Gänsehautmomente sorgt.