Markus Söder, der neue bayerische Ministerpräsident, greift durch: Kreuze in alle öffentlichen Gebäude in Bayern! Jetzt wird unsere Kultur hochgehalten! "Denen" zeigen wir, was unser Leben bestimmt! Er sieht darin ein "klares Bekenntnis zu unserer bayerischen Identität und christlichen Werten". Das ist ja schon außerordentlich interessant: Ein Kreuz als Bekenntnis zur bayerischen Identität? Ich dachte immer, es hätte etwas mit diesem Jesus zu tun. Sie wissen schon, Herr Söder. Der, der die Menschen so geliebt hat, dass er für sie gestorben ist. Haben Sie als ehemaliges Mitglied der bayerischen Landessynode unserer evangelischen Kirche vielleicht schon mal von gehört.
Das Kreuz sagt doch eher etwas ganz anderes aus. Das Kreuz – ein "Ärgernis", wie Paulus es beschreibt: Es zeigt einen Weg, den kaum ein Mensch gehen will. Nämlich den Weg des offensichtlichen Versagers. Den Weg dessen, der so voller Liebe und Zuwendung ist, dass er sich nicht wehrt, dass er seine Machtfülle nicht gebraucht, dass er keinen Vorteil ausspielt – sondern lieber in den Tod geht.
Zugegeben: Das haben auch schon viele Christinnen und Christen in der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums nicht verstanden. Viel zu oft war das Kreuz ein Zeichen der Macht, des Sieges, der Unterdrückung. Das ging schon mit Konstantin dem Großen los ("in diesem Zeichen wirst du siegen") und weiter über gewaltsame Missionierung, die Kreuzzüge und Hexenverbrennungen. Aus heutiger Sicht können wir nur beschämt zurückblicken und sagen: Das war ein Irrweg. Das kann niemals das sein, wofür das Kreuz steht.
Wer andere bekämpft statt zu helfen, hat den Glauben nicht verstanden
Das verstehen auch viele nicht, die sich in einem Kulturkampf mit dem angeblich überbordenden Islam sehen: Das Christentum ist von seiner Gründung her eben keine kämpferische Religion. Wer andere bekämpft, wer sie ausgrenzt, wer ihnen nicht die Hilfe zukommen lässt, die sie brauchen, der hat unseren Glauben nicht verstanden. Der kämpft auf der falschen Seite.
Wäre uns das Kreuz tatsächlich eine Mahnung und eine Erinnerung daran, dass Jesus mit einem Schrei der Verzweiflung am Kreuz gestorben ist und uns damit für immer an die Seite der Verfolgten und Unterdrückten gestellt hat (so Heinrich Bedford-Strohm in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk) – ich würde aus vollem Herzen "Ja" sagen zu Kreuzen überall. Wäre es eine Mahnung, eine Provokation, ein Hinweis darauf, dass Menschenwürde und Nächstenliebe für alle gelten, ungeachtet ihrer Herkunft und sogar ungeachtet ihres Glaubens – ja, her mit den Kreuzen, bitte!
Für die bayerische Identität jedenfalls steht das Kreuz gewiss nicht. Das "Mia san mia" (wir sind wir) – Wahlspruch des FC Bayern – bringt es auf den Punkt: Wir lassen uns nicht dreinreden. Wir machen unser eigenes Ding. Wir strotzen vor Stärke, und ihr könnt uns gar nichts. Wir sind die Stärksten, die Klügsten, die Schönsten. Wie sollte dazu ein Symbol des freiwilligen Leidens passen? Vergleichen Sie das doch mal mit der Bergpredigt. Mit "liebet eure Feinde" oder "Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar." (Mt. 5,39) Wenn schon, dann bitte Maßkrug, Lederhose und Dirndl als Zeichen der bayerischen Identität. Vielleicht noch Breze und Weißwurst dazu. Ich als Franke bin da sowieso außen vor.
Dass es mit dem Christentum in Bayern nicht so weit her ist, merke ich immer wieder. Natürlich am stark abnehmenden Gottesdienstbesuch und den Austrittszahlen und der immer ausdifferenzierteren Glaubens- oder Nichtglaubenslandschaft, aber besonders an einem Punkt: Beim Thema Flüchtlinge. Bei uns in Schweinfurt hat sich mittlerweile eine kleine hauptsächlich iranische Gemeinde von Christen gebildet, die wir intensiv begleiten und die ihren Glauben sehr ernst nehmen. Diesen Menschen, die zum Teil schon im Iran Christen waren – einer musste fliehen, weil er heimlich Bibeln verkauft hatte – sind dennoch von Abschiebung bedroht, müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Und im Iran droht ihnen die Todesstrafe. Andere verstecken sich, weil sie nach Afghanistan zurück müssen, wo sie in Lebensgefahr sind, doch immer noch wird in dieses Land abgeschoben. Ist das christlich? Vielleicht wäre ein Symbol für Bayern ja auch die Polizeiuniform. Oder Handschellen. Aber bestimmt nicht das Kreuz.
Jesus war für alle Menschen da
Dabei gibt es doch schon seit 1995 den "Kruzifix-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts, der besagte: Der Staat habe neutral zu agieren, auch wenn er den Weltanschauungen nicht teilnahmslos gegenüberstehen muss. Auswirkungen in Bayern? Fast keine. Das Kreuz wurde dann eben damals schon zum Zeichen bayerischer Kultur umgedeutet. Welch ein Hohn – sowohl für die, die diesen Glauben nicht teilen, als auch für Christinnen und Christen, die die Botschaft des Kreuzes ernst nehmen! Bis heute gilt es als "atypischer Einzelfall", wenn Kreuze in Klassenzimmern entfernt werden müssen, weil Lehrer oder Schüler dagegen protestieren.
Jesus war für alle Menschen da. Seine Botschaft hat sich über die ganze Welt verbreitet. Wir Christinnen und Christen sind eine weltweite Gemeinschaft von Menschen, die diesem Jesus Christus nachfolgen. Wir sind nicht zu trennen. Das Zeichen seines Leidens dazu zu verwenden, bestimmte Bevölkerungsgruppen auszugrenzen, halte ich für einen staatlichen Übergriff auf unsere Religion, der mich zutiefst schmerzt. Für einen Missbrauch dieses Symbols.
Ja, auch wir selbst haben in unserer Geschichte da vieles falsch gemacht. Dass aber nun unser Staat dieses Symbol verwendet, um Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen, statt Integration voranzutreiben, macht es wieder einmal zu einem Kampfsymbol. Vielleicht sollten wir uns nach etwas anderem umsehen. Der Fisch als kleines Glaubensbekenntnis (ein altgriechisches Sprachspiel für "Jesus Christus Gottes Sohn Retter") wäre eine gute Möglichkeit.
Vielleicht sollten wir alle Kreuze in unseren Kirchen verhüllen. Ich weiß es nicht, bin ratlos, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Ich jedenfalls bin für die Trennung von Staat und Kreuz.