Viermal Rotbier, zweimal Schwarzbier, sechs Helle und ein großes Glas Wasser. Marie, Noah, und Bianca prosten sich zu. Die drei sitzen zusammen mit neun weiteren an einer langen Tafel in einer urigen, fränkischen Kneipe in der Nürnberger Nordstadt. "Das ist hier ja fast wie beim letzten Abendmahl", witzelt Bianca. Die 18-Jährige mit Stoppelhaarfrisur, Piercing und unzähligen Tattoos ist als letzte erschienen. Es ist Mittwochabend, die Evangelische Jugend hat zu Bier & Bibel eingeladen.
Die jungen Leute sind mit ganz unterschiedlichen Erwartungen ins Landbierparadies gekommen. Studentin Bianca möchte heute Abend generell über Glauben reden, anders Marie: "Ich dachte, das ist sowas wie ein Bibelkreis", sagt die 18-Jährige, die ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Jugendkirche Lux macht. Sie erhofft sich, dass sie in ihrem Glauben einen Schritt weiterkommt. Der 16-jährige Noah dagegen findet es lustig, Bibel und Bier zu vermischen. "Ich wohn gleich um die Ecke, das Bier ist lecker. Das ist doch Motivation genug", schmunzelt er. Die jungen Leute frotzeln, die meisten kennen sich. Die Lux-Jugendkirche ist gleich nebenan. Dort treffen sie sich normalerweise. Die wenigen unbekannten Gesichter werden genauso herzlich aufgenommen - auch die jenseits der 40 Jahre.
Gebote im Alten Testament und beim Bierbrauen
Benedikt Wolff, Pfarrer und Hobby-Craft-Bierbrauer ist Special Guest in der Runde und provoziert gleich mit einer heiklen Frage. "Was ist euer Lieblingsbier und was schmeckt euch nicht an der Bibel?" Das Frauenbild in der Bibel findet einer echt krass, das Rotbier von Schanzenbräu dagegen super. Einer anderen ist es egal, welches Bier, Hauptsache Alkohol. Dafür findet sie die Geschichte von Adam und Eva total unlogisch und Noah meint: "Ich darf erst seit kurzem legal Bier trinken, kann mir also kein Urteil darüber erlauben, welches Bier das Beste ist." Über die Bibel aber schon: Er findet es unsinnig, die Schrift aus ihrem geschichtlichen Kontext zu reißen und sie wortwörtlich zu nehmen.
Pfarrer Wolff nickt: "Daraus lassen sich keine modernen Gesetze und moralischen Vorstellungen ableiten. Wenn man sich die Reinheitsgebote im Alten Testament anschaut, die machen für mich keinen Sinn. Genauso wenig, wie das Reinheitsgebot beim Bierbrauen. Ich will frei sein und selber entscheiden, welches Bier mir schmeckt", sagt er, und schon sind die jungen Leute mitten drin in der Diskussion. Was soll das mit den Geboten? Braucht der Mensch Regeln und welche Rolle spielt Jesus dabei?
Jeder Abend ist anders
"Ich bin nicht gläubig. Gott existiert für mich nicht", platzt Noah raus. "An irgendwas musst du doch glauben. Du glaubst an die Wissenschaft", wirft ihm Marie an den Kopf. "Das ist doch kein Glaube, das ist Fakt", erwidert er und muss dann doch zurückrudern. Schließlich hat er weder den Urknall mit eigenen Augen gesehen, noch selber experimentell nachgewiesen.
Das Konzept von Jochen Nitz und seiner Kollegin Barbara Gruß von der Evangelischen Jugend scheint aufzugehen. Sie wünschen sich, dass die Bibel in Nürnberg wieder so selbstverständlich wird wie das Bier in Bayern und haben deshalb die Kneipenreihe Bier & Bibel ins Leben gerufen. "Jeder Abend ist anders. Wir wissen nie, wie er ablaufen wird, wir wissen nicht, wer kommt. Alle sind eingeladen, nicht nur Jugendliche", erklärt er und erzählt, dass er es auch spannend findet zu sehen, wie die Nachbartische reagieren. "Sich demonstrativ wegdrehen, sich herdrehen, zuhören und mitdiskutieren, was auch immer." Am heutigen Abend interessieren sich die anderen Kneipenbesuchern herzlich wenig dafür, worüber sich die jungen Leute an der langen Tafel ereifern. Nicht nur, weil ihnen das Schäufele besser schmeckt als die Bibel. Es ist einfach viel zu laut.
"Was glaube ich, was glaube ich nicht?"
Freischnauze reden, sagen, was einem auf der Seele brennt, vom Hundertsten zum Tausendsten kommen und schließlich bei der Evolution landen. "Genauso will ich das, es hat mir richtig gut gefallen. Es brauchte kaum Impulse von mir. Klar habe ich versucht, immer wieder den Bogen zur Bibel zu schlagen, aber eigentlich fand ich es richtig gut, dass wir zur Kernfrage gekommen sind: 'Was glaube ich, was glaube ich nicht'", sagt Nitz nach dem Abend und Pfarrer Wolff ergänzt: "Seit dem Studium habe ich nicht mehr auf so einem tollen Level mit Leuten diskutiert."
"Auch wenn ich nicht gläubig bin, finde ich es interessant, andere Ansichten der Welt kennenzulernen", sagt Noah und Bianca holt etwas weiter aus: "Wenn Jochen als Diakon dasitzt und daneben ein Junge, der sagt, er glaubt an nichts und eine, die sagt, ich glaube fest daran, was in der Bibel steht - dieses Diskutieren, das bringt mir was, denn ich bin jemand, der sich seinen Glauben selber bildet."