Der Film gibt nicht nur Antworten auf die Fragen, die in Teil eins und zwei aufgeworfen wurden, er zeigt auch wieder Mut zu jener Rätselhaftigkeit, die die Reihe zu Beginn aus der Vielzahl vergleichbarer Nord- und Ostseekrimis herausgehoben hatte: Beim Zusammenstoß ihrer Jolle mit einer Segelyacht ist ein Elternpaar ertrunken; nur der sechsjährige Sohn Jacob hat den Unfall überlebt. Angeblich hat der Besitzer der Yacht das kleine Boot im dichten Nebel übersehen. Zehn Jahre später geht ein Schiff in Flammen auf, das von gestrauchelten Jugendlichen wieder seetüchtig gemacht wird. Ein junges Mädchen drängt sich als Brandstifterin zwar geradezu auf, aber dann stellt sich raus, dass es sich bei dem Boot um die Todesyacht von damals handelt. Aus dem kleinen Jacob ist mittlerweile ein großer Jäckie geworden, er ist wieder in der Gegend, und offenbar will er Rache nehmen.
Der vierte Film knüpft somit direkt an den ersten Film, "Mörderhus" (2014), an: Die Familie der ehemaligen Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) ist auf dreifache Weise in den Segelunfall und den Brandanschlag verwickelt, sie selbst allerdings nur indirekt, und zwar über ihren Mann; der kann jedoch nichts mehr zur Wahrheitsfindung beitragen, denn sie hat ihn vor knapp zehn Jahren im Affekt erschossen. Ihre Tochter, Hauptkommissarin Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff), ist die zuständige Ermittlerin im Fall des Schiffsbrands. Am stärksten ist die Enkelin betroffen: Die 17jährige Sophie (Emma Bading) ist von zuhause geflüchtet, in Karins Gartenhaus gezogen und außerdem frisch verliebt. Ihr neuer Freund (Oskar Böckelmann) kommt der Großmutter nicht nur wegen der markanten Narbe am Auge bekannt vor.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Konflikt zwischen den beiden erwachsenen Frauen – schließlich hat Karin Lossow ihrer Tochter den Vater genommen – rückt zwar in den Hintergrund und dafür Enkelin Sophie mehr in den Vordergrund, aber davon abgesehen hat der "Usedom-Krimi" wieder zur ursprünglichen Qualität zurückgefunden. Während Teil zwei, "Schandfleck", die Geschichte weitererzählte und sowohl der düsteren Machart wie auch der hintergründigen Spannung der Reihe treu blieb, fiel die dritte Episode, "Engelmacher", völlig aus dem Rahmen. Da das Autorentrio Scarlett Kleint, Michael Vershinin und Alfred Roesler-Kleint sowie Regisseur Andreas Herzog, der auch den Auftaktfilm inszeniert hat, mit "Nebelwand" an jene Stärken anknüpfen, die den Geschichten innerhalb der Vielzahl von Nord- und Ostseekrimis eine Sonderstellung bescherte, wirkt "Engelmacher" im Rückblick erst recht wie ein Ausreißer nach unten. Nun gibt es auch wieder den Mut zur Lücke, weil viele Fakten zunächst Rätsel aufgeben, darunter die Zeitungsausschnitte über den Schiffszusammenstoß, die Lossow aufbewahrt hat; und dann sind da ja auch noch die mysteriösen 100.000 Euro, das Vermächtnis ihres Mannes. Gerade zu Beginn ist die Geschichte ziemlich undurchschaubar.
Interessant ist auch der vermeintliche Nebenschauplatz mit den Jugendlichen. Lena Urzendowsky versieht die junge Frau, die Thiel für die Brandstifterin hält, mit viel unterdrückter Wut. Dass der Leiter des pädagogischen Projekts seine Schutzbefohlenen nach Polen schickt, sobald sie auffällig werden, und dafür fett abkassiert, ist ein starkes Stück; für die eigentliche Geschichte ist es letztlich allerdings ebenso unwichtig wie der Besuch von Thiels Ehemann Stefan (Peter Schneider) bei einer Optikerin, die ihn unverblümt anbaggert.
Entscheidender ist, dass "Nebelwand" auch handwerklich beherzigt, was die ersten Filme ausgezeichnet hat. Die suggestive Musik (Colin Towns) hält sich zwar im Hintergrund, ist aber dennoch sehr präsent, und die Kamera (diesmal Wolfgang Aichholzer) sorgt für unterkühlte Atmosphäre. Dazu passt auch die allgemeine Wortkargheit, und das bezieht sich nicht nur auf die Dialoge, selbst wenn in den ersten Minuten überhaupt nicht geredet und auch später nur das Nötigste gesagt wird. Neu ist der lakonische Humor: Als Thiel und ihr uniformierter Kollege Brendel (Raiener Sellien) nachts seltsamen Geräuschen nachgehen, inszeniert Herzog das wie eine Geisterbahnszene; der "Geist" ist jedoch bloß just jene Obdachlose, die später beinahe auf dem Schiff stirbt, hier aber noch guter Dinge ist und die beiden mit einem trockenen "Moin!" begrüßt. Es gibt einige verblüffende Momente dieser Art, doch der Grundton des Films ist die Geisterbahnstimmung: weil Bildgestaltung und Musik fast permanent signalisieren, dass jeden Moment was passieren kann.