Henriette Piper (Buch) und Franziska Meletzky (Regie) haben in ihrem ARD-Drama "Nur eine Handvoll Leben" (2016) eine ganz ähnliche Geschichte erzählt (das Baby hatte Trisomie 18), aber Berrached wählt einen völlig anderen Ansatz. "24 Wochen" ist kein Dokumentarfilm, enthält jedoch entsprechende Elemente; eine Methode, mit der die Regisseurin schon ihr Debüt "Zwei Mütter" (2013) über ein lesbisches Paar auf der Suche nach einem Samenspender inszeniert hat. Das medizinische Personal ist ausnahmslos mit echten Ärzten und Hebammen besetzt, was den entsprechenden Szenen eine Authentizität verleiht, die Schauspieler nicht erreichen würden. Weil die Gespräche hörbar nicht aus vorgegebenen Dialogen bestehen, wirken sie dokumentarisch und entfalten gerade dadurch eine tiefe Emotionalität. Wenn das Drama ein ganz normaler Film sein will, lässt die Wirkung prompt ein wenig nach: Berrached, die zuletzt einen sehenswerten "Tatort" aus Niedersachen gedreht hat ("Der Fall Holdt"), und Koautor Carl Gerber hatten die Idee, aus ihrer Hauptfigur eine bekannte Komödiantin zu machen. Bei den Bühnenauftritten erschließt sich zwar nicht, warum Astrid derart beliebt ist, aber natürlich soll die Popularität die Fallhöhe vergrößern. Außerdem spielt die Karriereplanung eine nicht unerhebliche Rolle für die Familienplanung: Markus ist ihr Manager, die beiden sind aufgrund von Astrids Tourneen und TV-Auftritten entsprechend viel unterwegs. Ihre Tochter überlassen sie derweil Babysitterin Kati (Maria Dragus), aber das Mädchen lässt keinen Zweifel daran, dass es nicht auch noch auf einen Jungen mit Down Syndrom aufpassen wird. Als schließlich irgendjemand den Medien steckt, dass Astrid ein behindertes Kind erwartet, ist die Entscheidung, die das Elternpaar treffen muss, plötzlich keine Privatsache mehr.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"24 Wochen", Berracheds Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg, ist 2016 mit überschaubarem Erfolg (70.000 Besucher) in den Kinos gelaufen. Das Drama ist in Koproduktion mit der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel entstanden, dessen Filme in der Regel erst nach Mitternacht ausgestrahlt werden. In diesem Fall macht das "Zweite" eine respektable Ausnahme; gemessen an den Krimidramen, die der Sender montags als "Fernsehfilm der Woche" zeigt, ist Berracheds Arbeit ganz schön schwere Kost. Aber es lohnt sich, sich darauf einzulassen, weil die Regisseurin ihre Geschichte gerade auch dank ihrer formidablen Hauptdarstellerin mit enormer Intensität erzählt. Julia Jentsch fügt sich perfekt in den quasidokumentarischen Charakter der Inszenierung, weil sie (mit Ausnahme der Bühnenszenen) nie das Gefühl vermittelt, sie spiele eine Rolle. Bjarne Mädel ist eher ihr Anspielpartner als eine zweite Hauptfigur, füllt diese Funktion aber ähnlich ausgezeichnet aus. Die Familienszenen zu Beginn sorgen dafür, dass Astrid, Markus und die neunjährige Nele (Emilia Pieske) als Einheit eingeführt werden. Ein schlichtes Bild verdeutlicht die Innigkeit, die zwischen dem Paar herrscht, als Markus seiner Gefährtin die Fußnägel schneidet, weil sie wegen des Babybauchs nicht dran kommt. Später wird diese Harmonie offenem Streit wichen, als sich Markus bei Astrids Entscheidung für oder gegen das Kind ausgeschlossen fühlt. Ähnlich diffizil sind die Momente, in denen das Paar die erschütternden Nachrichten verkraften muss. Auch dafür hat Berrached interessante Lösungen gefunden, indem sie die Informationen mit Verzögerung mitteilt. Selbstredend verfehlt es seine Wirkung nicht, wenn Astrid die Frage aller Fragen stellt – "Was machen wir denn jetzt?" – und anschließend in die Kamera schaut; ein Regieeinfall, den Berrached später noch mal wiederholen wird. Dieser Blick steht natürlich in deutlichem Gegensatz zur dokumentarischen Bildgestaltung: Immer wieder muss Friede Clausz, der auch schon bei "Zwei Mütter" dabei war, um Hindernisse herumfilmen, und bei Dialogen verdeckt ständig der Hinterkopf des Gesprächspartners einen Teil der Sicht; ganz so, als wäre die Kamera (und damit das Publikum) ein teilnehmender Beobachter, der nicht im Weg sein, aber trotzdem alles mitbekommen will. Reizvoll sind auch die anfangs rätselhaft anmutenden Bildcollagen, mit denen Berrached die Kapitel trennt; die Zwischenspiele zeigen mal den Fötus im Fruchtwasser und mal Astrid bei der Wassergymnastik. All’ das aber ist im Grunde genommen Beiwerk. Der Glücksfall dieses Films ist Julia Jentsch, der es scheinbar mühelos gelingt, zu Tränen zu rühren; der geflüsterte Satz, mit dem dieses ungemein berührende Drama endet, hallt noch lange nach. Beim Deutschen Filmpreis 2017 ist "24 Wochen" mit dem Filmpreis in Silber ausgezeichnet worden; nominiert war der Film zudem in den Kategorien beste Regie, bestes Drehbuch und beste weibliche Hauptdarstellerin.