"Sommerhäuser" ist das Spielfilmdebüt von Sonja Maria Kröner. Die Handlung ist im Grunde nicht außergewöhnlich, aber sie hat einen besonderen Reiz: Die Ereignisse tragen sich 1976 zu, drei Jahre vor der Geburt der Regisseurin. Zuschauer, die ihre Kindheit und Jugend in den Siebzigern verbracht haben, werden mit großem Vergnügen viele der Requisiten wiedererkennen, die für die Ausstattung (Conrad Moritz Reinhardt) zusammengetragen worden sind, zumal die Kinder genauso gleichberechtigte Mitwirkende sind wie die Erwachsenen. Auch das Kostümbild (Andy Besuch) weckt umgehend Erinnerungen: Die kurzen Hosen der Männer sind nach heutigem Geschmack viel zu kurz, die jungen Frauen tragen keinen BH.
Eine Geschichte im klassischen Sinn erzählt "Sommerhäuser" dagegen nicht, selbst wenn zwei Todesfälle dafür sorgen, dass die Handlung einen klaren Anfang und einen ebenso klaren Schluss hat. Die Zeit dazwischen füllt Kröner in erster Linie mit gesammelten Augenblicken. Für Abwechslung sorgt vor allem eine Wespenplage. Zunächst liefern sich die Kinder einen makabren Wettbewerb im Töten der Tiere, dann rücken die männlichen Familienmitglieder aus, um das Nest abzufackeln, und schließlich gehen die Wespen zum Gegenangriff über. Die Regisseurin schildert diese Schlacht angenehm lakonisch: Die Väter und Söhne vermummen und bewaffnen sich, dann folgt ein Schnitt und die Gruppe kehrt gedemütigt und schwer zerstochen wieder zurück. Später rächen sich die Tiere mit einer Invasion ins Haus.
Es gibt ein gutes Dutzend handelnde Personen, und da der Film ohne Einführung beginnt, dauert es eine Weile, bis sich die Verwandtschaftsverhältnisse zuordnen lassen. Anlass des Familientreffens ist der Tod der Urgroßmutter. Sie ist am Tag zuvor beerdigt worden, und nun können sich die Hinterbliebenen nicht einigen, ob sie das großzügige Grundstück am Stadtrand von München schwer bewaffnet verkaufen sollen. Die Kinder genießen derweil die Freiheit der Ferien. Die sieben- oder achtjährige Jana (Emilia Pieske) kann nicht viel mit ihrer püppchenhaften Cousine Inga anfangen und spielt lieber mit den älteren Jungs. Zu den besten Szenen des Films gehören ihre Ausflügen in den geheimnisvollen Nachbargarten: Kaum ist sie durch eine Lücke im Zaun geklettert, befindet sie sich in einer anderen Welt, weil Kröner und Kamerafrau Julia Daschner Büsche und Bäume wie einen Dschungel inszenieren. Der mysteriöse Nachbar hat aus unerfindlichen Gründen überall Teile von Puppen und Kuscheltieren angebracht, was ziemlich gruselig wirkt. Als im Radio von einem verschwundenen Mädchen in Ingas Alter berichtet wird, verbietet Mutter Eva (Laura Tonke) den Kindern, das Grundstück zu verlassen. Vater Bernd (Thomas Loibl) sieht das alles etwas gelassener; für Jana ist ohnehin klar, dass der Nachbar der Täter sein muss, zumal sie in dem verwunschenen Garten ein Mädchenarmband gefunden hat. Die Nachrichten sind wie ein Einbruch der Wirklichkeit ins Paradies.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weil Kröner auf eine herkömmliche Dramaturgie verzichtet, wirken die einzelnen Szenen aneinandergereiht. Jana taugt noch am ehesten als Identifikationsfigur, zumal die Erwachsenen zumeist streiten. Gerade Eva und ihre Schwägerin tauschen ständig Bosheiten aus. Gitti (Mavie Hörbiger) ist die Geliebte eines verheirateten Mannes, der hin und wieder mit seinem Ferrari angeprotzt kommt. Auch die alte Generation ist sich nicht grün. Eine Stichelei von Mathilde (Inge Maux) gegen ihre Schwester Ilse (Ursula Werner) und deren Interesse an einer Nachbarin liefert zumindest die Andeutung einer Antwort auf Janas unschuldige Kinderfrage, warum Ilse nie verheiratet gewesen sei. Mathilde ist allerdings die deutlich schillerndere Figur, und das nicht nur, weil sie sich ohne Scheu nackt und dick in die Sonne legt; "unter Hitler hätt’s so was nicht gegeben", kommentiert sie die grausigen Meldungen über den Kindermörder. Großvater Erich (Günther Maria Halmer) ist dagegen ein Opa, wie ihn sich Enkel wünschen.
Aus Kindersicht sind die Tage im Garten zwar voller Aufregungen, aber aus erwachsener Zuschauerperspektive plätschert "Sommerhäuser" mitunter etwas ereignisarm vor sich hin. Andererseits ergibt sich auf diese Weise viel Muße, um die nostalgischen Details zu würdigen, mit der die Regisseurin ihre Geschichte am Rande angereichert hat (auf der Straße schaut Helmut Schmidt ernst von einem Wahlplakat). Ohnehin scheinen nicht bloß vierzig Jahre, sondern Welten zwischen damals und heute zu liegen: Zum Telefonieren muss Gitti zur nächsten Telefonzelle gehen, und statt auf ihre Smartphones zu starren, erleben die Kinder Abenteuer im Baumhaus oder vertreiben sich die Zeit mit dem Brettspiel "Fang den Hut". Am Ende wird zwar der Kindermörder gefasst, aber die Idylle wird nie wieder so sein wie früher.