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TV-Tipp: "Die Lebenden und die Toten"
18.4., ZDF, 20.15 Uhr: "Die Lebenden und die Toten"
Es hat ein mehrere allenfalls durchschnittlich gelungene Versuche gedauert, aber mittlerweile sind die "Taunuskrimis" nach den Romanen von Nele Neuhaus zu einer echten Qualitätsmarke im ZDF geworden. Richtig gut war schon "Böser Wolf", eine Geschichte über organisierten Kindesmissbrauch; unendlich grausig zwar, aber drei Stunden lang spannend.

Das gilt auch für "Die Lebenden und die Toten" (eine Wiederholung aus dem letzten Jahr), doch diesmal ist die Spannung völlig anderer Natur: Der Film ist gleichermaßen Krimi und Thriller, denn das Ermittlerduo Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff (Tim Bergmann, Felicitas Woll) muss nicht bloß eine Mordserie aufklären, sondern auch weitere Taten verhindern, was natürlich zunächst nicht gelingt, obwohl die beiden die potenziellen Opfer kennen.


Marcus O. Rosenmüller, der seit der dritten Adaption, "Mordsfreunde" (2014), alle Taunuskrimis inszeniert hat, verzichtet diesmal auf das Grauen, das bei "Böser Wolf" einen Teil der Faszination ausmachte. Auch optisch gibt es deutliche Unterschiede zum letzten Film. Die Bildgestaltung oblag zwar wie meist bei Rosenmüller dem Kameramann Stefan Spreer, aber diesmal kommen die beiden von einer wichtigen stilistischen Ausnahme abgesehen ohne Schnörkel aus. Bei "Böser Wolf" gab es Zeitlupeneinlagen und kunstvolle Übergänge; "Die Lebenden und die Toten" dagegen ist gewissermaßen ein Präsent ohne Geschenkpapier und Schleife. Bei der Kameraführung setzt Spreer ebenfalls keine auffälligen Akzente. Der Umgang mit den Bildern ist fast puristisch, als habe Rosenmüller verdeutlichen wollen: Der Star dieses Films ist die Geschichte, und die ist 180 Minuten lang fesselnd.


Dabei hat "Die Lebenden und die Toten" auch einen echten Star zu bieten: Der Scharfschütze, der im Taunus scheinbar wahllos Menschen erschießt, wird von Ulrich Tukur verkörpert. Mit dem Besetzungscoup sorgt der Film natürlich für ein Signal: Ein Schauspieler dieses Formats würde keine x-beliebige Rolle in einem x-beliebigen Krimi übernehmen. Zunächst sind es jedoch vor allem die irritierenden Begleitumstände der Morde, die den Reiz der Figur ausmachen: Dirk Stadler geht in eine Bäckerei, kauft ein Brot, wechselt ein paar freundliche Worte mit einer Verkäuferin, steigt auf das Dach eines 800 Meter entfernten Hauses und erschießt die Frau. Mit ähnlich kühler Präzision geht er auch bei seinen weiteren Taten vor. Dass dieser zwar alleinstehende, aber keineswegs psychopathische Mörder seine Opfer nicht willkürlich auswählt, ist offenkundig, aber wie perfide sein Racheplan ist, ahnen die Ermittler erst, als sie endlich eine Verbindung herstellen können, aber nicht zwischen den Opfern, sondern zwischen den Hinterbliebenen: Stadler bestraft sie, indem er ihnen die Liebsten nimmt.


Schon diese ungewöhnliche Ausgangsposition verspricht einen interessanten Krimi, doch die Handlung wird noch viel komplizierter; und deshalb war es auch völlig angebracht, den Roman als Zweiteiler zu verfilmen. "Die Lebenden und die Toten" ist seit "Mordsfreunde", dem zweiten Film, der erste Neuhaus-Krimi, an dem Anna Tebbe nicht beteiligt ist; die Adaption besorgten diesmal Kris Karathomas und Rosenmüller. Geschickt integrieren die beiden auch die verschiedenen Subthemen: Bodenstein und Kirchhoff finden raus, dass Stadlers Frau vor einigen Jahren beim Joggen eine Hirnblutung erlitten hat. Als in der Klinik der Hirntod festgestellt wird, überreden der zuständige Arzt (Stephan Kampwirth) und die Transplantationskoordinatorin (Tanja Wedhorn) die Tochter der Frau zur Organfreigabe; Stadler ist im Ausland und telefonisch nicht zu erreichen. Helen (Saskia Rosendahl) ist hin und hergerissen zwischen den Argumenten der Klinikmitarbeiter, die sie moralisch unter Druck setzen, und der Entrüstung ihres Großvaters (Peter Lerchbauer), der sich vehement gegen die Organspende ausspricht. Dieser Diskurs wirkt fast wie ein Exkurs, ist aber trotzdem kein Fremdkörper. Und das dicke Ende kommt erst noch: Stadler konfrontiert Helen nach seiner Heimkehr kühl mit dem Testament der Mutter, in dem sie aus Glaubensgründen explizit untersagt hat, ihre Organe zu spenden. Die junge Frau ist nun erst recht in ihren Grundfesten erschüttert, zumal sie sich ohnehin Vorwürfe macht, weil sie nicht wie verabredet gemeinsam mit der Mutter Joggen war. Kein Wunder, dass die Polizei nicht weiter nachforscht, als sich Helen schließlich umbringt. Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus; der Film nimmt eine völlig unvorhersehbare Wendung, und auch Bodenstein landet auf Stadlers Todesliste, was Teil eins einen angemessenen Cliffhanger und Teil zwei ein spannendes Finale beschert.


