Hartmut Pelzer kämpfte fast sein gesamtes Berufsleben lang leidenschaftlich für das bedingungslose Grundeinkommen - ein höchst umstrittener Reformplan. Mittels seiner komplizierten Berechnungen sah Pelzer es als erwiesen an, dass eine solche radikale Sozialreform entgegen aller Kritik zu finanzieren ist: über einen Aufschlag auf die Einkommenssteuer. Der promovierte Biochemiker und spätere Professor an der Universität Ulm starb im Juli 2017, vier Monate nach seinem 90. Geburtstag. Heute sind seine grundlegenden Studien zum bedingungslosen Grundeinkommen fast vergessen.
Überzeugte Mitstreiter, wenn auch in bescheidener Zahl, fand Pelzer jedoch: Zu den Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in Deutschland gehören der Chef der Drogerie-Kette dm, Götz W. Werner, Thomas Jorberg, der Vorstand der GLS Bank, und der Chef der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges.
Knackpunkt Finanzierung
1963 war Pelzer nach Stationen in Düsseldorf, Tübingen und Freiburg an die Universität Ulm gekommen. Dort begann der promovierte Biochemiker an der Medizinischen Fakultät seine Habilitation, die er 1975 abschloss. Nach eigenen Angaben beschäftigte sich der 1927 in Bischofteinitz im Böhmerwald im heutigen Tschechien geborene Forscher schon vor dem Jahr 1980 mit der Idee einer staatlichen Mindestsicherung, die jedermann ohne Bedingungen gewährt werden sollte. Mit seinem Modell hoffte er, "das Problem der armen Leuten lösen zu können".
1996 stellte er seine Ideen erstmals zur Diskussion: Im "Zentrum für Allgemeine Wissenschaftliche Weiterbildung" der Universität Ulm veranstaltete Professor Pelzer eine Vortragsreihe über das garantierte Grundeinkommen für jedermann, das in jener Zeit "Bürgergeld" hieß. Die Vorträge fanden großes Interesse, so dass der Wunsch nach weiterführenden Veranstaltungen geäußert wurde - die Geburtsstunde des späteren Arbeitskreises Bürgergeld. Nach Pelzers Rückzug aus gesundheitlichen Gründen wurde dieser Arbeitskreis in "Initiative Grundeinkommen Ulm" umbenannt, die sich bis heute auf diesem Feld engagiert.
Pelzer entwickelte ein belastbares Berechnungsmodell, in dem er Höhe des Grundeinkommens und Kosten für den Staat in Beziehung setzte. Denn nur dann, so seine Überzeugung, könne man "Gehör finden, schließlich ist die Frage nach der Finanzierung meist eine der ersten, die gegen das Vorhaben eingewandt wird", schreiben Gisela Glück-Gross und Henning Jonas auf der Homepage der Initiative Grundeinkommen Ulm (IGU).
Pelzer, der eng mit der Dortmunder Volkswirtschaftlerin und Soziologin Ute Fischer kooperierte, diente sein Modell "den politischen Entscheidungsträgern" an. Es biete "eine große Variationsmöglichkeit bezüglich der Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens pro Person". Zudem würden die Kosten exakt ermittelt, finanziert "über die um eine Basissteuer erweiterte Einkommenssteuer". Deshalb lasse sich mit Hilfe eines geeigneten Datensatzes überschlagen, wie die Kosten eines BGE von der Gemeinschaft zu tragen sind" - in diesem Fall Material des Statistischen Bundesamtes über die Einkommensverteilung in Deutschland 1998.
Beide Experten betonten, wenn es 1998 (noch zu DM-Zeiten) schon ein bedingungsloses Grundeinkommen gegeben hätte, wäre es über einen nur leicht veränderten Einkommensteuertarif finanzierbar gewesen. "Dazu ein Beispiel: Ein Grundeinkommen für Erwachsene von 1.000 DM monatlich plus das schon bis dahin gezahlte Kindergeld 300 DM hätte eine Erhöhung der Einkommensteuer, bezogen auf die Bruttoeinkommen, um etwa zwei Prozent erfordert", heißt es in einem Vortrag aus dem Jahr 2004.
Pelzers "Beharrlichkeit, ein belastbares Modell zu entwickeln, der Wille, Unklarheiten oder Unschärfen zu klären und das Bestehen darauf, eine wissenschaftliche Fundierung zu erreichen, bestimmten unsere Diskussionen", berichten Glück-Gross und Jonas von einem ihrer vielen Treffen mit dem Forscher. Stets habe er seine Überlegungen auf etwaige Fehler geprüft und andere dazu aufgerufen, es ebenfalls zu tun. Beim Erreichten stehenzubleiben, sei Pelzer fremd gewesen.