Es ist das Pflegepersonal und es sind die Mitarbeiter von Bestattungsunternehmen, die wissen, wie man die Augen der Toten schließt, den Leichnam wäscht und bekleidet. Sie haben damit ein Wissen, das in der breiten Bevölkerung verloren gegangen ist. In Krankenzimmern und Pflegeheimen nehmen Angehörige Abschied bevor der Bestatter den Leichnam abholt und alle Schritte bis zur Trauerfeier in die Wege leitet. Für viele Deutsche ist es eine Ausnahmesituation einen toten Körper zu berühren. Im Jahr 2016 starben in Deutschland 911.000 Menschen, knapp die Hälfte von ihnen in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die wenigsten Angehörigen möchten sich selbst um den Leichnam kümmern.
Viele Menschen hätten Angst davor dem Leichnam eines Angehörigen zu begegnen, sagt Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestatter. Die Angst, sich ohnmächtig und ausgeliefert zu fühlen, lasse viele davor zurückschrecken einen Verstorbenen noch einige Zeit unter den Lebenden zu behalten, ihn zu berühren, ihn vielleicht sogar selbst zu waschen und für die Beerdigung vorzubereiten. Häufig hörten Bestatter den Satz: "Ich möchte ihn so in Erinnerung behalten, wie er war". Doch wenn die nächsten Angehörigen ihre Verstorbenen nicht noch einmal sehen wollen, so versäumten sie die Möglichkeit den Tod überhaupt zu begreifen, befürchtet Wirthmann.
Doch seit einigen Jahren zeichnet sich ein Wandel in der deutschen Bestattungslandschaft ab. Eine stetig anwachsende Gruppe von Menschen entdeckt den bewussten Abschied von ihren Verstorbenen wieder. Zu ihnen gehört Sarah Benz, sie hat sich den guten Abschied zu einer Lebensaufgabe gemacht: als Trauerbegleiterin im Stadteilbüro und als Mutmacherin im Umgang mit dem Tod. Sarah Benz geht mit ihrer Expertise humorvoll um: "Expertin? Na ich bin ja noch nicht gestorben."
Wer liegt denn hier?
Schon als Kind hatte Sarah Benz einen direkten Umgang mit dem Tod. Denn ihr Elternhaus, das Pfarrhaus, lag direkt neben dem Friedhof. So kam sie ins Gespräch, über die Grabpflege, über die Verstorbenen, über die Trauer der Hinterbliebenen. "Wer liegt denn hier?", fragte sie unverblümt und hörte sich Lebens- und Sterbensgeschichten an. Nach einigem Drängen bekam Sarah Benz sogar ein eigenes Grab, eine kleine verlassene Gruft, deren Pacht ausgelaufen war. Sie bepflanzte und pflegte das Beet um die Gruft und teilte so die nachmittägliche Beschäftigung der Witwen und Friedhofsgärtner.
Einen solchen unverstellten, kindlichen Zugang wünscht sie manchmal auch Erwachsenen. Sie hat selbst miterlebt, wie ein Vierjähriger der verstorbenen Oma noch einmal über die Hand streichelte und verstand, was das eigentlich bedeutet "tot sein" und wie er nach diesem Abschied sagen konnte: "Jetzt hab´ ich aber einen riesigen Hunger", und wieder mitten im Alltag angelangte. Denn wie der Tod zum Leben gehört, gehörten auch die Begegnung mit Abschied und der Abschiedsschmerz zum Lebensweg von Kindern und Jugendlichen.
Doch diese Begegnungen sind in unserer Gesellschaft alles andere als selbstverständlich. Deshalb braucht es Menschen wie Sarah Benz, die Trauernde an die Hand nehmen und ihnen Mut machen sich in dieser belastenden Situation nicht wegzuducken. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem Bestatter Jan Möllers, erzählt sie auf ihrem YouTube Kanal "Sarggeschichten", die Mut machen sollen. Dort klären die beiden über den Umgang mit Sterben, Tod und Trauer auf. Ihre YouTube Clips zeigen beispielsweise, was bei einer Totenfürsorge zu tun ist, zeigen wie ein Verstorbener zu Hause aufgebahrt werden kann und geben Anregungen, die Trauerfeier persönlich zu gestalten. "Wir möchten einen Raum öffnen um nachzudenken, um zu gestalten, um das Ende des Lebens nicht einfach wegzuschieben", sagt Sarah Benz über ihre Motivation zu den Sarggeschichten.
