Als Solist auf der Trompete und dem Corno da caccia ist er nach wie vor gefragt. 2017 spielte er rund 100 Konzerte, in diesem Jahr sollen es etwas weniger werden. Das habe er sich vorgenommen. "Aber es werden wohl mindestens 75", sagt der groß gewachsene Mann mit einem verschmitzten Lächeln unter dem Schnauzbart. Er arbeite ständig mit seinem Instrument. "Es gibt keinen Besitz an Können", bemerkt er dazu. Dafür brauche es vor allem "eine innere Verfasstheit".
Trotz internationaler Karriere ist Güttler seiner Wahlheimat Dresden treu geblieben. Mit seiner Prominenz posiert er nicht, er nutzt sie aus - für die gute Sache. So wie er es bei der Dresdner Frauenkirche erfolgreich praktiziert hat. Wie kaum ein anderer hat der weltweit gefeierte Trompeter den Wiederaufbau des barocken Denkmals vorangetrieben, gründete zunächst die Bürgerinitiative für den Wiederaufbau mit. "Wir waren der erste Schritt", sagt er, "ein Häuflein klein." "Bedenken, ob der Wiederaufbau gelingen kann, hatten wir auch", fügt er hinzu, "es war uns aber egal, ob es 50 oder 500 Jahre dauert."
Eigene Ideen und feste Prinzipien
Dass das Projekt weitaus schneller vorankam als gedacht und zu einer beispiellosen Spendenkampagne führte, hat nicht zuletzt mit dem Vermarktungsgeschick Güttlers zu tun. Wahrscheinlich half ihm dabei auch die Hartnäckigkeit, die Erzgebirglern nachgesagt wird. Spürt er Widerstand, dann wächst sein Wille erst recht, erzählt er. "Dann erwacht in mir der Ochse, egal wie hoch der Berg ist."
Güttler, geboren 1943 im erzgebirgischen Sosa, ist ein Mann mit eigenen Ideen und festen Prinzipien. Für den Wiederaufbau hängte er Anfang der 1990er Jahre seine Lehrtätigkeit an der Dresdner Musikhochschule an den Nagel. Zwei, drei Jahre dachte er zunächst. Doch aus der Rückkehr wurde nichts. Täglich habe er fünf bis sechs Stunden für die Frauenkirche gearbeitet - ehrenamtlich. Für Frauenkirchenpfarrer Sebastian Feydt ist Güttler ein "großer Visionär". Es brauche solche Personen, um "schier Unmögliches möglich zu machen", sagt er. Güttler habe "über bauliche und auch gesellschaftliche Ruinen hinaus gesehen." Er habe Mut gemacht und vor allem Hoffnung, indem er auf Versöhnung setzte. Und diese lebe er auch.
"Ich bin Musiker, kein Star"
Musikfans schwärmen vom besonderen Klang seines Spiels. Wer ihn allerdings als "Startrompeter" bezeichnet, stößt auf Kritik: Das sei eine einfallslose Floskel. "Ich bin Musiker, kein Star", betont er vehement. Bei Staren denke er an Vögel, an sonst nichts. Der gefeierte Trompeter hat bekanntermaßen viel Humor, doch das meint er ernst.
Als Kind lernte Güttler auch Flöte, Klavier, Orgel und Cello. Dass er sich schließlich der Trompete verschrieb, hat er auch seinem Lehrer zu verdanken. Als 14-Jähriger hörte er auf dessen Rat: "So wie du die Trompete bläst, mach das", soll er gesagt haben. Auch das Urteil seiner Zuhörer habe ihn geprägt. "Wenn ich dich spielen höre, muss ich innehalten", sagten ihm Besucher nach Konzerten. Das fand er anrührend und ermutigend zugleich. Ludwig Güttler ist früh ein gesamtdeutsches Phänomen geworden. Seine Schallplatten waren zur Zeit der Teilung auch im Westen gefragt. In den 1980er Jahren zählte er zu den kulturellen Aushängeschildern der DDR - als Musiker durfte er in den Westen reisen. 1987 gründete er die Musikwoche im niedersächsischen Hitzacker mit und war 29 Jahre lang ihr Leiter. Den Mauerfall am 9. November 1989 erlebte er auf einem Gastkonzert in Essen.
Güttler ist seit Jahrzehnten auch ein erfolgreicher Dirigent. Die drei von ihm gegründeten Ensembles - das Leipziger Bach-Collegium, das Blechbläserensemble Ludwig Güttler und das Kammerorchester Virtuosi Saxoniae - bestehen bis heute. Zudem leitet er das Festival "Sandstein und Musik" in der Sächsischen Schweiz. Sorgen bereitet dem international bekannten Künstler die asyl- und fremdenfeindliche "Pegida"-Bewegung. "Ich schäme mich dafür", sagt er. Oft werde er gerade im Ausland danach gefragt. Sein Appell an die "Pegida"-Bewegung lautet: "Wer das Negative zuerst sieht, sollte sich hinterfragen."
Güttler ist außerdem leidenschaftlicher Musikforscher. Ihm ist es zu verdanken, dass die Konzertliteratur durch neue Entdeckungen erweitert wird. Vor allem hat er sich der Wiederbelebung der sächsischen Hofmusik des 18. Jahrhunderts verschrieben. Dutzende Tonträger zeugen davon. Er habe noch so einiges an musikalischen Schätzen zu Hause liegen. Doch, so sagt er, "wenn ich das alles spielen wollte, müsste ich 140 Jahre alt werden".
"Das Machen hat auch etwas Verführerisches"
Mit seiner aktuellen "Edition Europa. Ein Kontinent geeint durch die Musik" zeigt er das politische Zusammenwachsen Europas in der Musik - und zwar schon vor Jahrhunderten. Werke von Komponisten wie Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Antonin Dvorák werden interpretiert. Der Musiker will sich mit seinen Begabungen in die Welt einbringen. Dafür stellt er vieles zurück.
Das spüren auch seine fünf Kinder und neun Enkelkinder, wie er zugesteht. "Das Machen hat auch etwas Verführerisches", sagt er. Doch mit 75 will er nun auch mehr privat reisen - an den Baikalsee würde er gern einmal oder nach Indien. "Die Welt hat wunderbare Orte", sagt Güttler. Durch das konzentrierte Arbeiten über all die Jahre sei ihm vieles entgangen.