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TV-Tipp: "Der Staatsfeind" (Sat.1)
8.5., Sat.1, 20.15 Uhr
Ein unbescholtener Bürger gerät ins Visier eines omnipräsenten Überwachungsstaats, weil er einem ungeheuerlichen Komplott auf die Spur gekommen ist und deshalb beseitigt werden soll: Das Kino hat diese Geschichten schon erzählt, als die meisten Menschen noch nie von der NSA gehört hatten und Mark Zuckerberg noch gar nicht auf der Welt war.

Das deutsche Fernsehen hat mit "Unterm Radar" (ARD 2015) und "Das Joshua-Profil" (RTL 2018) ebenfalls interessante Beiträge geliefert. Diese Filme sind Beleg dafür, dass ein TV-Movie dem Vergleich mit den Hollywood-Produktionen durchaus standhalten kann: weil sie mit bloß einem Bruchteil des Aufwands große Spannung erzeugt haben; und deshalb ist der Sat.1-Zweiteiler "Der Staatsfeind" eine gelinde Enttäuschung. Dabei hat die Geschichte (Drehbuch: Jan Ricken, Roderick Warich) großes Thriller-Potenzial: Als eine befreundete Kollegin während einer Schießerei in einem Münchener Hotel per Funk Unterstützung anfordert, eilt der Münchener Kommissar Robert Anger (Henning Baum) zum Tatort und muss hilflos mit ansehen, wie die Polizistin erschossen wird. Wenige Stunden später ist nichts mehr, wie es kurz zuvor noch war: Plötzlich gilt Anger nicht nur als Mörder seiner Kollegin, sondern auch als islamistischer Terrorist, der einen Anschlag vorbereitet. Der Kommissar wird zur meistgesuchten Person Deutschlands. Die Verantwortlichen des Komplotts verfügen offenbar über genügend Macht, um Beweise zu fälschen und Zeugenaussagen zu manipulieren. Außerdem haben sie Zugriff auf sämtliche Kameras, und das nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch in der Redaktion der großen Münchener Zeitung, für die Roberts Frau Rebecca (Franziska Weisz) arbeitet; sie und seine Tochter sind die einzigen, die an seine Unschuld glauben. Drahtzieher des Komplotts ist Generalmajor Mendt (Manfred Zapatka) vom Militärischen Abschirmdienst, aber der Kommissar hat keine Ahnung, warum er zum Abschuss freigegeben worden ist; und die leitende LKA-Ermittlerin Puttkammer (Natalia Rudziewicz) hat erhebliche Zweifel an seiner Version der Ereignisse.

Der Stoff bringt also alles mit, was ein packender Thriller braucht; aber für Spannung sorgt im Grunde allein die Musik von Arash Safaian. Regisseur Felix Herzogenrath hat zuletzt neben diversen Serienfolgen die eher schwächere "Nord bei Nordwest"-Episode "Waidmannsheil" (ARD 2018) sowie für Sat.1 den immerhin fesselnden Abenteuerfilm "Gefangen im Paradies" (2016) gedreht. "Der Staatsfeind" hat zwar neben einigen Verfolgungsjagden und Schießereien auch eine spektakuläre Szene zu bieten, in der Anger über das Zeltdach des Olympiastadions flieht, aber Nervenkitzel kommt nur selten auf. Das ist nicht nur eine Frage von Inszenierung und Schnitt, sondern auch von Besetzung und Darstellerführung. Henning Baum ist als uneingeschränkter Sympathieträger fraglos die perfekte Identifikationsfigur, erst recht dank "Der letzte Bulle" fürs Sat.1-Publikum. Franziska Weisz hätte eine Rolle mit mehr Möglichkeiten verdient gehabt; Rebecca ist im Wesentlichen die Frau an seiner Seite, selbst wenn ihr schließlich ein Video zugespielt wird, das den wahren Ablauf der Ereignisse dokumentiert. Auf diese Weise kommt es auch zu der etwas konstruiert eingefädelten, aber sehr aufwändig wirkenden Szene im Olympiastadion, als das Ehepaar während eines Metallica-Konzerts von den MAD-Schergen gejagt wird. Die weiteren Figuren sind jedoch bloß Pappkameraden. Manfred Zapatka verkörpert den Generalmajor als eiskalten Apparatschik, dem jedes Mittel recht ist, um seine Ziele zu erreichen, weshalb er Kollateralschäden billigend in kauf nimmt; das funktioniert, weil der Schauspieler schon viele Figuren dieser Art auf exakt diese Weise gespielt hat. Ein größeres Manko ist Natalia Rudziewicz. Die lange Zeit undurchsichtige LKA-Ermittlerin muss sich am Ende für eine Seite entscheiden; sie hat es in der Hand, ob Anger rehabilitiert wird. Über weite Strecken des Zweiteilers ist sie jedoch ebenso Antagonistin wie Mendt, und deshalb wäre es wichtig gewesen, die Figur mit einer Darstellerin zu besetzen, die Henning Baum gewachsen ist. In einzelnen Datenbanken kursiert noch der Name Jasmin Gerat, die aber vor Beginn der Dreharbeiten absagen musste. Sie hätte vermutlich das richtige Format für die Rolle gehabt. Rudziewicz hingegen hat weder der Präsenz Baums noch dem Zynismus Zapatkas etwas entgegenzusetzen, auch wenn Herzogenrath versucht, die LKA-Beamtin als düstere Figur zu inszenieren.

Der Film hätte trotzdem funktionieren können, wenn der Regisseur ihn konsequenter als Thriller umgesetzt hätte. Es gibt einige interessante Momente, die nicht den Erwartungen entsprechen, wenn Herzogenrath zum Beispiel bei einer Schießerei auf entsprechende Geräusche verzichtet und stattdessen ganz auf die Wirkung der in diesem Augenblick melodramatischen Musik setzt, als die Polizistin erschossen wird und die Menschen in Superzeitlupe fliehen. Ähnlich bemerkenswert wie der Verzicht auf Geräusche ist die diametrale Methode, wenn sich die Action nur auf der Tonspur abspielt und der Regisseur anstelle eines Kampfes zwischen Anger und einem von Mendts Schergen das Gesicht der in einer Toilette versteckten Ohrenzeugin Rebecca zeigt. Diese gelungenen Szenen unterstreichen allerdings auch, welch’ großes Potenzial "Der Staatsfeind" hat; so hat der Film nur eine große Musik zu bieten. Den zweiten Teil zeigt Sat.1 am 15. Mai.