Warum das so ist, erzählt dieser fesselnde Film von Daniel Harrich, in dem sich eine Interpol-Mitarbeiterin (Julia Koschitz) mit international agierenden Pharmakonzernen anlegt. Harrich hat Erfahrungen mit brisanten Stoffen: "Der blinde Fleck – Das Oktoberfestattentat" behandelte Ungereimtheiten rund um den Anschlag aus dem Jahr 1980, "Meister des Todes" (beide 2015 im TV) prangerte illegale deutsche Waffenexporte in Krisengebiete an.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Gerade der Oktoberfest-Thriller hatte jedoch unübersehbare Schwächen in der Darstellerführung, und auch "Gift" ist nicht frei von solchen Fehlern. Hinzu kommt eine gewisse dramaturgische Unentschlossenheit, weil sich der Film nicht entscheiden kann, ob er Ermittlerin Juliette Pribeau oder ihren Gegenspieler, den deutschen Pharmahändler Günther Kompalla (Heiner Lauterbach), zur emotionalen Hauptfigur machen soll. Der Unternehmer wird zumindest mit deutlich mehr Hintergrund ausgestattet: Seine Tochter Katrin (Luise Heyer) arbeitet für eine internationale Ärzteorganisation und kümmert sich in den Slums von Mumbai um die Ärmsten der Armen. Als sie rausfindet, dass eine Frau sterben musste, weil die Medikamente des indischen Geschäftspartners ihres Vaters wirkungslos sind, bricht sie den Kontakt zu Kompalla ab. Der hat zwischenzeitlich jedoch erfahren, dass er Krebs und nur noch wenige Wochen zu leben hat. Deshalb möchte er Vergebung, wenn schon nicht von der Welt, dann zumindest von Katrin, und öffentlich reinen Tisch machen, was die mächtigen Konzerne selbstredend um jeden Preis verhindern wollen; auf diese Weise wird der Unternehmer, der seine Hände zunächst in Unschuld wäscht, weil er doch bloß "Wiederverkäufer" sei, zur tragischen Figur. Bei Juliette ist der Versuch, für emotionale Anknüpfung zu sorgen, konstruiert und durchschaubar: Damit sie nicht auf ihre Arbeit reduziert wird, hängt ihr das Drehbuch eine beim Vater lebende Tochter an, der sie eine kurze Szene lang voller Trauer aus der Distanz beim Spielen zuschaut.
Dabei ist schon die faktische Ebene der Geschichte für einen neunzigminütigen Film viel zu komplex, weil Harrich, dessen gemeinsam mit Gerd Heidenreich verfasstes Drehbuch auf jahrelangen Recherchen basiert, die gesamte Thematik erfassen will; der Stoff hätte locker für zwei Stunden oder für einen Zweiteiler gereicht. Andererseits verschwendet der Film viel Zeit mit der farbenfrohen ausgelassenen Hindu-Hochzeit von Katrin, weshalb einige äußerst schillernde Rollen weniger Spielraum bekommen, als angemessen wäre. Mindestens so interessant wie die beiden Hauptfiguren ist eine von Maria Furtwängler sehr charismatisch verkörperte Professorin für medizinische Forschung, die nicht nur Interpol berät, sondern auch als Lobbyistin auf der Lohnliste der Gegenseite steht; sie sorgt schließlich für die ebenso grimmige wie frustrierende Schlusspointe des Films. Nicht minder namhaft sind drei weitere Schlüsselfiguren besetzt: Martin Brambach spielt den skrupellosen Geschäftsführer des Pharmagiganten Poindex, Ulrich Matthes den Repräsentanten eines mit Wohl und Wehe dieses Konzerns eng verbundenen Schweizer Bankhauses, Francis Fulton-Smith den Chef von Interpol.
Warum die Geldinstitute ein großes Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit den Unternehmen haben, liegt angesichts der Gewinnmargen im tausendprozentigen Bereich und des jährlichen Umsatzes beim Handel mit gefälschten Medikamenten in Höhe von über 400 Milliarden Euro auf der Hand. Die Strukturen, heißt es im Film, seien mafiös; hilflos muss Juliette mit ansehen, wie der Skandal bagatellisiert wird. Es ist also durchaus mutig vom Bayerischen Rundfunk, einen derart brisanten Stoff aufzugreifen. Andererseits hat Harrich gerade den Auftakt, als Juliette bei einer Razzia palettenweise gefälschte Medikamente beschlagnahmt, mit entsprechender Thrillermusik packend umgesetzt. Auch wenn der Film die Intensität dieses Prologs nicht durchhält: Mehr als nur bemerkenswert bleibt die Kameraarbeit durch den dutzendfach ausgezeichneten Gernot Roll, der den Bildern viel Dynamik verleiht und sich mit seiner betont bunten Farbgebung von der derzeit gängigen kühlen Krimi-Atmosphäre abhebt. Sein Sohn Michael hat eine kleine, aber nicht unwichtige Rolle als undurchsichtiger Sicherheits-Chef von Poindex übernommen. "Gift" ist ohnehin sichtbar aufwändig; nicht nur die Stars, auch die internationalen Schauplätze sind sehenswert. Im Anschluss vertieft 3sat das Thema in der Dokumentation "Gefährliche Medikamente".