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Immer wieder mache sie die Erfahrung, wie unzureichend man über das Lebensende informiert ist. So wüssten die wenigsten Angehörigen, dass sie ihre Verstorbenen bis zu 42 Stunden im eigenen Zuhause behalten dürfen, oder diese nach dem Tod im Krankenhaus noch einmal zu sich holen können. Ein Zeitraum, der äußerst selten ausgereizt werde, der aber einen inneren Raum öffne, um den Verlust zu begreifen. Diese besonderen Stunden, in denen ein Verstorbener nicht mehr da ist, aber auf eine besondere Art doch noch unter den Lebenden weilt.
Diese Paradox könne man spüren, sagt Sarah Benz, das bedeute anfassen, sehen wie die Haut bleicher wird, wie die Körpertemperatur sinkt und wie sich die Gesichtszüge einer vertrauten Person allmählich verändern. Diese Veränderung mitzuerleben sei heilsam, sagt Sarah Benz. Wenn sie sich an den Todestag ihrer eigenen Großmutter erinnert, ist das ein warmer, ein schöner Tag. Denn der Familie blieb Zeit für den Abschied, Zeit für Gespräche, für Kaffee und Kuchen, Zeit zum Singen und Be-greifen mit der Großmutter in ihrer Mitte.
Die deutschen Bestattungsgesetze, bemerkt Sarah Benz, gäben den Angehörigen weniger Freiheiten als dies zum Beispiel in den Niederlanden der Fall sei. Dort, so habe ihr eine befreundete Bestatterin erzählt, könne der verstorbene Großvater noch einmal im eigenen PKW zur Trauerfeier gefahren werden, oder die ganze Familie in einem Trauerbus den letzten Weg zum Friedhof gemeinsam zurücklegen. Die Nähe zu den Verstorbenen sei für die Familien selbstverständlicher, als das bei uns der Fall ist.
Bis sich beim deutschen Bestattungsrecht etwas bewegt, kämpft Sarah Benz gegen die Ängste und Tabus an, die den Umgang mit den Toten vielerorts bestimmen. Sie ist überzeugt, Angehörige können mit dem Tod und mit ihren Toten umgehen. Sie sollen ihre eigene Stärke spüren, auch in einer belastenden Situation, wie dem Tod eines nahen Menschen. In der Totenfürsorge, so erzählt Sarah Benz, seien viele Angehörige dankbar, dass sie ihren Verstorbenen einen letzten Liebesdienst erweisen könnten, indem sie selbst etwas tun können.
Der würdige und der liebevolle Umgang mit dem Verstorbenen ist auch ein Thema des christlichen Glaubens. Denn Gott ist selbst Mensch geworden, der Körper jedes Menschen trägt seine eigene Würde. Gerade der tote Körper in Form des Gekreuzigten ist in Kirchengebäuden, Kunst und Theologie omnipräsent. In der Bibel wird ganz und gar körpernah erzählt. Der auferstandene Christus erlaubt dem zweifelnden Thomas seinen Finger in die Wundmale der Kreuzigung zu legen.
Denn wenn schon die Realität des Todes Anschauung braucht - Be-greifen - um wie viel mehr braucht dann etwas Unfassbares wie die Auferstehung diese Verstehenshilfe. Im Umgang mit den Körpern der Verstorbenen drückt sich sowohl die Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung aus, als auch der Glaube daran, dass jeder Mensch und jeder Körper bei Gott bewahrt ist. Wie wir mit unseren Toten umgehen, zeigt, wie wir selbst zum Leben und zu unserer eigenen Sterblichkeit stehen, zeigt, was wir für unsere Toten hoffen und auch für uns selbst.