Über die komplexe Geschichte hinaus erfreut das Drehbuch durch Details, die für sich genommen nicht weiter wichtig sind, aber beiläufig die Handlung illustrieren: Nach seinem Besuch in der Bäckerei wirft Stadler das gekaufte Brot achtlos zu den vielen anderen auf der Rückbank seines Wagens; und als sein Sohn Erik (Ralph Kretschmar) seiner Freundin von einem Alibi erzählt, das er der Polizei nicht verraten konnte, weil er dann seine Event-Agentur schließen müsste, zerplatzt just in diesem Moment am Bildrand auf seinem Computermonitor der Bildschirmschoner. Bei den wenigen Dingen, die negativ auffallen, handelt es sich ebenfalls nur um Kleinigkeiten. Anderswo werden Reviere renoviert, um für Abwechslung zu sorgen, hier muss der Kollege Ostermann (Michael Schenk) überflüssigerweise derart erkältet sein, dass er dauernd vor sich hinschnieft und niest. Viel interessanter ist eine personelle Maßnahme: Das Team wird durch einen Fallanalytiker vom LKA ergänzt, der sich als kaum erträglicher Schlaumeier entpuppt; Simon Schwarz spielt diesen korrekten Spezialisten, der als Außenseiter zunächst mit einem Katzentisch vorlieb nehmen muss, mit spürbarem Vergnügen. Die Figur ist zwar etwas stereotyp, macht aber Spaß, ganz im Gegensatz zum halbseidenen Chefredakteur der Lokalzeitung, der aus der Kiste mit den ganz billigen Klischees stammt. Immerhin verdankt der Film seiner reißerischen Berichterstattung über den "Taunus-Sniper" interessante Aufnahmen von Straßen und Plätzen, die wie leergefegt sind.


Eine zweite Aufstockung des Ensembles verpufft dagegen völlig: Weil Kirchhoff eigentlich ihren Urlaub antreten wollte, hat sie ihre Schwester (Mira Bartuschek) gebeten, aufs Haus aufzupassen. Kim ist forensische Psychiaterin und darf ihr Fachwissen einbringen, trägt aber so gut wie nichts zur Wahrheitsfindung bei. Schlimmer noch: Bartuschek, wahrlich keine unerfahrene Schauspielerin, kommt überhaupt nicht mit ihren Dialogen klar und klingt in den Fragesätzen wie eine Anfängerin. Davon abgesehen scheint die Figur nur eine Funktion zu haben: Als Kirchhoff Kim zu Beginn von Teil zwei in den Fall mit einbezieht, muss sie sie natürlich über die bisherigen Ereignisse informieren; eine clevere Methode, sich das "Was bisher geschah" zu sparen.


Dramaturgisch weitaus plausibler ist die markante Besetzung einiger Rollen, die quantitativ klein sind, für die Handlung aber große Bedeutung haben. Die Mitwirkung von Hans Peter Hallwachs und Robert Hunger-Bühler sorgt prompt für die angemessene Aufwertung der jeweiligen Figuren. Auch die anderen namhaften Darsteller treten erst nach und nach auf, als Kirchhoff und Bodenstein die Ereignisse nach dem Zusammenbruch von Stadlers Frau rekonstruieren und auf immer mehr Ungereimtheiten stoßen. Rosenmüller verwendet in den betont farbentsättigten Rückblenden eine faszinierende Technik, die diese Personen wie aus dem Nichts erscheinen und auch wieder verschwinden lässt, als wollten die Bilder sagen: Wir sind nur Gast auf Erden. Stadler, Richter und Henker in einer Person, sorgt mit seinen Vergeltungsaktionen dafür, dass diese Gastspiele vor der Zeit enden.