Ulrike H. hat bereits zwei Kinder per Kaiserschnitt zur Welt gebracht, als sie sich für die Geburt ihres dritten Kindes für eine große Kölner Klinik entscheidet. Im Kreißsaal kurz vor dem Eingriff schnallt ihr der Anästhesist unerwartet die Arme fest: "Damit Sie nicht plötzlich um sich schlagen", meint er jovial. Die Kölnerin fühlt sich völlig überrumpelt: Warum ist das auf einmal nötig, wenn es bei den ersten beiden Kaiserschnitten doch auch nicht so war?
"Ich habe mich noch nie so gedemütigt gefühlt wie in diesem Augenblick", sagt die 40-Jährige. "Man liegt da halbnackt mit gespreizten Beinen, umgeben von lauter Fremden, und wird auch noch festgeschnallt." Traumatische Erlebnisse während der Geburt - gemeint sind damit keineswegs die meist unvermeidlichen Schmerzen, sondern Gewalt durch das Krankenhauspersonal, sei es in verbaler oder physischer Form. "Das Spektrum ist hier recht breit und reicht von einem Ignorieren der Bedürfnisse der Gebärenden bis hin zu Beleidigungen, Bedrohungen, Verleumdungen, Entwertungen und Angst einjagen", schreibt die Soziologin Christina Mundlos in ihrem Buch "Gewalt unter der Geburt".
Respektlose und herabsetzende Behandlung
Sie zitiert in ihrem Buch eine junge Frau, deren Muttermund von einer Hebamme ohne Betäubung von Hand geöffnet wurde: "Sie fuhr mit den Fingern in mich rein, und ein stechender Schmerz fuhr mir vom Unterleib bis hoch in den Kopf. Ich schrie und heulte, und sie schrie auch: 'Hör jetzt auf mit deinem Theater!'" Andere Betroffene berichten in Internetforen von unangekündigten und ungewollten Dammschnitten. Tatsächlich liegt die Dammschnittrate mit etwa 24 Prozent aller vaginalen Geburten in Kliniken weit über der Rate in Geburtshäusern oder bei Hausgeburten (4,6 Prozent).
Die Organisation "Human Rights in Childbirth" schätzt, dass 40 bis 50 Prozent aller Frauen von psychischer oder körperlicher Gewalt vor, während oder nach der Geburt betroffen sind. Und auch die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt in einer Erklärung, dass "viele Frauen während der Geburt respektlos und herabsetzend behandelt werden".
Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, ist der "Roses Revolution Day" ins Leben gerufen worden, ein internationaler Aktionstag, an dem Frauen jedes Jahr am 25. November Rosen vor Kreißsälen niederlegen, in denen sie Gewalt erfahren haben. "Ich begrüße es immer, wenn Frauen sich äußern, wenn ihnen etwas Schlimmes widerfahren ist", sagt die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, Ulrike Geppert-Orthofer: "Sie sollen sich wehren."
Sie verurteilt jegliche unnötige Intervention - erst recht, wenn sie ohne Einwilligung erfolgt: "Ein Dammschnitt darf niemals ohne die Zustimmung der Frau vorgenommen werden." Auch verbale Entgleisungen sollten nicht vorkommen, sagt sie: "Allerdings erlebt auch das Personal Stresssituationen." Sie weist auf die hohe Arbeitsbelastung von Hebammen in Kliniken hin: "Mittlerweile muss eine Hebamme drei bis vier Geburten gleichzeitig betreuen. Da ist eine angemessene Kommunikation oft schwierig."
Maritta Kühnert vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe glaubt, dass viele Frauen vor einer Geburt nicht ausreichend aufgeklärt werden: "Schmerzen zu haben, gehört leider dazu. Und die Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen und Konflikte auszuhalten, ist deutlich gesunken." Manchmal könne es durchaus sinnvoll sein, Frauen mit deutlichen Worten besonders in der Endphase der Geburt zum Durchhalten zu animieren: "Ich sage schon mal zu ihnen: 'Wer so herumlamentieren kann, hat noch Power. Die setzen wir jetzt gemeinsam ein!'"
Auch Kühnert hält den Stellenabbau in deutschen Kreißsälen für ein Problem. In vielen Krankenhäusern müssten unerfahrene Assistenzärzte die Nachtdienste allein überstehen. "Zudem hat man es versäumt, Hebammen mit ihrer hervorragenden Ausbildung anständig zu bezahlen." Ein Hebammengehalt reiche kaum zum Leben.